Seit den Anfängen des Kinos war die Werbung, als Plakat, als Diapositiv und als Film, das Medium, welches das Private an die Öffentlichkeit trug: Prosaische, oft alltägliche Produkte wurden übergross auf Hausmauern und Kinoleinwänden inszeniert. Der Werbefilm muss Blickfang sein, was er seit jeher auch über Unterhaltung und Amüsement versuchte, durch Attraktionen, Sketches und Zeichentrickfilme. Doch wie das Kino steht er zwischen den Phantasien von Melies und dem Charme des Dokumentarischen der Gebrüder Lumière.1 Indem er die private Konsumsituation in einen zum Teil völlig unspektakulären Alltagskontext einbettet, thematisiert der Werbefilm auch all das, was ansonsten kaum dokumentationswürdig und lange Zeit nicht fiktionswürdig war.
Seit den fünfziger Jahren ist das Fernsehen der bevorzugte Kanal für die «private» Werbung. Darin scheinen die «kleinen» Sorgen des Alltags einer Hausfrau ernst genommen: Angesprochen werden Themen wie Sauberkeit und Hygiene (Seife, Waschmittel, WC-Papier, Kinderpflege, Unterwäsche sowie Staubsauger, Fleckenreiniger, Möbelpflege), Gesundheit (Verdauungsprobleme, Erkältungen - wer kennt nicht den Klosterfrau Melissengeist), Ernährung (Margarine statt Butter!), Haushaltshilfen (versenkbare Nähmaschinen, platzsparende Waschmaschinen, kompakte Einbauküchen), aber auch die Freizeitgestaltung.
Somit wird einerseits das Private öffentlich gemacht - und über das Fernsehen das kommerziell öffentliche Anliegen der Werbung wieder in den Privatbereich zurückgeführt. Andererseits wird die Hausfrau, Ehegattin und Mutter als gewissenhafte und kritische Haushälterin und Konsumentin direkt adressiert und auch inszeniert. In ihrer Erziehungsfunktion, als Vermittlungs- und Vertrauensperson in der Familie und im Kreis der Freundinnen stellt die perfekte Hausfrau und Konsumentin den Kern einer gesunden, materialistischen Gesellschaft dar, die es zu jener Zeit noch zu stabilisieren galt: der Mythos der Kleinfamilie im mittelständischen Glück.
Die Reklame2 funktioniert auf dem Hintergrund eines dialektischen Verhältnisses zwischen der Gesellschaft und dem einzelnen, das in beiderseitiges Wohlergehen münden soll. Sie hat nicht nur das Ziel, eine Käuferschaft für ein neues Produkt zu erobern, sondern die Hausfrau - indem sie diese auf ihre Bedürfnisse hin anspricht - zu einem allgemeinen Konsulnverhalten zu bewegen. Im Zentrum steht das Produkt. Ein männlicher Experte erscheint als personifizierter Vertreter der Firma, für deren Vertrauenswürdigkeit und Qualitätsproduktion er einsteht. Nach dem Modell des billigen Jakob versucht er, der künftigen Konsumentin das Produkt durch Information und Demonstration näherzubringen, sie von dessen Vorteilen zu überzeugen. Die Präsentation dieser Filme ist frontal auf die Zuschauerinnen vor dem Bildschirm ausgerichtet oder in einem Sketch, der die Konsumentin miteinbezieht, szenisch aufgebaut. Trotz seiner Theatralisierung liefert das Präsentationsschema «vorher/nachher» den Beweis für Qualität oder Wirksamkeit des Produktes: Unterstützt durch die photographische Authentizität, zeigt es eine kausale Hntwicklung, deren Auslöser das Produkt darstellt. Dieses «Marketing der Nachfrage»3 versucht, mit rationalen Argumenten (und manchmal humoristischer Pointe) eine Gewöhnungsbeziehung zwischen Produkt und Konsumentin einzuleiten auf dem Hintergrund von Nützlichkeit, erstrebenswertem Komfort und Fortschritt.4
Die Reklame blieb vor allem im Fernsehen bis Anfang der siebziger Jahre gängig. In veränderter, elliptischer Form umwirbt sie sogar heute manchmal noch unser Vertrauen durch eine männliche Off-Stimme oder wenn der «Gartenexperte Christian Müller» die Gartenkralle Gold (SF 1, 1998)5 demonstriert, welche das Unkrautjäten spielend leicht und ohne Bücken möglich macht. Allgemein lässt sich jedoch feststellen, dass nicht nur diese Form der Reklame sehr selten geworden ist, sondern auch Werbefilme für alltägliche Haushaltsprodukte -Waschmittel, Fleckenreiniger, Staubsauger usw. - kaum mehr im Programm vertreten sind. Und wenn, dann liefern heute das Sipuro-Männchen und seine Artgenossen den Beweis für blitzblanke Badewannen.
Das Image als privater Traum oder die Verführung als Witz
In Analyse und Theorie des Werbefilms hat diese «private» Werbegattung ebenfalls an Interesse verloren. Die narrativen Filme oder auch die rhythmischplastisch gestalteten, die sich an den Möglichkeiten des Videos orientieren und die beide seit den achtziger Jahren im Kino dominieren, laden mit ihren ästhetischen Bildern und Körpern, ihren märchenhaften Geschichten und ihrer filmischen Virtuosität anscheinend nicht nur Zuschauerinnen zum Träumen ein: Man schaut sie sich nicht ungern an, spricht unter Freundinnen darüber, analysiert sie, theoretisiert sie aus semiologischer, psychoanalytischer oder kognitivistischer Perspektive. Durch die Vermarktung von Stars, die intertextuellen Bezüge zum Kino, die kondensierten Narrationsformen und den phantastischen Weltcnbau unterhalten und amüsieren sie ihr Publikum und heizen anscheinend auch den wissenschaftlichen «desir de savoir» an.
In diesen Filmen steht das Image der Marke, welches durch die assoziierten Werte der Mini-Erzählungen über die erotisierte Konsumation des Produktes entwickelt wird, im Vordergrund. Durch eine Traum- und Wunschwelt sollen die Zuschauerinnen verführt werden (denn in einer etablierten Konsumgesellschaft muss die Werbung nicht mehr überzeugen). Bis vor ein paar Jahren betrafen diese Filme vor allem alkoholische Getränke und Zigaretten (wo noch erlaubt), Autos, Reisen, Parfüms, Kleider usw. Auch diese Produkte gehören zum Privatbereich, jedoch auf eine abstraktere und symbolischere Weise, wenn man davon ausgeht, dass die Image-Konstruktion des Produkts höchst persönliche Entscheidungen der Konsumentinnen beeinflusst: deren individuelle Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe über einen Lebensstil.6
Seit einiger Zeit entfuhren vermehrt auch ganz, alltägliche Produkte wie Kaffee, Joghurt oder die Margarine Lääta (Kinowerbung, CH 1997) die Zuschauerinnen in die Fiktion, worin das perfekte Topmodel-Paar oder der jugendliche, lebenslustige Freundeskreis - manchmal mit leicht ironischem Unterton - im siebten Himmel schweben. Flirt, Verführung oder kollektive, euphorisierende (und aphrodisierende) Momente legen eine ausschliessliche Bez.iehungsform zwischen den Geschlechtern fest, welche durch das magische Produkt ausgelöst scheint und wohl wieder auf dieses übertragen werden soll. Zwischen kitschiger Hollywood-Liebe und energetischem Musikclip wird das Private der Markenprodukte und des physisch-emotionalen Kontakts in einer zeitlosen Freizeitkultur fern aller Mühen und Plagen des Alltags absorbiert. Sogar das banalste, trivialste Produkt kann heute - in diesem «Marketing des Angebots»7 - mit einem erotisierten Werteprogramm oder einem jungdynamischen Lebensstil assoziiert werden (so auch die Konzert-Werbefilme für Coca-Cola, Pepsi usw.).
Das Ziel der Werbung ist es immer, das Produkt einer potentiellen Käuferschaft näherzubringen. Beide Präsentationsformen, die alte Reklame und die «Traumwerbung», arbeiten jedoch letztlich mit der Wunschprojektion, ob in bez.ug auf einen zu erreichenden Wohlstandshorizont oder auf eine ewig ferne, imaginäre Welt. Durch die Theatralisierung, Fiktionalisierung und/oder Narrativisierung des Produktekontextes etablieren sie eine Distanz zwischen Film und Zuschauerinnen, welche der Uberzeugungs- wie der Verlührungsstrategie dienlich ist. Wenn die Reklame mit dem Bedürfnis operiert, so spielt die Image-Werbung mit dem Begehren: Beide Darstellungsweisen kreieren für das Produkt einen «anderen» Schauplatz, wo es sich mit den Aspekten des Neuen oder Unbekannten, des Erstrebens- oder Wünschenswerten, des Überraschenden schmückt.
Dies tut grundsätzlich auch eine dritte Form, welche in letzter Zeit an Terrain gewonnen hat und immer noch gewinnt: die (postmoderne) selbstreflexive Werbung, die ihre Konstruktionsformen und Strategien auf eine spielerische Art blosslegt, sowie die komische oder absurde (Anti-)Werbung - wobei sich beide auf ein präsentatives oder ein narratives Schema beziehen können. Gerade diese Formen scheinen geeignet, sich dem privaten, dem intimen Bereich anzunehmen. Denn wenn wir an die Werbefilme für Präservative denken, die etwa seit 1986 entstanden sind, so verschreiben sich wohl die besten unter ihnen diesem Modus. Auch der Kinowerbefilm für Trisa-Zahnbürsten (CH 1997), der das Zähneputzen zweier Verliebter in leichter Bekleidung als Verführungsakt gestaltet und das Produkt als des Rätsels Lösung erst als Pointe einbringt, scheint Freud verarbeitet zu haben. Das Komische, Witzige, Spielerische, funktioniert hier auf der Ebene des Dargestellten (die Pervertierung des ewigen Verführungsszenarios) wie der Darstellung (unter anderem durch den Überraschungseffekt). Der Witz liegt im selbstironischen Spiel mit den Verführungsmechanismen der Werbung, ein Spiel, das die kulturellen Kompetenzen der Zuschauerinnen anpeilt. Der Werbefilm will (nur noch) amüsieren und wird sozusagen zum «private joke» für Werbegewöhnte, wenn eine stark geschminkte «Hausfrau» in Ausgehkleidung über ihren Electrolux-Backofen sagt: «So schnell wie der wird keiner heiss» (SF 1, 1998).
Authentisch privat
Die letztgenannten Beispiele zeigen, wie die Werbung der neunziger Jahre ihre Künstlichkeit und Konstruktion selbst entlarvt und die Zuschauerinnen einen Augenblick lang in eine «Spielwelt» entführt. Es kann jedoch auch eine gegenläufige Tendenz festgemacht werden: das Phantasma der Direktheit und Authentizität. Hier soll wohl gerade die Kluft zwischen dem Alltagsszenario und seiner thematischen und filmischen Umsetzung, die in der selbstreflexiven Werbung so erfrischend ist, geschlossen werden. Indem diese Werbung uns nicht einen «anderen» Schauplatz, sondern gewisse Aspekte des «unsrigen» vorführen, versuchen sie, die Distanz, zwischen Film und Zuschauerin/Konsumentin möglichst klein zu halten. Die Zuschauerinnen werden weder informiert noch verführt, sondern die Bilder laden ein zur Wiedererkennung und Übereinstimmung, zur romantischen Verschmelzung von Film und Zuschauerin, von Produkt und Konsumentin als Figur im Film und vor dem TV. Ein solcher Diskurs ordnet sich in die Kategorie des Ähnlichen, des Selbst, ein: Der Werbefilm ist nicht mehr Darstellung, sondern will Nachahmung sein (immer als Illusion und Konstruktionseffekt). Auf der Ebene des Produkts wie dessen Repräsentation bietet er das Bekannte, das Vertraute, das Gewohnte an, nicht das Neue, das phantastisch Andere oder das Überraschende (ähnlich wie die Medien, die sich, um die Einschaltquoten zu erhöhen, den Rezeptionsgewohnheiten und -erwartungen anpassen).
In den folgenden drei Formen des Effekts des Authentischen steht weder das Produkt noch die Fabel oder das Spiel zur Kreation seines Images im Vordergrund, sondern der menschliche Körper als physischer, sozialer und mediatisierter Körper der Konsumentin.8 Vorgeführt wird immer eine Szenerie, die das Produkt in eine Privatsphäre rückt, in die intime Nähe zum Körper der meist weiblichen Figur. Die selbstverständlich immer noch fingierten Szenen aus dem privaten Lebensbereich versuchen so, das alltägliche Produkt echter, näher und direkter erfahrbar zu machen. Die Figuren sind bereits gewohnheitsmässige Konsumentinnen und deshalb Spezialistinnen durch Erfahrung, Expertinnen des Produktes, dessen Auswirkung sie am eigenen Beispiel vorführen und (manchmal buchstäblich) verkörpern. In einer Konsumsituation im Hier und Jetzt, die keine Entwicklung mehr verlangt, sondern nur noch kommuniziert werden will, figurieren sie als direkte Vermittlerinnen zum ebenfalls eingeweihten Publikum (zumindest in ein generalisiertes Konsumverhalten, dessen Status quo es heute aus der Sicht von Wirtschaft und Werbung zu erhalten gilt). Durch die Illusion der Authentizität sollen die Zuschauerinnen in die vorgelebte Szene und in ihre Darbietung von vorneherein eingebunden sein, über den Graben des Einwegmediums hinweg.
Obwohl der Werbefilm viel für seine technischen und ästhetischen Innovationen gelobt wird, ist es wichtig, seine Tendenzen und seine Entwicklung in die allgemeine Medienlandschaft einzubetten und die sozialen und filmischen Dispositive, Effekte und Kommunikationsformen in einen Zusammenhang mit anderen Medienprodukten und deren Entwicklung zu stellen, was ich im weiteren versuchen werde.
Das taktile Körperbild
Eine gängige und schon ältere Form filmischer Authentizitätsmomente in Werbefilmen für Schönheitsprodukte und Körperpflege sind die extremen Grossaufnahmen von Mund, Augen, Decolletes, Händen, Oberschenkeln, Füssen. Das stumme Bild zeigt einen meist bewegungslosen Körperteil oder einen Teil davon als losgelöstes Fragment. Der authentische Effekt betrifft hier unsere sinnliche, sensorische (oder haptische) Wahrnehmung auf einer sehr primären Ebene, jener der symbiotischen, sprachlosen Nähe zum Körper eines anderen, fremden Menschen. Ein weiblicher Blick in dieser geringen Distanz, zur Kamera kann kein Objekt mehr fokussieren, ist glasig und sozusagen blind.9 Ein solcher Blick trifft uns nicht, auch wenn er auf uns gerichtet ist. Die Figur scheint sich unbeobachtet zu fühlen wie vor dem Spiegel, mit sich alleine, selbstverliebt und selbstvergessen, und dennoch drapiert, posierend, frontal zur Kamera. Umgekehrt wird das Gesicht10, aber auch jeder andere Körperteil, aus dieser geringen Distanz für den Zuschauerinnenblick zur perspektivenlosen Fläche. Entweder wirkt das zu perfekte, glatte Gesicht wie eine versteinerte Maske, und die enthaarten Unterschenkel (Gillette-Sensor Fixcel – for women; SF 1, 1998) erscheinen von der Textur des Fernseh- oder Leinwandbildes gerastert, oder die hyperrealistisch sichtbaren Poren und Falten der Haut (Liftaktiv, Antifaltenpflege von Vichy; SF 1, 1998) machen diesen Körper, bei aller Künstlichkeit, durchlässig und verletzlich (was uns aber eher befremdet als berührt). In seiner taktilen Nähe und überdimensionierten Grösse wirkt der fragmentierte Körper monströs und bedrängend und daher letztlich obszön.11 Filmisch und symbolisch objektiviert ist der menschliche Körperteil nur mehr anbiederndes Zeichen der direkten Adressierung, nackte Funktion der Werbung. Allzu nah und gleichzeitig allzu abstrakt, zuviel Fleisch und dennoch Zeichen, schwebt der weibliche Körper zwischen Perfektion und Monstruosität, zwischen Idealisierung und Fntmenschlichung, zwischen Verschmelzungsphantasie und Voyeurismusangebot - ausserhalb jeglichen sozialen Kontextes.
Über den pornographischen Effekt solcher Bild-Körper-Fragmente wurde schon viel gesprochen und geschrieben.12 Nun hat dieser «Werbekörper», den wir in entblösster Privatheit und physischer Nähe wahrnehmen, in seiner analogen Präsenz und Textur zwar etwas Authentisches, ist jedoch gleichzeitig zu einem entsexualisierten Fetisch erstarrt: Durch die Verdinglichung und Funk-tionalisierung des menschlichen Körpers und die konformistische Selbstzensur der Werbung, die aus dem Anhalten des Blicks ein Strukturprinzip macht, enthüllen diese Bilder letztlich nie etwas und verstecken immer alles. Traditionellerweise führt eine bestimmt klingende, männliche Stimme aus dem Off am Ende des Films zurück in die Wirklichkeit (der Werbestrategie): Sie zensuriert das Begehren und soll auf sachliche Weise ebenfalls die angestrebte fusionelle Beziehung zwischen dem weiblichen Film-Körper-Bild und der Zuschauerin auf das Produkt übertragen, das nun alleine und übergross in der Einstellung thront.
Dennoch betrifft diese Darstellungsweise quasi ausschliesslich weibliche Körper sowie die exotisierten Körper und Körperteile von Frauen und Männern farbiger Haut (die jedoch seltener mit «intimen» Produkten assoziiert werden, sondern eher mit dem Ursprungsmythos von Kaffee, Reis, Rum usw.).
Wenn seit ein paar Jahren die Werbung auch den Mann in seiner Nacktheit und Intimität für den Persönlichkeitskult entdeckt hat und ihn in seiner privaten Körperlichkeit darstellt (zum Beispiel für die «männliche» Linie gewisser Shampoo-Marken oder den herben Duft von Duschgels), so wirken sein Körper und sein Blick im Unterschied zum weiblichen eher «projektiv» denn «in-trojektiv».13 Er wird meist (hyper)aktiv und dynamisch inszeniert, sogar bei der morgendlichen Toilette, in einem wenn auch manchmal minimalen Dekor (Gillette-Sensor Excel; ARD, 1998. Listerine, die «scharfe» Mundspülung; SF 1, 1998). Und selbst idealisiert und fragmentiert - doch weniger nah und weniger häufig - wirkt der männliche Körper als individualisierte Ganzheit, undurchlässig und kompakt. Eingeölte, gebräunte, behaarte Körper, leicht von der Kamera abgewendet, augenzwinkernde, verschmitzt lächelnde Gesichter bewahren Distanz zum Objektiv (und zum Blick der Zuschauerinnen). Sie scheinen die Präsenz der Kamera auch ohne direkte Adressierung wahrzunehmen; das stilisierte Filmbild macht sie durch Schwarzweissaufnahmen, grafische Gestaltungsmittel oder komische Schlusspointen als filmische und gefilmte Körper erkennbar. Das Produkt wird letztlich dem männlichen Körper zu- und untergeordnet, dieser befindet sich nicht wie der weibliche Körper unter dem Diktat des Produkts.
Solche Bilder von männlichen Körpern sind weniger aufdringlich, nicht nur, weil mein Blick derjenige einer Frau ist, sondern weil sie mir mehr Raum und Freiheit lassen, weil sie den männlichen Körper als den eines anderen spürbar machen, mich in meiner persönlichen Intimität nicht sozusagen physisch bedrängen. Das Bild eines Körpers aus symbiotisch-verschmelzender Nähe beinhaltet eine Aggression der Zuschauerinnen (Reaktionen wie das Gefühl von Obszönität oder Gleichgültigkeit sind vielleicht als Versuch zur Distanznahme zu interpretieren). Ausserhalb des Bereichs der Werbung, zum Beispiel im Dokumentarfilm, im ethnographischen Film und vor allem in Fernsehreportagen (man denke an die extreme Grossaufnahme von einer Nadel, die sich in eine Armbeuge hineinbohrt), bedeutet dieser Blick oft ebenfalls eine Aggression gegenüber dem Menschen im Bild, eine Respektlosigkeit, die den sozialen Bewegungsraum eines Individuums missachtet, ein Eindringen in seine intimste Sphäre - jene der Haut, die keinen Schutz mehr bieten kann -, in seine letzte Privatheit.14
Die zwischenmenschliche Harmonie
Eine weitere Authentizitätskonstruktion baut auf das, was der ersten fehlt: auf soziale, zwischenmenschliche Situationen. Frauen unter sich, zwei Freundinnen im vertraulichen Gespräch (Gorall-Feinwaschmittel), eine Mutter mit ihrer heranwachsenden Tochter (wenn es um die Intimpflege, zum Beispiel pH-neutrale Seife oder Tampons geht) oder in einer klaren erzieherischen Funktion mit ihrem Sohn (Zahnpasta, Kaugummi ohne Zucker), ein jugendliches Paar beim «ersten Mal» (Präservative, die seriöse, authentische Variante). Selten kommen Männer unter sich oder ein Vater mit seinem Sohn vor, und wenn, dann diskutieren sie meist über Autos oder tauschen Tips für die beste Geldanlage aus.
Die geselligeren Beispiele zeigen die Familie, im Pyjama um den Frühstückstisch sitzend, die Familie, die sich mit befreundeten Familien am Sonntagnachmittag zum Barbecue trifft, die Familie kurz vor der Abreise in die grossen Ferien, Kindergeburtstage oder einen Freundeskreis von Jugendlichen in Freizeitstimmung (beliebtes Szenario für Süssgetränke wie Punica, Fanta usw.). Die Familien- und Paarkonstellationen sind perfekt, die sozialen Beziehungen harmonisch, der private Konsum hedonistisch: Das Produkt führt die Menschen zusammen. Diese mehr oder weniger privaten und ritualisierten Alltagssituationen allein machen jedoch den angestrebten Effekt des Echten, Direkten und Spontanen noch nicht aus. Ihre energetische Wirkung entsteht durch die Kameraführung und/oder durch die Musik.
Die intimen, vertraulichen Momente zwischen zwei Figuren beruhen auf Dialogsituationen, deren filmische Auflösung meist sehr klassisch und durchgehend über Schuss-Gegenschuss-Aufnahmen gestaltet ist, und zwar so, dass die gerade sprechende Figur in einer frontalen Nahaufnahme im subjektiven Blickfeld der (zu)schauenden Figur erscheint (manchmal werden einem monologisierenden Erwachsenen auch grosse staunende Kinderaugen gegenübergestellt). In der überschaubaren Tischsituation einer Kleinfamilie wird diese Gestaltung meist beibehalten, obwohl sich hier der Blickpunkt variabler und mobiler manifestiert. Je ausgelassener die Stimmung, je stärker die musikalischrhythmisierende Untermalung der Szene, desto stärker verlagert sich der zwischenmenschliche Austausch von der Sprache auf Blicke und Gesten. Gesprächsfetzen oder nur noch Stimmengewirr, das in der Musik aufgeht, sind das akustische Pendant zur bewegten (Hand-)Kamera, zu unscharfen Momenten, schnellen Schwenks, schrägen Aufnahmewinkeln und dem ständigen Positionswechsel der in die Szene integrierten Kamera, welche immer mal wieder den offenen oder versteckten Blick einer Figur erhascht. In all diesen Situationen wird freudig und im Übcrfluss konsumiert.
Über diese Darstellungsweisen und Momente des unbeschwerten Geniessens sollen die Zuschauerinnen in die Szene einbezogen werden, die mit der Illusion der Teilnahme und der Übereinstimmung zwischen gleichgesinnten Konsumentinnen spielt. Die idealtypischen Beziehungen und das alltags- oder gewohnheitsbetonte Konsumverhalten der Figuren geben vor, einen sozialen Konsens über private Verhältnisse aus der Nähe zu spiegeln.
Die vertraulichen Gespräche erinnern an Interview- und Beichtsituationen, die Familienszenen an die «windstillen», harmonischen Augenblicke in Soap operas, und die dynamischeren, festlicheren Momente lassen sich von Amateurfilmen und Ferienvideos inspirieren (nicht unbeeinflusst von der Ästhetik der Musikclips). Nur schliessen alle diese intertextuellcn Anspielungen auf soziale Momente den historisch-biographischen bzw. narrativen Kontext aus, welcher die Zuschauerinnen mit einer anderen Welt konfrontierte. Im Hierund Jetzt versuchen die (dar)gestellten Beziehungs- und Konsumsituationen, Echtheit, Spontaneität, Intimität zu evozieren, welche sie in der vollkommenen Fiktion harmonischen Zusammenlebens mit dem Produkt verankern.
Das wirkliche Private entzieht sich prinzipiell der Darstellung, da es durch diese öffentlich wird. Doch auch die Illusion von Authentizität wird in diesen Werbefilmen angekratzt durch die Omnipräsenz des Produktes. Sie scheitert am medialen und kommerziellen Öffentlichkeitsanspruch der Werbung. Indem sich diese Filme dennoch krampt- und ernsthaft um die Konstruktion von Authentizität bemühen, scheinen sie uns das versteinerte Glück in der perfekten Banalität des Alltags verkaufen zu wollen. Diese harmonischen Fiktionen des sozialen Zusammenlebens verweisen letztlich wie ein Zeigefinger auf all die Mängel, die das Produkt nicht beheben kann.
Nach Eric de Kuyper15 haben auch unverbrämtere, authentischere Ausdrucksformen wie der Familienfilm einen obszönen Effekt, wenn sie den Zuschauerkreis der am Film beteiligten Familienmitglieder verlassen. Intime Gefühle, Glücksmomente, zwischenmenschliche Vertrautheit sind an eine physisch erlebte soziale Wirklichkeit gebunden und lassen sich schlecht mitteilen und noch schlechter über das Medium Film kommunizieren. Wie weit die beiden filmischen Gattungen des Werbe- und des Familienfilms auch voneinander entfernt sind, sie haben dennoch gemeinsam, das makellose Glück in einer trivialen Umgebung einzubetten, die die unsere sein könnte bzw. möchte. Weil sie es aber nicht ist, bleibt sie trivial und uninteressant. An die Werbebilder lässt sich keine persönliche Erinnerung knüpfen, und der Graben des Einwegmediums kann nicht einmal ansatzweise überschritten werden. Zudem sind die «authentischen» sozialen Situationen im Werbefilm (meist) spürbar gestellt; ihr wenn auch verstecktes Ziel kann immer nur die Plazierung des Produktes sein und ihr Adressat dessen potentielle Konsumentlnnen. Das Obszöne des Werbefilms für «unbeteiligte» Zuschauerinnen ist in diesem Falle weniger, dass die festgehaltenen Szenerien allzu menschlich, privat, fragil und daher voyeuri-stisch wirken (de Kuyper), sondern dass die Werbung ihre vorgetäuschte Authentizität mit allen Mitteln glaubhaft machen will.
Die soziale Kommunikation des Mediums
Mit dem Vergleich zum Familienfilm ist auch schon die dritte Konstruktionsform angesprochen, welche diese doppelte Täuschung des Werbefilms noch einen Schritt weitertreibt: Indem dieser sich - diesmal ohne Ironie - selbst inszeniert, stellt er sich als sozialer Vermittler zwischen den Konsumentinnen dar. Hier werden explizit die Codes des Amateurfilms oder -videos sowie der Schnellbildschaltung der Photographie imitiert oder gar Ausschnitte aus wirklichen Familienfilmen integriert. Papa filmt (denn er ist meist nicht im Bild anwesend) die rituellen, symbolischen Momente des sozialen Lebens: Das Bebe lernt laufen, sein erster Geburtstag, Picknick im Grünen, Sommerferien in ... Geworben wird auf diese Weise für Foto- und Videokameras, aber auch weniger naheliegend für Milchprodukte aller Art und Kaffeemaschinen oder «Nivea für die ganze Familie» (TV, F 1992).16
Eine weitere Form, Spontaneität, Direktheit und private Gefühlswelt auf den Werbebildschirm zu bannen, ist mit der Live-TV-artigen Interview- oder Umfragesituation gegeben, eine Form, deren Vorläufer sicherlich in den Waschmittelreklamen und im «Palmolive-Test» der siebziger Jahre zu finden sind und die sich heute mit Vorliebe der schönsten Katzen- und Hundegeschichten annimmt (für Whiskas, Kitekat, Pal usw.; TV, F/CH/D seit Anfang 1992). Man sieht eine hilmequipe sich mit ihrem Material durch die Wohnungstür einer «Konsumentin» zwangen und geschaltig im Wohnzimmer installieren; die Katzen sind von Anfang an sehr zutraulich und werden deshalb zwischendurch in Grossaufnahmen gewürdigt. Komfortabel und ungezwungen auf dem Sofa sitzend, mindestens eine Katze auf dem Schoss, erzählt nun die Konsumentin immer wieder einmalige Geschichten aus dem Katzcnalltag, welche in elliptisch montierten Ausschnitten verbal und visuell wiedergegeben werden. Dass die Authentizität eine Phantasie der Medien ist, daran hat uns das Fernsehen in seinen Direktreportagen schon lange gewöhnt - die sichtbaren Merkmale der Konstruktion des Diskurses bestätigen schliesslich nur die Authentizität des Mediums.
Inszeniert wird die Privatsphäre der «echten» Konsumentinnen durch vornehmlich weibliche, «nichtprofessionelle» Schauspielerinnen - direkt von der Strasse geholt, im Wohnzimmer oder in der Badewanne gefilmt, gewöhnliche Menschen wie du und ich - sowie Kinder und Tiere. Sie alle eignen sich als Beweis für die natürliche, unverstellte Aufnahmesituation und dienen so als Garanten für die wahre Qualität des Produktes. Dieses ist in ihrem emotionalen Lebensumfeld integriert wie ein Liebesobjekt, und die Werbung bietet ihnen die einmalige Gelegenheit, als geschätzte Konsumentinnen ihre persönliche Meinung und ihre ganz privaten Erfahrungen kundzutun. Als Ebenbilder ganz, gewöhnlicher Konsumentinnen werden sie durch das filmische Medium oder durch die spürbare, materielle Präsenz der Institution in ihrer Banalität aufgewertet und stehen als authentische Stars des Alltags vor der Kamera.
Wenn hier der Werbefilm in die Privatsphäre eindringt und diese öffentlich macht, so gibt es auch den umgekehrten Fall: Der nicht sehr aussergewöhnliche Akt des Haarewaschens wird in einer Studiosituation inszeniert, inmitten von Kameras, Seheinwerfern und Kabeln. Durch «die individuell abgestimmte Lösung für gesunde Haare» von Systeme Panthene (SF 1, 1998) scheint auch für die gewöhnliche Konsumentin der Weg frei zum Topmodel. Die belanglosen Gesten des Alltags werden mediatisiert und spektakulär arrangiert: Privates Konsumieren findet in aller Öffentlichkeit statt. Hier lässt sich auch der männliche Konsument wieder besser vermarkten: In Grossaufnahme schiebt er ge-niesseriseh ein Tartare-Käsebrot in den Mund, selbstvergessen auf einer Wiese liegend, die sich zum Schluss als Fussballfeld mit ihm als Torwart entpuppt (SF 1, 1998). Oder: Als Linienpilot führt er sich in seiner wohlverdienten Pauset einen «Milram-Quark mit besten Früchten» zu Gemütc (SF 1, 1998). Die Inszenierungen des Privatmanns scheinen jedoch die explizite Mediatisierung zurückzudrängen: Vielleicht weil die private Geste des Konsumierens durch seine soziale, berufliche Rolle schon genügend spektakulär und öffentlich erscheint und sich durch den Effekt der unerwarteten Verbindung der beiden Bereiche leicht eine ironische Note einstellt.
Ob in Anlehnung an Amateor-, Eamilienfilm, Interview-Situation oder Live-Reportage: Die authentifizierenden Diskurse des Werbefilms führen den Zuschauerinnen ihre eigenen alltäglichen Gesten und Erfahrungen in bezug auf den Akt des Konsumierens vor; sie simulieren Direktheit und Spontaneität, «wahre» Geschichten in «wahren» Bildern. Abgesehen von der spektakulären Aufmachung bieten sie nur Bekanntes an und das Versprechen, dass auch unsere Konsumerfahrungen es wert wären, auf dem Bildschirm zu erscheinen. Verheissen wird keine andere Welt, sondern einzig die aktive Teilnahme an der Aufbereitung einer alltäglichen Belanglosigkeit. Über den angestrebten, emotionalen und medialen Wiedererkennungseffekt arbeitet der Werbefilm hartnäckig an der Illusion der Zugehörigkeit aller Zuschauerinnen zu einer gemeinsamen Konsum- und Medienkultur, in der er sich als unabdingbares Verbindungsglied darstellt, da er die Konsumentinnen miteinander in ihrem Ist- und Haben-Zustand solidarisiert: ohne Reiz, ohne Traum, ohne Flucht ins Imaginäre.
Doch während der Werbefilm der drohenden Langeweile und der Gefahr des uninteressierten Zappings seiner Zusehauerinnen dadurch begegnet, dass er zusehends häufiger die Schraube der reflexiven Selbstinszenierung noch um eine Windung weiterdreht und sich über die Ironisierung, Pervertierung und Parodierung all seiner Muster sowie über die schwindelerregende Virtuosität seiner Bilder und Töne die Aufmerksamkeit der Zuschauerinnen zu erhalten versucht, wird in Talk- und Reality-Shows oder Live-TV-Sendungen weiterhin das Private inszeniert und aufgewertet. Überall werden Zuschauerinnen und Medienkonsunientinnen aus dem Privatbereich an die Öffentlichkeit geholt, befragt, inszeniert, vernetzt. Und anscheinend werden diese intimen Momente des seelischen Striptease in ihrer tendenziellen Peinlichkeit und Indiskretion auch eifrig in der Privatsphäre konsumiert ... Konsum und Kommunikation, Privatheit und Öffentlichkeit, erlebte Wirklichkeit und mediale Authentizität durchdringen sich gegenseitig in der spektakulären Inszenierung des Ewiggleichen. Das Private, Persönliche, Individuelle geht auf im Mythos einer Gesellschaft autonomer Individuen, deren Verhalten verallgemeinert und authentifiziert wird über die Medien und den Konsum.
Bei all dem sind wir jedoch immer noch ganz, frei, im Kino in aller Ruhe und abgeschiedenen Öffentlichkeit, Bilder von anderen Welten zu konsumieren und ganz private Gefühle zu empfinden.