VINZENZ HEDIGER

BESSER UND BESSER (ALFREDO KNUCHEL, NORBERT WIEDMER)

SELECTION CINEMA

Wie lebt es sich Mitte der neunziger Jahre in einem durchschnittlichen Schweizer Einfamilienhausquartier? Der Berner Alfredo Knuchel erfragt in seinem ersten Dokumentarfilm besser und besser die Befindlichkeit einer Familie aus den inneren Randbezirken des Landes. Während anderthalb Jahren begleitete er den 61jährigen Armin B. und seine Familie aus Thun mit der Kamera. Er erzählt eine Familiengeschichte, die an Ereignissen zwar reich, zugleich aber unspektakulär und alltäglich ist. Armin B. war zwei Jahre lang arbeitslos und wurde ausgesteuert. Gemeinsam mit seiner Frau Marlies richtete er im Keller seines kleinen Einfamilienhauses ein Lichtpausenatelier ein und lebt nun von den Aufträgen der Architekturbüros in der Umgebung. Ihr Sohn Markus ist arbeitslos und drogensüchtig. Sein älterer Bruder ist vor einigen Jahren an einer Überdosis Heroin gestorben.

Knuchel beobachtet die Familie bei der Arbeit, er begleitet Armin im Auto, wenn er Lichtpausen ausliefert, und Markus, als er eine Entziehungskur beginnt. Momentaufnahme reiht sich an Momentaufnahme; Zug um Zug werden wir mit den inneren Zerwürfnissen der Familie vertraut gemacht. Knuchel unterschneidet das dokumentarische Material mit monochromen Impressionen einer typischen Vorstadtarchitektur, von zufällig ausgewählten Ausschnitten aus Lokalradiosendungen begleitet. Diese werden um eine dritte, symbolische und reflektive Ebene ergänzt: Szenen, in denen Armin mit einem Aare-Fährmann über seine Gefühlslagen, seine Träume, Wünsche und Hoffnungen spricht.

Armin B. ist unzweideutig die Hauptfigur von besser und besser. Knuchel beabsichtigte ursprünglich, seinen Film weniger auf eine bestimmte Person auszurichten. Armins Bereitschaft, sein Leben vorbehaltlos vor der Kamera auszubreiten, gab dem Projekt einen neuen Ausgangspunkt. Die Beziehung, die Armin B. zur Kamera entwickelt, ist denn auch das dramatische Kernereignis von besser und besser-. die Art und Weise, wie er sich und seine Familie dem filmischen Blick weniger aussetzt, als daß er diesen instrumentalisiert, um seinem Selbsterklärungsdrang stattzugeben. Er verhält sich letztlich wie jemand, der in einer der sogenannten day time talk shows auftritt. Er lebt und leidet für die Kamera und zieht daraus unübersehbar eine Art von Genuß. Knuchel allerdings schenkt dieser leisen Wollust an der Selbstentblößung keine besondere Aufmerksamkeit. Die reflektiven Einschübe vermögen jedenfalls nicht jene kritische Resonanz zu erzeugen, die Armins Verhalten einfordert, besser und besser hätte günstigenfalls eine Betrachtung über die Eigendynamik des Mediums und über seine Wirkungsmacht in einer von Medien strukturierten Gesellschaft werden können. Knuchel gibt sich mit etwas weitaus Spannungsloserem zufrieden: einem Stück Soziologie mit impressionistischem Gestus.

Vinzenz Hediger
geb. 1969, arbeitet unter anderem als Filmjournalist für eine größere Schweizer Tageszeitung.
(Stand: 2019)
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