Eigentlich möchte Karl Winter (Stefan Kurt) an diesem unwirtlichen Abend nur eilends heim in die Abgeschiedenheit seiner warmen Junggesellenwohnung, zu den alten Sydney-Bechet-Platten, der angefangenen Schachpartie. Doch da liegt ein Mann ausgestreckt in einer Seitenstraße, daneben eine Frau, eher kontrolliert und auf der Hut als in Panik vor diesem zufälligen Zeugen. Sie gibt vor, nicht zu wissen, was vorgefallen ist, und Winter, der sofort von ihr eingenommen ist, ruft weder die Sanitäter noch die Polizei.
Tags darauf erwartet ihn die Frau, Martha (Susanne Lüning), in seiner Wohnung, und ohne weitere Umstände zieht sie bei ihm ein. Was nach Amour fou aussieht und nach Ausbrechen aus dem freudlosen, unsinnlichen Leben, das Winter bisher geführt hat, erweist sich als Schlitterpartie in eine Paranoia seinerseits und bricht die dünne Schicht vermeintlicher Sicherheiten binnen kurzem auf.
Auch nach dem Einzug Marthas verharrt Winter in seiner Abschottung und pflegt einzig Umgang mit Uwe (Làszlò I. Kish), mit dem ihn eine Männerfreundschaft ohne viel Worte verbindet. Zu zweit unternehmen sie Ausflüge, auf denen sie sich mit kleinen Experimenten wie dem Anzünden einer Montgolfiere und möglichst präzisem vertikalen Steinschleudern vergnügen. Diese Experimente mögen in ihrer Zweckfreiheit ein Verweis auf Liechtis Dokumentarfilm Signers Koffer (1995) sein.
In seiner Wohnung, die Winter bislang sorgsam abgeschirmt hatte, tauchen nun öfter die Nachbarn auf, darunter ein Herr Tepesch – überdies ein Arbeitskollege Marthas –, der sich durch besondere Anhänglichkeit und offene Neugier auszeichnet. Was die Nachbarn mit Martha zu bereden haben, bleibt unklar, Winter aber sieht sich zunehmend bedrängt und eingekreist. Dieses unbehagliche Gefühl wird verstärkt durch Marthas Eingeständnis eines diffusen Bedrohtseins und ihr undeutbares, verschrecktcs Verhalten. Herr Tepesch, der einfach nur lästig war, wird in Winters Wahrnehmung zum Untoten, zum Ungeziefer, das ausgemerzt werden muß. Tepesch wird von Winter erstochen. Nach der Bluttat öffnet Winter zum ersten Mal sein Fenster weit und zitiert Camus' L’étranger: »Es ist die Sonne, die mich verwirrt.«
Der Beginn von Marthas Garten stünde jedem Film noir gut an, aber damit sind wir mitten in der Grundproblematik: Es wimmelt von Zitaten aus der Filmgeschichte, die etwas Aufgesetztes haben. Das beginnt bei der früh einsetzenden Off-Stimme Winters, die seine Befindlichkeit ohne die Distanz, wie sie dem Off-Kommentar im Film noir eigen ist, kommentiert. Auch die Schwarzweiß-Kinematographie, eine Femme fatale, die den Helden ins Verderben zieht, oder Versatzstücke wie Jalousien, durch die streifig das Licht der Straßenlampen fällt, bleiben Anleihen. An Vorbildern werden überdeutlich Beckett, Kafka, Hitchcock und Lynch bemüht, ebenso Le locataire von Roman Polanski. Dabei bleibt Marthas Garten stimmungsmäßig und in der narrativen Dichte aber weit hinter den (Über-)Vätern zurück.
Mit Konsequenz spart der Film die Stadt als Lebensraum aus. Sie bleibt in einer Distanz, die eine genaue Orts- und Zeitbestimmung verunmöglicht. In dieser Aussparung zeigt sich am überzeugendsten Liechtis erklärte Absicht, Mentalitäten und Wahrnehmungsweisen zu erzählen, Assoziationen durch optisch-akustische Eindrücke hervorzurufen. Gelungen auch die Bruitage (Julien Naudin), die an Lynchs Sounddesign erinnert, wie es zuletzt in Lost Highway zusätzliche Räume erschloß. Ansonsten vermißt man die zwingend unheilvolle Stimmung, die zwar permanent beschworen, aber nicht vermittelt wird, so beispielsweise durch Bilder von stürzenden Fledermäusen und frei umherstreifenden (Höllen-)Hunden, die Bedrohung suggerieren wollen. Das große Thema – die Kritik am geordneten, vitale Regungen scheuenden Leben, das seine Protagonistlnnen einschnürt und zu wahnsinnigen Überreaktionen verleitet – bleibt bloße Behauptung.