Die Füsse auf dem Tisch, massig, kahl werdender Schädel: «Sie werden mir irgendeine neue Therapie aufbrummen», sagt er. Vaglietti zum Ersten: Das war 1989, als Stefano Vaglietti überraschend Schweizer Meister im Amateurboxen wurde. «Du bist zu schwer, aus dir wird nie ein Boxer», hiess es damals. 1991 war er wiederum Sieger im Ring, dann kamen sieben «strube» Jahre. Er hing an der Nadel, bekam Probleme mit Justiz und Sozialamt. Doch Vaglietti liess sich nicht unterkriegen. Er versuchte es zum dritten Mal. Begleitet von Pol Brennans I Will Shine Again, keucht er mit Taucherbrille und Schnorchel durch Quartierstrassen, traktiert Sandsäcke, schwimmt und rennt. Das grösste Problem ist seine fehlende Boxlizenz. Er scheint ein durchschnittlicher, fast plumper Mensch zu sein, der nicht unbedingt Sympathien auf sich zu ziehen vermag. Nicht einer, bei dem man genauer hinschauen möchte. Alfredo Knuchel tut genau dies mit Ausdauer. Sehr behutsam beleuchtet er während eineinhalb Jahren Vagliettis verschiedene Facetten.
Er und seine Freundin, die Tochter seiner Verflossenen, zeigen sich mit einer Offenheit, die mitunter an Exhibitionismus grenzt. Die Kamera Läuft, wenn er verzweifelt ist, wenn ihre Beziehung in Brüche zu gehen scheint; sie ist mit dabei, wenn er zu seinem Anwalt geht, wenn ein Drogenlieferant klingelt. Vaglietti wird zum gläsernen Menschen. Hat er so viel Vertrauen zu Knuchel oder einfach nichts mehr zu verlieren?
Die Annäherung ist durch eingeschnittene Boxszenen strukturiert. Keine dynamischen Raging-Bull-Aufnahmen mit plastischen Audio-Knockouts, es geht eher behäbig und auf der Tonspur überraschend dünn zu. Das Leben ist ein Kampf, in dem das Stehaufmännchen Vaglietti geduldig Schläge einsteckt, und das nicht zu knapp. Sein Vater ist skeptisch, was aus seinem Sohn werden wird. «Du musst dich nicht schämen für das, was du bist, du musst dich einfach benehmen», hat er ihm geraten. Die beiden finden keinen Draht zueinander. Stefanos jenische Freunde wünschen ihm Erfolg, «nicht nur für die Schweiz, sondern für uns, als Jenische».
Dem Kameramann Norbert Wiedmer gelingen aussagekräftige Bilder, etwa wenn Vaglietti als Hauswart mit einer bedrohlich wirkenden schwarzen Tarnkappe Hecken mäht, aggressiv und unnahbar wirkt. Oft sieht man ihn im Zwielicht, in der Dunkelheit. Manchmal wird man ein bisschen unruhig ob so viel geduldiger Empathie und wünschte sich, Knuchel hätte im ruhigen Erzählfluss auch mal provozierend und beschleunigend eingegriffen. Trotzdem vermag Vaglietti zum Dritten durch die ungeheure Lebensenergie seiner ambivalenten Hauptfigur zu faszinieren.