Esen Isik, Absolventin des Studienbereichs Film/Video der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich, erzählt eine eindringliche Geschichte: In einem Istanbuler Vorort verschwindet der kurdische Vater des fünfjährigen Knaben Meriç. Dieser weiss nicht, was es heisst, wenn jemand «verschwunden» ist, und wenn jemand ihm sagt, sein Vater sei tot, weigert er sich, dies zu glauben. Für ihn wurde sein Vater von den Zivilpolizisten «gestohlen», als dieser vor seinen Augen in einen weissen Wagen gezerrt wurde. In Meriç’ Fantasie ist dem Vater jedoch die Flucht gelungen, und er versteckt sich nun im Keller, wo er ihn in seiner Vorstellung immer wieder aufsucht, sie zusammen Fussball spielen, Börek kochen oder einfach zusammen sind. Die liebevolle Mutter will dem Kind nicht die Wahrheit sagen, bemüht sich aber immer wieder, ihn auf den Boden der Realität zurückzuholen. Als sie am Schluss des Films mit ihren drei Kindern nach Kurdistan zurückkehrt, bricht für Meriç eine Welt zusammen, muss er doch den geliebten Vater im imaginären Kellerversteck zurücklassen.
In einer Welt, in der nicht nur in der Türkei immer wieder Leute «verschwinden», gibt der Film den statistischen und anonymen Nachrichten eine greifbare Tiefe. Die Zuschauerinnen können sich mit dem Jungen identifizieren und nachvollziehen, wie unerträglich für ihn das traumatische Erlebnis ist, wie er sich abkapselt, um sich eine eigene Welt aufzubauen. Er sitzt meistens auf seiner ferrasse und schaut durch Gitterstäbe auf die im Hof spielenden Kinder, zu denen er keinen Kontakt mehr aufnehmen mag. Die Katastrophe ist aus dem Blickwinkel Meriç’ gefilmt, und es gelingt Isik glaubhaft, die innere Welt des kleinen Jungen zu beschreiben. Neben dem Alltag von Meriç taucht immer wieder die Erinnerung an die Verschleppung seines Vaters auf, die er durch dessen fantasierte Rückkehr mildert. Die Übergänge zwischen Realität und Imagination sind fliessend. Letztlich ist der Film neben der Beschreibung einer grausamen Realität in der Türkei auch die Geschichte einer intensiven Sohn-Vater-Beziehung, und genau diese Gegenüberstellung macht den berührenden Charme ihrer Arbeit aus.