In sechs Kapiteln – »Ghetto«, »Auto«, »Techno«, »Sex«, »Drugs« und »Marroni« – und um sechs ProtagonistInnen strukturiert sich der als Kaleidoskop angeordnete Film Ghetto von Thomas Imbach, der sechs Jugendliche einer Zürcher Seegemeinde in ihrem Alltag begleitet. Eine Altersgruppe, die sich im Übergang von Schule zu Beruf befindet, die sich in ihrem letzten obligatorischen Schuljahr mit Berufswahl und Lehrstellensuche herumschlägt, zwischen Kindheit und Erwachsensein hin und her gerissen ist. Wir sehen jedoch keine linear chronologisch erzählte Geschichte über eine Gruppe heutige Jugendliche, bei der wir am Schluß das Gefühl haben zu wissen, wer wann wo welche Schwierigkeiten und Probleme hat. Ghetto führt an Bekanntes und Unbekanntes heran, an solches, das vielleicht an die eigene Jugend erinnert, und solches, das möglicherweise fern und befremdlich scheint. Dabei wird wenig erklärt und ausgedeutet. Ghetto wirft einen hinein in eine biographische Zeit und fordert das Publikum auf, zu sehen, zu hören und zu denken – und das tut man gern, weil die ausgewählten Jugendlichen alle auf ihre eigene Art »natural actors« sind und immer wieder von neuem überraschen und herausfordern. Das stereotype Bild der unerträglichen Schulklasse und Clique, mit dem wir in den ersten Filmminuten konfrontiert werden – laut, wild, uninteressiert und nachlässig in den Schulstunden, fies und gemein mit den Kleinen auf dem Schulhof – weicht mit jeder Minute neuen, anderen Bildern von Einzelpersönlichkeiten, die zu mehrdimensionalen Charakteren werden. Ebenso wie Klischeevorstellungen bedient werden, lösen sich diese wieder auf; sobald sich der Eindruck einstellt, man würde nun über ein Bild verfügen, es bewerten können, verflüchtigt es sich wieder. Auf die Flüchtigkeit von audiovisuellen Bildern und von biographischen Lebensabschnitten, wird in Ghetto mit einer zweiten Bildebene – die sich von beobachtenden oder Interview-Momenten mit den Kids abhebt – verwiesen: kunstvoll gestaltete (auf Zelluloid gedrehte) Landschafts-, Architektur-und Naturbilder von malerischer Qualität, die immer nur für einen kurzen Moment auf der Leinwand erscheinen.
Ghetto wird im Laufe seiner Dauer immer mehr auch zu einem filmischen Nachdenken über das Medium; über Darstellung, Schein und Sein. Die beobachtende (Digitalvideo-)Kamera (virtuos geführt von Jürg Hassler und Thomas Imbach) gibt sich als Katalysator preis. Die Teilnahme der Kameramänner wird transparent und damit auch zu einer explizit diskursivierenden Instanz der Filmherstellung. Dani: »Wenn ihr mich filmt, konzentriere ich mich automatisch mehr.« Xhumi zu Imbach: »Alle Männer sind Machos.« Imbach (offscreen): »Ja? Weshalb?« Xhumi wendet sich an die Kamera (Hassler) und fragt: »Ist er ein Macho?«
Auf Atis Frage: «Seid ihr nun ordentliche Filmer oder nicht?« antwortet man am Schluß gerne mit ja, weil Verführung und Versuchung des Mediums formal ausgelotet werden.
Dani: »Jetzt wißt ihr, was in der Berufswahl gelaufen ist, war halt nicht so interessant für euch – ich hab' mich entschieden, aber das habt ihr ja nicht filmen können. Das ist in meinem Kopf passiert.«