Bereits 1994 ließ Clemens Klopfenstein den Berner Mundartrocker Polo Hofer und »seinen« Schauspieler Max Rüdlinger (aus E nachtlang Füürland, 1981) die Rucksäcke packen. Er begleitete sie in Die Gemmi – ein Übergang (1994) beim Wandern und Palavern über Cervelats, Langeweile, die Schweiz, Schwedinnen, Glück, Gott und die Welt. Klopfenstein, ein Low-Budget-Chronist schweizerischer Befindlichkeiten, hat diesen Kurzfilm nun auf Spielfilmlänge ausgebaut und neu betitelt: Das Schweigen der Männer.
Die Gemmi hat sich von einem Übergang zu einem Scheideweg gewandelt. Max Rüdlinger verabschiedet sich auf der Paßhöhe von Polo, der sich an einem Open-air-Konzert auf dem Gurten bei Bern »seine Popularität abholt«, und entflieht der Enge des Tals und des Landes. Rastlos auf der Suche nach sich selbst, wandert Max zur musikalischen Wehmut von Astor Piazzolla durch den apulischen Nebel, eine »Leere von pathetischer Weite«, und sitzt deprimiert in Hotelzimmern und leeren Restaurants. Ab und zu ruft er den umtriebigen Polo an und ergeht sich in Selbstmitleid: »Ich chummer vor wie uff äm Hometrainer mit Olivetapetä.« Sein Gemüt hellt sich auf, als zwei Touristinnen seinen Weg kreuzen. Wunschgeleitet hält er sie für Schwedinnen. Zu dritt steigen sie in einem Hotel ab, Max zieht vor dem Spiegel fragend seinen Bauch ein. Ob er wohl bei einer Chancen hätte? Eine Menage à trois entwickelt sich nur in Max' Träumen. Immerhin folgt ihm die eine der Frauen bis nach Kairo, wo sie Polo wiedersehen. Der gibt dort ein von der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia organisiertes Konzert. Die Jugend in Kairo scheint allerdings nicht auf Schweizer Rock gewartet zu haben: Ganze zwölf Leute erscheinen. Zu allem Unglück wird Max auch noch von seiner Begleiterin verlassen. Polo und Max trösten sich mit einer Nilrundfahrt und führen an der Schiffsbar Altmännergespräche über Sexualität von zweifelhafter Weisheit.
Clemens Klopfenstein ist hier mit seinem schnell und fast mittellos realisierten Cinéma copain an Grenzen gestoßen. Die Gratwanderung zwischen Homemovie und schweizerischer Selbstvergewisserung, die in Die Gemmi – ein Übergang dank Nonchalance und Knappheit funktionierte, ließ sich offensichtlich nicht ohne erhebliche Verluste an Leichtigkeit, Spontaneität, Witz und Selbstironie wiederholen. Da helfen auch »exotische« Schauplätze und eine erhöhte Polemik der Protagonisten gegen sich selbst (insbesondere Max) nicht weiter. Daß reife Männer sich immer noch mit pubertären Problemen und Idealen befassen, bringt zwar einen gewissen Charme und einige Bonmots mit sich, doch irgendwann beginnt der Seelenstriptease zu langweilen. Die zu Beginn vorhandene Vitalität beschränkt sich zusehends auf die Kamerabewegungen.
Klopfensteins Videokamera ist immer nah dran am Geschehen und verhält sich wie ein eigenständiger dritter Wanderer erfrischend spontan. Bei Max' einsamen Streifzügen durch Apulien überwiegen Totalen. Der Film ist relativ langsam geschnitten, Plansequenzen binden die Protagonisten stark in Räume und Landschaften ein. Manchmal schaffen das Keuchen der Wanderer und die Steine, die unter ihren Füßen knirschen, einen suggestiven Bewegungstrott, der – auf der Tonspur von bluesigem Banjo untermalt – atmosphärisch an Roadmovies erinnert.
Wenn sich im Vergleich zum vorhergehenden Kurzfilm ein neuer und vergnüglicher Aspekt findet, dann die ironisch übersteigerte Unfähigkeit der beiden, der Schweiz und ihrem Schweizertum zu entrinnen. Ziehe in die Fremde und erkenne dich selbst: Zu den zentralen Fragen des Daseins stoßen Max und Polo erst auf Kamelrücken inmitten der Pyramiden von Gizeh: Genießt man Wurstsalat besser mit oder ohne Zwiebeln?