Der nachhaltigste Neuseeland-Eindruck ist für viele Besucher das Licht in der Landschaft. Sonnenuntergänge etwa sind selten rot – was Schwebeteilchen, meist industrieller Herkunft, in der Luft voraussetzt –, sondern von vibrierendem Goldtürkis. In Ian Munes Film The End of the Golden Weather (1992), Jane Campions The Piano (1993) und Peter Jacksons Heavenly Creatures (1994) kann man diese Lichtspiele auf der Leinwand miterleben. Sie verorten die Spielhandlung unmißverständlich in Aotearoa (Maori für »Neuseeland«), Und nicht selten dienen sie auch dazu, die Emotionen der Filmprotagonisten zu unterstützen oder zu konterkarieren.
In einer derart belichteten Landschaft haben wir es mit dem Erhabenen zu tun. So tanzt Flora (Anna Paquin) in The Piano vor der tosenden Südseebrandung. So verleiht ihre stumme Mutter Ada (Holly Hunter) der ebenso stummen Mutter Natur in Gestalt des subtropischen Busches musikalische Sprache, die sich zu einer leidenschaftlichen synästhetischen Symphonie aus Licht, Landschaft und Klang verdichtet. Und dann kann es geschehen, daß man im dezemberlichen Hamiltoner Freiluftkino am Stadtsee oder im Zeltplatzkino von Araroa – dem wohl ältesten seiner Art in der südlichen Hemisphäre – sitzt und die Filmlandschaft mit der sie umgebenden Natur verschmilzt. Bis die knisternden Kartoffelchips-Tüten der Nachbarn und die allgegenwärtigen blutsaugenden Sandfliegen einen daran erinnern, was filmische und empirische Realität unterscheidet.
Allzuselten geschieht es jedoch, daß neuseeländische Lichtspiele auch in neuseeländischen Lichtspieltheatern zur Aufführung kommen. Die Mehrzahl der in den Kinos Aotearoas gezeigten Streifen sind Import. Ihr weitaus größter Teil kommt von der anderen Pazifikseite: aus Hollywood. Die große Nachfrage nach Filmen, die Orte, Zeiten und vor allem Mentalitäten präsentieren, die weit von der Umgebung und Zeitgenossenschaft ihrer neuseeländischen Zuschauer entfernt sind, wird oft mit dem Bedürfnis erklärt, in der geographisehen Abgeschiedenheit des Südpazifiks an den »Weltereignissen« teilhaben zu wollen – vor allem solchen, die in den kulturellen Zentren der westlichen Welt vor sich gehen – oder sich der eigenen, auch präkolonialen Geschichte zu versichern. Doch selbst wenn man dieser Theorie einen gewissen Erklärungswert zugesteht, greift sie zu kurz. Zunächst konzentriert sie sich im Wesentlichen auf die europäischen Einwanderer in Neuseeland, die auch mit dem Maori-Wort »Pakeha« bezeichnet werden. Da die Mehrzahl der Pakeha ursprünglich über einen anglo-irischen Background verfügt, sollte man erwarten, daß vor allem das englische und das irische Kino stark rezipiert würden. Doch werden diese von amerikanischen Produktionen bei weitem überflügelt.
Und wie ist es zu erklären, daß in den kleinen Kinos der Ostküste, wo die Maori-Bevölkerung besonders zahlreich ist, Filme mit Arnold Schwarzenegger, aber auch Woody Allen stets erfolgreich laufen? Sollte Ernst Blochs Erklärung zutreffen, daß selbst die »Traumfabrik im verrotteten Sinn« gelegentlich noch utopische Spuren bewahrt? Daß das Filmmedium selbst es ermöglicht, Orte und Mentalitäten zu zeigen, zu denen der Normalzuschauer oft keinen unmittelbaren Zugang hat? Daß es Identifikation herausfordert und daß seine Wunschhandlungen und -landschaften eine Tendenz haben, »ins Parterre zu steigen«? Hauptgrund bleibt sicherlich die Dominanz der Traumfabrik-Verleiher und der Bewußtseinsindustriellen – auch im neuseeländischen Fernsehen –, die es insbesondere den kleinen Kinos ausgesprochen schwermachen, anderes als Massenware zu zeigen. Der Konzentrationsprozeß der Kinoketten und Verleiher hat sich zu Ungunsten der von der New Zealand Film Commission betreuten Werke in den letzten Jahren noch verstärkt, so daß Sight and Sound, das britische Filmmagazin, unlängst konstatierte, »daß die jüngste und vielleicht niederschmetterndste >Bekehrung< zur schönen neuen Welt die des kommerziellen Kinos Neuseelands ist«.
Die rarsten und scheinbar am schwersten erreichbaren Orte und Mentalitäten sind in Aotearoas Kinos oft die nächstliegenden, nämlich die eigenen. Wobei die Maori-Bevölkerung doppelt betroffen ist: Ist es für die von Pakeha finanziell und organisatorisch dominierte neuseeländische Filmindustrie schon schwierig genug, eigene Darstellungsformen und Distributionsmöglichkeiten zu entwickeln, so müssen die Maori-Filme und ihre Produzenten noch innerhalb der ohnehin kleinen und fragilen nationalen Filmszene um ihre Anteile ringen. Es wäre dennoch verfälschend, hier undifferenziert von Eigenem und Fremdem zu sprechen. Denn erstens würde dies voraussetzen, daß es Möglichkeiten einer klar umrissenen theoretischen »Wesensbestimmung« eines »Untersuchungsgegenstandes Filmkultur« und der dazugehörigen Produkte – etwa des amerikanischen, neuseeländischen, des Maori-Films – gäbe, was fragwürdig genug ist. Zweitens ignorierte eine solche Unterscheidung die konkreten, oft wechselnden, auch widersprüchlichen Erfahrungen von Produzenten und Zuschauern. Wie bestimmt man beispielsweise einen mit europäischem Geld in Kanada produzierten Film, der von einem australischen Verleih in einem Wellingtoner Kino gezeigt und von einer Gruppe neuseeländischer Studenten (Pakeha und Maori) sowie japanischen Kommilitonen diskutiert wird? Substanzmetaphysische Kategorien wie die des Nationalfilms müssen hier notwendig zu kurz greifen. Sie sind allenfalls konstruierte Grobraster mit eingeschränktem Erklärungswert – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Wirklichkeit der Filmkultur Aotearoas ist komplex: zunehmend postmodern und postkolonial. An den Lichtspielstätten Neuseelands kann man exemplarisch zeigen, wie globale filmische Massenkultur und die neuseeländischen bi- beziehungsweise multikulturellen Filmkulturen aufeinandertreffen, aber auch wie sie sich gegenseitig beeinflussen und wie Regisseure, Kameraleute und Schauspieler, neuseeländische Kultur(en) ihrem Publikum präsentieren. Sollten am Ende sogar die Spielstätten selbst von diesem (post)kolonialen Filmschaffen beeinflußt werden und auf es zurückwirken?
Mythische Schauplätze
»Es war ein Ereignis, beinahe eine delirierende Wahrnehmung, als ich, nachdem ich einige heimliche Stunden dem Tageslicht entzogen war und von anderen Welten gekostet hatte, nun die alte Marmortreppe hinunterhastete und mich beeilte [...].« Der hier in seinen Jugendjahren die ausgetretenen Marmortreppen des Aucklander »Regent Cinema« in einem Erinnerungstext noch einmal hinuntereilt, ist der Regisseur Peter Wells, Autor des Films Desperate Remedies (1993). Er ist so in Filmgedanken versunken und zugleich in Eile, weil er eigentlich für ein Examen lernen muß, daß er sich den Regenmantel verkehrt zuknöpft, was im subtropischen Aucklander Winterregen eine kleine Katastrophe garantiert. Zuvor vermeinte er auf der »vornehmen, beinahe hochmütigen Kinofreitreppe« Schönheiten zu sehen, mit »Schultern, weiß wie Schnee«, die sich auf vergnügliche Seitensprünge vorzubereiten oder vergangene Amouren zu salutieren schienen. Schließlich verläßt Wells das Filmtheater durch die schwere geschliffene Glastür und sieht: »Leute vorübereilen, links, rechts, ein Fries aus täglichen Bedürfnissen. Es regnet nur noch leicht, ein zerbrechlicher Wasserfall. Die Gullis quellen über, Wolken aus Licht steigen herab. In dem Moment rutscht die Sonne durch, und ich trete ein in das Tageslicht, die Schlucht der Queen Street überzieht sich mit Reif aus Licht, mit weißglühen den Strahlen, und ich bin unsäglich glücklich, weil ich nun eines sicher weiß: Mein Leben ist ein Film. Und was ich sehe, ist Auckland, Neuseeland; mein Heimatland ist ein mythischer Ort.«
Das Filmtheater als Höhle, Palast und Tempel; es ist bezeichnend, daß nicht allein der Film selbst, sondern zunächst die Freitreppe des Kinos die Imagination von Peter Wells in Bewegung versetzt. In derartigen Filmpalästen also findet die kinematographische Primärsozialisation der urbanen neuseeländischen Filmemacher statt, die sie – wie ihre Generationsgenossen weltweit – auch den Erbauern und Betreibern dieser Traumtempel verdanken. In diesen eigenartigen Kunstorten, oder genauer: auf ihren Schwellen zur Stadt, zum Licht, Initiationen in den Traum und die Welt, findet die Uroffenbarung aller Cineasten – und vielleicht der Moderne schlechthin – statt: das Leben als Film. Peter Wells' »Regent« steht stellvertretend für eine ganze Anzahl von prächtigen neuseeländischen Lichtspielhäusern, die alle zwischen den zwanziger und fünfziger Jahren entstanden sind. Viele sind längst zweckentfremdet, dienen wie ähnliche Kinobauten in Europa oder den USA als Möbellager oder Supermarkt. Das Hamiltoner »Carlton« etwa, das zu seiner Bauzeit zehn Prozent der gesamten Stadtbevölkerung der heute viertgrößten Stadt Aotearoas aufnehmen konnte, dient derzeit als Kirche. Die Erzkonkurrenz des »Regent«, das »Civic«, existiert noch als Kino – auch wenn es hinter der mondänen Fassade in viele kleinere Komplexe parzelliert ist. Besser erging es manchen Filmtheatern in den Kleinstädten, deren Ladenmieten nicht durch Souvenirläden und Fast-foodOutlets hochgetrieben wurden, dem Miniatur-»Regent« in Te Awamutu etwa, das seinen alten Charme mit handgemalten Schildern und Auslegeware aus den Sechzigern bewahrt hat – trotz der neuen Popcorntrommel.
Das »Leben als Film« ist ein exaltiertes, mitteilsames; eines, das durch eine abgehobene Perspektive – diejenige von Zuschauern und Kritikern – wahrgenommen werden kann, von einem Standpunkt aus, den in der Vormoderne Gott allein noch innehatte. Zugleich büßt es an Unmittelbarkeit ein, was es an Grandiosität gewinnt, wie bei allen ähnlichen romantischen Operationen (das »Leben als Roman«), in denen Subjektivität in einem ästhetischen Medium hergestellt werden soll. Und es ist weitgehend den Kodizes der herrschenden kinematographischen Ästhetik – des Hollywood-Films – ausgeliefert. 1940, gut zehn Jahre nach der Eröffnung des »Civic«, formulierte der Cineast Gordon Mirams es so: »Wenn man unsere Nationalität einmal rückblickend analysieren sollte, wird man drei Begriffe finden, die dem neuseeländischen Herzen eingeschrieben sind: >ANZAC< [Australian New Zealand Army Corps], >Hollywood<, und >Home< [Großbritannien]«. Vor allem in den letzten beiden Komponenten dieses kolonialen Bezugssystems sind Werte, Normen, Wirklichkeiten, all das, was Subjektstatus verheißt, in einer räumlichen und kulturellen Ferne verankert. Und nicht wenige Neuseeländer mögen geglaubt haben – und heute noch annehmen –, daß die dort produzierten schillernden Filmrealitäten auch von einer gesellschaftlichen Wirklichkeit getragen werden.
In Bruce Morrisons Constance (1984) wird dieser Komplex rückblickend problematisiert: Der Protagonistin, die in den Aucklander Kinopalästen der vierziger Jahre vor den Aufnahmen von Rita Hayworth und anderen Hollywood-Schönheiten zum andächtigen Standbild erstarrt, bietet sich die Gelegenheit, selbst mit einem Hollywood-Photographen zu arbeiten, und sie meint, damit an der transpazifischen Glamourwelt teilhaben zu können. Doch am Ende muß sie am eigenen Leib erfahren, daß die ästhetische und sexuelle Politik Hollywoods auf skrupelloser Gewaltanwendung beruhen kann. Mit viel düsterem Tiffany-Glas, mit Rimu – einer dunklen einheimischen Holzart – ausgekleideten Wohnzimmern und schwarzen Limousinen produziert und entlarvt Morrison den Schein bürgerlicher Fassade aus Wohlanständigkeit und Glücksversprechen, der sich heuchlerisch vor Inzest und Macht geschoben hat und der etwas von der Oppression und Grausamkeit der ganzen Epoche erahnen läßt. In Peter Jacksons auch international hochgelobtem Heavenly Creatures werden sowohl dokumentarische Selbstbilder der bürgerlich-kolonialen Stadt Christchurch der fünfziger Jahre als auch Kino-Ikonen der Epoche als Hintergrund für die Geschichte eines Muttermordes herangezogen, der 1952 als wahre Begebenheit das ganze Land erschütterte. Vor dem »Theatre Royal« zum Beispiel beginnt in Jacksons Film eine mit Angst-Lust aufgeladene Jagd durch Christchurch, in der ein aus The Third Man entsprungenes Orson-Welles-Gespenst die beiden Teenager Juliet (Kate Winslet) und Yvonne (Melanie Lynskey) durch die Straßen hetzt, bis die beiden am Ende in kathartischer Erschöpfung in eine Badewanne sinken und ihren eigenen Mordphantasien nachgehen. Sie tragen starke, vielleicht zu starke Züge der narzißtischen Generation der neunziger Jahre, obwohl die Oppressionen der Fünfziger im Streifen deutlich zutage kommen, vor allem in den Schulszenen, die in Kontrast zu der Welt im Kino und den – auch dunklen – Phantasien der Teenager stehen.
Fremdbilder – Selbstbilder
Die kolonialistischen Zerrbilder Hollywoods werden aber auch schon früher problematisch, nämlich als sie sich in den zwanziger Jahren bereits der »Exotik« Neuseelands zuwenden. Einige dieser Produktionen werden in Neuseeland selbst nie gezeigt, in anderen werden Orte und Geschichten beliebig zu »Südseefilmen« montiert. Alexander Markey wird von den Universal-Studios beauftragt, einen Maori-Film herzustellen, der schließlich unter dem Titel Hei Tiki (1935) erscheint. Markey nutzte die Gastfreundschaft und Kooperationsbereitschaft der Maori schamlos aus. Unter anderem soll er Maori-Taonga (kulturell beziehungsweise kultisch wichtiges Erbe) entwendet haben. Eine Gruppe von Maori reiste später in die USA, um das gestohlene Erbe zurückzuholen. Das eigene Erbe in fremden Händen: Inhalt auch des 1991 von Billy Barclay hergestellten Films Te Rua.
Parallel zu ähnlichen Nicht- und Mißrepräsentationen wuchs bereits in den zwanziger Jahren das Bewußtsein für die Notwendigkeit der Selbstdarstellung(en) auch in kinematographischer Hinsicht. Dabei wurde selbst der Dominion-Regierung klar, daß vor allem die Maori-Kultur eine »Besonderheit des Landes« ist, der es sich zu versichern galt: Sechzig Jahre nach Ende der räuberischen Landkriege gegen die Maori um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts war deren Bevölkerungszahl immer noch auf einem Tiefstand. Um die Jahrhundertwende mußte man gar befürchten, daß die Kultur – aus der sich nicht zuletzt auch touristisches Kapital schlagen ließ – ganz ausstürbe. Mit den ersten von Pakeha gedrehten Verfilmungen von Maori-Geschichten und Maori-Themen (Hinemoa, 1917; Rewi’s Last Stand, 1926; The Te Kooti Trail, 1927), aber auch mit den von der Regierung in Auftrag gegebenen The Birth of New Zealand (1922) und Glorious New Zealand (1925) wurde ein Neuseeland-Bild produziert, daß zwar von einer Pakeha-Perspektive ausging, die Maori jedoch wenigstens teilweise in diese Selbstkonstruktion mit einbezog. Und sei es nur als ehrenvolle Gegner der einstigen Landkriege und als traditionell »schöne Wilde«, für deren vermeintliche »Selbstdarstellung aus Stolz und Eigensinn« man mit Blick aufs Überseepublikum nicht undankbar war. Es muß davon ausgegangen werden, daß ein großer Teil der städtischen Pakeha-Bevölkerung – schon 1925 lebten weit mehr als die Hälfte, heute drei Viertel aller Neuseeländer in Städten – ihre Maori-Vorstellungen zu nicht geringem Maß aus Filmen bezog.
1925 entsteht John O'Sheas von Pacific Films produzierter, für die ästhetische und politische Emanzipation der Maori so wichtiger Film Broken Barrier, der erstmals die Liebesgeschichte einer Maori-Frau und eines Pakeha-Mannes erzählt, wenngleich immer noch stark aus der Pakeha-Perspektive und mit viel traditioneller Geschlechtersymbolik. Man darf jedoch nicht vergessen, daß in dem Land, das weltweit als erstes das Wahlrecht für Frauen eingeführt hat, Filmvorführungen mit Geschlechtertrennung noch in den sechziger Jahren gang und gäbe waren.
Erst in den siebziger Jahren wurde wieder eine Reihe nennenswerter Spielfilme produziert, von denen To Love a Maori (1972) die mehr als fünfzigjährige wechselvolle Karriere des Filmpioniers Rudall Hayward abschloß. 1974 starb dieser auf einer seiner vielen Reisen, die er unternahm, um seine Filme vorzuführen und sich den Fragen des Publikums zu stellen. Mit dem »Treaty of Waitangi Act« von 1975, der es erstmals erlaubte, die Vertragsbrüche der 1840 zwischen Maori-Vertretern und der britischen Krone ausgehandelten Verfassung zu untersuchen, begann ein politischer Dekolonisierungsprozeß, der nicht zuletzt von Filmemachern vorbereitet und begleitet wurde.
»Tangata Whenua« heißen die ursprünglichen Bewohner des Landes, im Gegensatz zu den späteren Einwanderern. Unter dem Titel Tangata Whenua startete 1974 erstmals ein Fernsehprogramm, das einzelnen Maori, Hapu (Unterstämmen) und Iwi (Großstämmen) Gelegenheit gab, kulturelle und politische Anliegen in eigener Regie darzustellen. Der Sendeanteil im Fernsehen, auch und gerade in »Te Reo Maori«, der Maori-Sprache, wurde für die Tangata Whenua in dem Maß immer wichtiger, als die Kinos ihr Monopol verloren und sich eine städtische Maori-Kultur entwickelte (1971 lebten bereits 65 Prozent aller Maori in Städten), die sich zum Teil schnell von der für die Maori-Kultur so wichtigen Bindung an Land und Tradition der Vorfahren entfernte.
Eine Reihe von Maori-Filmemachern wandte sich sowohl den sich verändernden Lebensbedingungen auf dem Land (Ngati von Barry Barclay, 1987; Mauri von Merata Mita, 1988) als auch der oft durch Identitätsprobleme und Traditionsbrüche gekennzeichneten städtischen Maori-Kultur zu (Once Were Warriors; Broken English, Gregor Nicholas, 1996). Auch historische und mythische Rekonstruktionen der Maori-Kultur machten in den Achtzigern und Neunzigern auf sich aufmerksam. Bemerkenswert ist, daß Lee Tamahoris Once Were Warriors im Erstaufführungsjahr mehr als acht Prozent der nationalen Filmeinnahmen einspielte. Dieses verbreitete Interesse an eigenen, auch problematischen Themen Aotearoas ist sicherlich ebenfalls – neben den verschiedenen Filmförderungseinrichtungen – eine Erklärung für die jüngsten Erfolge des neuseeländischen Films: Neuseeländische Regisseure können auf die Unterstützung und Rückmeldungen heimischer Zuschauer bauen und vertrauen. Doch trotz der Tatsache, daß Neuseeland eine der höchsten Kinobesucherzahlen in der Welt hat – was vermutlich auch mit der traditionellen Treffpunktfunktion des Kinos, insbesondere auf dem Land, zu tun hat –, ist der Markt zu klein, um eine größere Filmindustrie zu ermöglichen. Viele Regisseure wandern daher in die USA oder nach Europa ab.
Eines der längsten und interessantesten Projekte der (Dokumentar-)Filmgeschichte ist wohl Merata Mitas Mana Waka (1990). Merata Mita hatte ihre ersten Filme nicht in einem Kinopalast, sondern im Whakaue-Marae – ein Marae ist ein Maori-Versammlungshaus für gesellschaftliche und kultische Zusammenkünfte – gesehen. Ab 1989 rekonstruierte sie mit Hilfe des New Zealand Film Archive den Film, der in den dreißiger Jahren von der Maori-Prinzessin Te Puea in Auftrag gegeben wurde und den Bau eines Kriegskanus zeigt. Alle traditionsbewußten Maori führen ihren Stammbaum auf eines der legendären zwölf Kanus zurück, welche die ersten Maori von der mythischen Urinsel Hawaiki ins »Land der langen weißen Wolke« (dies die Bedeutung des Maori-Wortes »Aotearoa«) brachten. Die Gemeinschaft der Kanufahrer steht für die Gemeinschaft aller Ahnen wie für die Fahrt durchs menschliche Leben schlechthin. Der Kanubau ist daher ein Akt kollektiver Spiritualität. Wegen Geldmangels und öffentlichen Desinteresses konnte Te Pueas Film zum Jahrhundertfest des Vertrages von Waitangi 1840/1940 nicht gezeigt werden. Zudem war es beim damaligen Drehen auch umstritten, ob das Mana (»die Würde, das Prestige«) des Kanus und der Gemeinschaft im filmischen Medium angemessen bewahrt werden könnte. Als Merata Mita den Film jedoch in Te Pueas Turangawaewae-Marae unter Beteiligung seiner Bewohner zusammenfügte und schließlich am Ort seines Entstehens (später national und auch in Übersee) zeigte, wurde ihre Hoffnung erfüllt, daß »Filme uns das Lehen aus der Perspektive anderer nahebringen und uns einladen, ihre Träume, Hoffnungen und Visionen mitzuerleben«.
Daß Filme an den Orten ihrer Produktion auch vornehmlich zur Erfüllung narzißtischer und voyeuristischer Zwecke vermarktet werden können, zeigte bereits eine Serie von (23!) Schmachtfetzen, die »girls of our own town« unter Titeln wie Natalie of Napier, Winifred of Wanganui und Patsy of Palmerston in den lokalen Kinos der Zwanziger mit großem Erfolg zeigten. Narzißmus und Mystifizierung waren denn auch Thema eines Film-Jokes, der 1995 unter dem Titel Forgotten Silver im Fernsehen lief. Angeblich hatte man einen großen vergessenen Filmemacher entdeckt, der gigantische Studios im entlegenen Busch betrieben hatte. Größen der neuseeländischen Filmszene diskutierten den mythischen Kollegen mit ernster Miene, um am nächsten Tag April, April! zu rufen – (Selbst-)Ironie und Diversifikation, ein wachsendes Bewußtsein für die Eigenrepräsentation der verschiedenen kulturellen Gruppen: Der neuseeländische Film scheint endgültig in der Postmoderne angekommen zu sein.