ANDREAS MOOS

DER DUFT DES GELDES (DIETER GRÄNICHER)

SELECTION CINEMA

Wer das Geld zum Hauptgegenstand eines Do­kumentarfilms macht und sich seinem Thema anzunähern versucht, indem er in Einzelport­räts reiche Leute darstellen will, muss sich auf Widerstände beim «Gasting» gefasst machen - gilt es doch, potenzielle Gesprächspartner da­von zu überzeugen, das sprichwörtliche Credo «Über Geld spricht man nicht, man hat es» vor laufender Kamera zu überwinden. Dieter Gränicher ist es nach zahlreichen Absagen ge­lungen, vier Personen, in deren Lebensläufen grosser Reichtum eine wichtige Rolle spielt, zur Mitwirkung in seinem Film zu bewegen.

Zuerst wird ein anonym bleibender Erbe vorgestellt, ein früherer Volksschullehrer, dem sein Vermögen den Luxus ermöglicht, «Zeit zu haben». Diese nutzt der Privatier zu Arbeiten im Garten und zum Golfspiel. Gränicher wahrt die Privatsphäre des zurückhaltenden Erben, filmt ihn im anonymisierenden Gegenlicht, zeigt einzelne Ansichten eines mittelständi­schen Lebensraums, in welchem der ver­mögende Erbe unauffällig und ohne äusseren Luxus lebt. Dann wird die Erbin eines Textil­fabrikanten porträtiert. Sie hat ihr gesamtes Vermögen einer urchristlichen Bewegung ver­macht und lebt nun ohne privaten Besitz in den bescheidenen Verhältnissen einer Wohn­gemeinschaft. Den Verzicht auf ihr Vermögen empfindet sie als Befreiung: «Geld bedeutet für mich Ungerechtigkeit. Es ist kein Verzicht, den ich leiste, sondern ich gebe ein Stück Brot weg und erhalte dafür einen Kuchen.» Kein Stück von seinem Brot gibt der Verleger Jürg Marquard. Dass er trotzdem an den Kuchen heran­kommt, dafür bürgen sein Geschäftssinn und sein libidinöscs Verhältnis zum Reichtum: «Ich liebe Geld, und ich mache alles dafür, dass das Geld auch Grund hat, mich zu lieben», umschreibt der neureiche Zeitschriftenverleger seinen Umgang mit Reichtum, welchen er ohne Scheu vor übertriebener Grossspurigkeit prä­sentiert. Privatjet, Rolls-Royce, pompöse Villa und blattvergoldete Teller gehören zu den Luxusinsignien, mit denen sich Marquard ziert und brüstet. Den Abschluss der kleinen Port­rätgalerie bildet der ehemalige Topmanager Thomas Westermeier, der, nach eigener Aus­sage von den Banken um sein Vermögen ge­prellt, inzwischen von der Fürsorge lebt und vor Gericht um sein Geld kämpft.

Die an sich unzusammenhängenden Port­räts werden durch die Filmmusik (jedem wird ein Satz aus Tschaikowskys «Pathétique» zu­geordnet) und durch Kommentare einer ano­nymen Telefonstimme aus dem Zürcher Geld­adel verknüpft. Auf der Tonspur wird dadurch ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Biografien allerdings stärker behauptet denn belegt oder erläutert. Gränicher selber hält sich im Hintergrund, wahrt Distanz und überlässt den Porträtierten den Raum zur Selbstdarstel­lung. Die einzigen Ansätze zu kritischer Reflexion scheinen in den Kommentaren der anony­men Telefonstimme auf, die sich bitter über die Verlogenheit und Stillosigkeit des zürcheri­schen Geldadels beklagt.

Die Unvoreingenommenheit und höfliche Distanz Gränichers zahlen sich aus: Die vier Hauptpersonen empfangen den Dokumentar- filmer ohne Misstrauen und lassen ihn in ihre privaten Lebenswelten vor. Trotzdem würde man sich wünschen, dass über diese filmischen «Homestorys» hinaus dem flüchtigen Duft des Geldes etwas hartnäckiger und kritischer nach­gespürt worden wäre.

Andreas Moos
geb. 1963, Studium der Germanistik, Filmwissenschaft und Anglistik, arbeitet an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Luzern, lebt in Zürich. Mitglied der CINEMA-Redaktion seit 1995.
(Stand: 2018)
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