SANDRA WALSER

LA GUERRE DANS LE HAUT PAYS (FRAN­CIS REUSSER)

SELECTION CINEMA

Francis Reussers 1798 in den Waadtländer Alpen angesiedeltes Drama basiert auf Charles Ferdinand Ramuz’ gleichnamigem Roman und dreht sich um ein aufrührerisches Dorf im Waadtland. Dieses trotzt mit vereinter Mannes­kraft engstirnigerweise dem Fortschritt und verbündet sich mit den aristokratischen Ber­nern gegen die napoleonischen Soldaten und ein paar revolutionäre Einheimische.

Als wäre das der Unruhe nicht genug, begehren sich auch noch der religiös erzogene, jedoch rebellische David Aviolat (Yann Tré­gouët) und die weltoffene Julie Bonzon (Ma­rion Cotillard) entgegen allen patriarchalischen Regeln. Einmal mehr also hat die Liebe als vermeintlich universell verstandene filmische Triebkraft zu funktionieren, und auch sonst findet sich in Reussers Film so ziemlich alles, was man sich an tragischer Komik, an herz­ergreifenden und klischierten Schicksalsschlä­gen vorstellen kann: Ein strenggläubiger Vater verstösst seinen eigenen Sohn, ein Naturpredi­ger wiegelt die Dorfbewohner zu revolutio­nären Taten auf, der Lehrer verdirbt die wohl behüteten Kinder, der obligate Dorftrottel stiftet Verwirrung. Schliesslich passiert ein unverständlicher Mord, und die emanzipierte Geliebte wird wahnsinnig.

Im Weltformat verstricken sich Dutzende von stilgerecht kostümierten Menschen in den Maschen des Netzes, das die heranbahnende Revolution - ob nun im Grossen oder Kleinen - unmerklich über die Berglandschaft gespon­nen hat. Als filmisches Konstrukt, das zwar bisweilen fasziniert, jedoch nicht wirklich zu fesseln vermag, dümpelt La guerre dans le Haut Pays langsam vor sich hin: Dem konven­tionell inszenierten und provinziell anmuten­den neunzigminütigen Ballenberg-Theater fol­gen fünfzehn Minuten erbittertes Gefecht im hüfttiefen Schnee, wo befohlen, gehauen, ge­tötet und verraten wird. Und schliesslich scheint mit den Filmfiguren auch Reusser als­bald aus seiner romantischen Illusion zu er­wachen, um die daraus gewonnene Erkenntnis sogleich zum absehbaren, filmischen Höhe­punkt zu erklären: Auch wer ordentlich liebt, kann den Lauf der Weltgeschichte nicht zum Stillstand zwingen.

Sandra Walser
geb. 1976, lebt als freie Journalistin und Studentin in Zürich.
(Stand: 2018)
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