PETER PURTSCHERT

»I EVEN LOST MY CAT« — TIERE ALS NEBENFIGUREN IN THE LONG GOODBYE VON ROBERT ALTMAN

ESSAY

Es existieren verschiedene Photographien von Raymond Chandler, auf denen er eine Katze im Arm hält. Der Privatdetektiv Philip Marlowe, Chandlers bekannteste Schöpfung, hat aber in seiner ganzen Karriere in Literatur und Kino nur einmal eine Katze besessen. Robert Altman hat ihm für den Film The Long Goodbye (USA 1973) eine gegeben.

1991 hat Altman in einem Gespräch über The Long Goodbye mit Michael Wilmington gesagt: »Die Katze ist gut, was? Aber wissen Sie, wenn diese Szene im Drehbuch stehen würde - >er [Marlowe] kümmert sich zehn Minuten um die Katze< -, wenn das in einem Drehbuch stehen, einem Produzenten gezeigt und gesagt würde: >Das ist die erste Szene<, würde man sofort rausfliegen, denn so etwas gilt nicht als umsetzbar.«

The Long Goodbye beginnt so: Marlowe (Elliott Gould) erwacht angezogen mit schwarzen Hosen und weißem Hemd im Bett seines etwas schlampig eingerichteten, aber keineswegs spartanischen oder unmodischen Appartements, weil ihm eine Katze miauend auf die Brust springt. Marlowe wirkt verkatert, ist unrasiert, greift als erstes zu einer Zigarette und schaut auf den Wecker: Es ist drei Uhr morgens. Marlowe sucht in der Küche Katzennahrung, findet aber nur leere Futterbüchsen im Abfall. Er mischt aus Speiseresten, Quark und einem rohen Ei etwas zusammen und bestreut es mit Salz. Die Katze schnuppert daran und läßt es stehen. Marlowe verläßt die Wohnung und fährt zu einem 24-Stunden-Supermarkt. Dort will er Dosenfutter der Marke Gury kaufen, das einzige Futter, das die Katze seiner Meinung nach frißt. Er findet die Sorte nicht und fragt einen Ladenangestellten danach. Dieser empfiehlt: »Kaufen Sie doch irgend etwas, es ist alles der gleiche Mist.« Marlowe: »Sie haben wohl keine Katze?«

Zurück in seiner Wohnung, sperrt Marlowe die Katze aus der Küche. Er öffnet die gekaufte Dose, füllt das Futter in eine der leeren Cury-Büchsen und drückt einen Deckel darauf. Dann läßt Marlowe die Katze wieder in die Küche. Jetzt setzt er den Öffner an, dreht die Büchse durch das Gerät und kippt das Futter in den Katzenteller auf der Anrichte. Die Katze schnuppert nicht einmal daran, sondern verschwindet blitzschnell durch eine Fensteröffnung, über der eine Klappe befestigt ist mit der Überschrift: »el portón del gato«.

Die Katze wird im weiteren Verlauf des Films nicht mehr zu sehen sein. Marlowe wird sie suchen, aber nicht finden. Während der folgenden neunzig Filmminuten wird Marlowe dafür aber immer wieder Hunden begegnen.

Auf der Straße stellt sich ein Hund vor Marlowes Wagen (ein achtundvierziger Lincoln Continental mit den Buchstaben PVT EYE auf dem Nummernschild) und hindert ihn an der Weiterfahrt. Marlowe hupt und ruft ihm zu: »Los Asta, wenn ich hupe, heißt das, daß von dir erwartet wird, daß du aus dem Weg gehst.« Asta ist der Name des Hundes von Nick und Nora Charles in Dashiell Hammetts letztem Kriminalroman The Thin Man. Sie waren auch die Hauptfiguren einer MGM-Filmreihe aus den dreißiger und vierziger Jahren: ein Sprücheklopfendes, liebevolles, verheiratetes Detektivenpaar, das die Fälle, oft mit Hilfe ihres klugen Hündchens, ganz nebenbei und aus purem Spaß an der Sache löste.

Später stürmt im Haus einer Klientin ein Dobermann die Treppe hinunter, bellt Marlowe wütend an und treibt ihn in die Enge. Die Hundebesitzerin Eileen Wade (Nina van Pallandt) beauftragt Marlowe mit der Suche nach ihrem verschwundenen Gatten Roger. Der Dobermann begleitet sie beinahe bei jedem ihrer Auftritte und gehorcht ihr aufs Wort. Das unvermittelte Auftauchen des Hundes überrascht Marlowe, denn auf der Gartentür, durch die er in die Villa trat, stand einladend: »Guests«. Erst ganz am Schluß des Films, als Marlowe das Haus zum letzten Mal aufsucht, prangt ein großes, rotes »Beware of the Dog«- Schild an der Tür. Doch der Dobermann ist nun verschwunden, Marlowe trifft nur auf einige Angestellte einer Makleragentur, die das Haus räumen und für den Weiterverkauf vorbereiten.

Marlowe sucht in The Long Goodbye unter anderem auch nach seinem Freund Terry Lennox, dem er, ohne Fragen zu stellen, geholfen hat, in Mexiko unterzutauchen. Marlowe erfährt später von der Polizei, daß Lennox zuvor seine Frau erschlagen und sich später in Mexiko umgebracht haben soll.

Als Marlowe im abgelegenen Octatlan aus dem Bus steigt, trabt ein kleiner Köter heran und schnüffelt hinter ihm her. Marlowe überquert einen Platz mit einigen wenigen Marktständen und geht langsam aus dem Bild. Die Kamera bleibt auf eine Gruppe herumstreunender Hunde gerichtet und zoomt auf einen Rüden, der eine Hündin bespringt. Diese verhält sich einen Moment lang still, dann beginnt sie zu jaulen und schnappt nach dem Rüden. Robert P. Kölker bezeichnet diese Szene in A Cinema of Loneliness als »das beste Beispiel der oft erwähnten Improvisationsmethode bei Altmans Regieführung«.

Gleich anschließend sitzt Marlowe mit einem Polizeioffizier und dem Leichenbestatter beim Kaffee. Diese schildern bemüht würdevoll Lennox’ angeblieben Selbstmord und Begräbnis und legen Photographien des Toten vor. Marlowe gibt sich zufrieden und reist ab.

Später vermutet Marlowe, daß Lennox doch noch lebt und mit seiner Geliebten Eileen Wade in Mexiko ein neues Leben angefangen hat. Er fährt nochmals nach Octatlan. Diesmal wird die Szene mit der Großaufnahme eines Hundes eingeleitet, der sich wohlig im Straßenstaub wälzt. Marlowe besticht die Federales und erfährt, wo Lennox sich versteckt.

In der nächsten Sequenz stellt Marlowe Lennox zur Rede. Er nennt die Dinge beim Namen: Lennox sei ein Mörder und habe seine Freundschaft und sein Vertrauen auf schäbige Art und Weise mißbraucht. Lennox antwortet: »Dafür sind Freunde doch da! Wen interessiert das schon? Marlowe, du bist der geborene Verlierer!« Marlowe: »Ja, ich habe sogar meine Katze verloren.« Es ist sein letzter Dialogsatz im Film. Dann schnippt Marlowe seine Zigarette weg, erschießt Lennox und spuckt aus. Auf dem Weg zurück ins Dorf kreuzt Marlowe Eileen Wade. Sie hat ihren Dobermann nicht mehr dabei. Marlowe beachtet sie nicht und beginnt auf einer winzigen Mundharmonika zu spielen, macht ein paar Tanzschritte. Dazu erklingt die Melodie von »Hooray for Hollywood«.

Bei seiner Lancierung im Frühjahr 1973 zerrissen die Kritiker The Long Goodbye in der Luft. Sie bemängelten vor allem das Filmende. In Sight and Sound schrieb Charles Gregory: »Marlowes Tat macht seine Fans wütend. [...] Ohne die Rituale des Genres, ohne den Gut-Böse-Konflikt des private eye-Films, wären wir verloren. Sie sind die letzte Affirmation einer möglichen Gerechtigkeit in einer Gesellschaft, in der sich Beweise für das Gegenteil häufen.« Und Jay Cocks im Time Magazine-. »Jede Ähnlichkeit zwischen dem Buch und diesem Film ist nicht nur zufällig, sondern geradezu verleumderisch. [...] Es ist seltsam zu sehen, wie sich Altman über ein Niveau lustig macht, von dem er im besten Fall nur träumen kann.«

Das Publikum blieb zu Hause, worauf United Artists den Film zurückzog. Im Oktober 1973 wurde er in New York nochmals gestartet, und Pauline Kael scheute sich nicht, ihn im New Yorker ausführlich zu loben. Er fand nun etwas mehr Zuschauer und eine kleine Fan-Gemeinde unter den Kritikern.

Konfrontiert mit dem Mißerfolg, für den er vor allem ein falsches Marketingkonzept verantwortlich machte, erklärte Altman 1974 in einem Interview in Film Comment-, »Man könnte sagen, das eigentliche Rätsel von The Long Goodbye ist die Frage, wohin Marlowes Katze verschwunden ist. Ich baute den Film in Sequenzen auf, und ich bin der Ansicht, das Wichtigste in diesem Film war, mit der Katzenszene zu beginnen. Das klärte das Publikum darüber auf, daß das nicht mehr Humphrey Bogart sein wird. Dieser Marlowe ist tot. Das war >der lange Abschiede der Abschied von einem Genre, das nicht mehr zumutbar ist.«

Die Drehbuchautorin Leigh Brackett, die fünfundzwanzig Jahre zuvor zusammen mit Howard Hawks The Big Sleep (1943) adaptiert hatte, schätzte die Rolle der Detektivfigur ähnlich ein: »Goulds Marlowe ist zu Recht ein einfacher Mensch; ehrlich, voller Vertrauen und integer. Alles, was wir taten, war die Figur von ihren falschen heroischen Eigenschaften zu befreien. [...] Wir waren der Meinung, ein solcher Mann sei nicht kantig, sondern werde herumgeschubst. Die Leute nehmen ihn nicht ernst. Sie verstehen nicht, worum es ihm geht. Es ist ihnen egal. So wird Marlowe zum >Tolpatsch< anstatt zum harten Jungen.«

Der Mythos der Marlowe-Figur entstand mit den frühen Romanen von Chandler, wurde dann aber vor allem durch die Verfilmungen der vierziger Jahre und die Verkörperung durch Humphrey Bogart genährt. Die Figur nahm fast übermenschliche Züge an: ein glasklarer Charakter, hundertprozentig integer, absolut unbestechlich auch im Urteil über seine Mitmenschen und immer auf der Höhe des Geschehens. Dieser Marlowe machte, mit ganz wenigen Ausnahmen, keine Fehler und löste jeden Fall. Chandler selbst hatte Marlowe aber schon seit Anfang der fünfziger Jahre mehr als Verlierer gesehen. Als er mit einigen Zweifeln den letzten Marlowe-Roman schrieb, antwortete er auf die Zuschrift eines Lesers: »Ich bin nicht der Meinung, daß mein Freund Philip Marlowe sich Gedanken darüber macht, ob er eine gereifte Persönlichkeit ist [»has a mature mind«]. [...] Falls jemand unreif ist, wenn er gegen eine korrupte Gesellschaft revoltiert, dann ist Philip Marlowe sehr unreif. [...] Selbstverständlich ist Marlowe ein Versager, und er weiß es. Er ist ein Versager, weil er kein Geld hat. Ein Mann, der ohne körperliche Handicaps keinen anständigen Lebensunterhalt verdienen kann, ist immer ein Versager und meistens ein moralischer Versager. Sehr viele gute Menschen sind Versager, weil ihre besonderen Begabungen nicht ihrer Zeit und ihrem Ort entsprechen.«

In Altmans Verfilmung von The Long Goodbye kommt Marlowe meistens zu spät oder macht Fehler. Er findet zwar Roger Wade und kann ihn aus den Händen eines Quacksalbers befreien. Marlowe kann aber weder verhindern, daß Wade vor seinen Freunden von diesem Doktor gedemütigt wird, noch daß er sich danach umbringt. In der Affäre um Terry Lennox hinkt Marlowe konstant einen Schritt hinterher und muß sich am Ende mit den Tatsachen abfinden. Marlowe gewinnt im Verlauf der Geschichte keinen einzigen neuen Freund. Im Gegenteil: Er braucht sehr lange, bis er merkt, daß sein alter Freund Lennox und dessen Geliebte Eileen Wade ihn für ihr trübes Spiel benutzen. Zwischen Roger Wade und Marlowe scheint vorübergehend eine gegenseitige Sympathie zu bestehen, doch dann schaut Marlowe tatenlos zu, wie Wade gedemütigt wird und dieser sich schließlich umbringt. Marlowes einzige Zuneigung gilt seiner Katze. Er vertreibt sie mit dem Versuch, sie beim Füttern zu überlisten.

Altman hat den Schauspielern empfohlen, nicht den Roman, sondern die Materialsammlung Chandler Speaking, in der auch der zuvor zitierte Brief Chandlers abgedruckt ist, zu lesen. Er nennt die Detektivfigur Rip van Marlowe. »[Marlowe ist, wie Rip van Winkle,] einer, der nach zwanzig Jahren aufwacht und herausfindet, daß es einfach unmöglich ist, sich anzupassen. Er glaubt einzig an einen Freund: zu Unrecht.« Das Plakat für die zweite Lancierung des Films zeigte ein Bild von Elliott Gould mit einer Katze auf der Schulter und einer Büchse Katzenfutter in der Hand mit der Unterzeile: »I have only two friends in the world. One is a cat. The other is a murderer.«

Auf dem Plakat für den ersten Kinostart war zu Altmans Leidwesen ein Bild von Gould als tough guy mit einer 45er-Magnum in der Hand zu sehen gewesen.

Die frühen siebziger Jahre waren in den USA eine schwierige Zeit: die Kriegsverbrechen in Südostasien, die Niederlage in Vietnam und der Watergate-Skandal prägen das politische Klima. Die CIA hat beim blutigen Militärputsch in Chile die Hände im Spiel, die Bürgerrechtsbewegungen für die Gleichstellung der afroamerikanischen Minderheit und gegen den Krieg sind isoliert und massiven Repressionen ausgesetzt. Aber auch der weiße Mittelstand und die Oberschicht haben an Selbstwertgefühl eingebüßt.

Die einzige Figur in The Long Goodbye mit einem ungebrochenen Selbstbewußtsein ist der Gangsterboß Marty Augustine (Mark Rydell). Er ist aufbrausend, stolz auf seine ethnische Zugehörigkeit und wütend auf Marlowe, »weil ich mich um dich kümmern muß und am Freitagabend nicht in der Synagoge sein kann«. Er liebt, wie er ihm als nächstes mitteilt, seine Familie und bezeichnet Marlowes Wohnung als Bruchbude. »Weißt du, wo ich wohne?« fragt er Marlowe und antwortet gleich selbst: »Im Trousdale Estate. Präsident Nixon ist mein Nachbar. Ich nehme dreimal die Woche Tennisunterricht auf meinem eigenen Court und bin in perfekter körperlicher Verfassung.« Dann schlägt er seiner Begleiterin (»die wichtigste Person in meinem Leben, außer meiner Familie«), die er zuvor mit großer Höflichkeit behandelt hat, eine Cola-Flasche ins Gesicht. Selbst seine Bodyguards sind schockiert über soviel Brutalität. »Das ist jemand, den ich liebe, dich hab’ ich nicht mal gern«, sagt Augustine als letztes zu Marlowe, welcher das Geld wiederbeschaffen soll, das Terry Lennox angeblich hat mitgehen lassen.

Unter solchen Bedingungen ist Marlowes freundschaftliche Treue und Ehrlichkeit ein sentimentaler Anachronismus.

Im Roman wird zu Beginn die Freundschaft zwischen Marlowe und Lennox geschildert, die auf gemeinsame Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg zurückgeht. In der Filmfassung leitet anstelle dieser Klammer die Sequenz mit Marlowe und der Katze die Geschichte ein.

Die Aktualisierung des Stoffes wird, neben Änderungen im Plot, sowohl von den Rändern her wie auch von innen heraus betrieben. Nicht nur das Dekor, sondern auch die Charakterisierung der Figuren wird angepaßt. Altman versucht diese mit jener Wahrhaftigkeit zu gestalten, die bei der Entstehung des literarischen Genres angestrebt worden war. »Die Morde sollen den Menschen zurückgegeben werden, die wirkliche Gründe dafür haben und die eine Sprache sprechen, die sie unter solchen Umständen auch wirklich benutzen würden. [...] [Ich will] ein Schema, bei dem der Akzent auf den handelnden Personen und den Problemen liegt, die sich im menschlichen Verhalten zeigen, wenn Verbrechen aufgeklärt werden«, hatte Chandler in den vierziger Jahren geschrieben.

Altmans Figuren nehmen differenzierte Charaktereigenschaften an und gewinnen eine emotionale Konstitution, die dem zeitgenössischen Kontext entspricht, indem Altman die Erzählung auf Alltägliches ausdehnt. Plotstruktur und Mythos, die vom Publikum aus Tradition und Konvention »automatisch« verstanden werden, sollen nicht mehr alleine die zentrale Aussage des Films formen. Vielmehr sollen die Zuschauer mit dichtgeknüpften, oftmals parallel verlaufenden Erzählsträngen, in denen Wichtiges und Nebensächliches abwechslungsweise oder gleichzeitig nebeneinander erscheinen, zum denkenden Sehen und Hören aufgefordert werden. Als künstlerischer Ansatz rücken die Fragen in den Vordergrund: »Wie gestaltet sich das menschliche Dasein, die condition humainet« und »Wie verhalten sich Menschen zueinander als Gesellschaft, wie stellen sie sich zur Macht und zum Staat?«

Es scheint paradox, daß in der komplexen Massengesellschaft der späten Moderne einfache Antworten und Lösungen bevorzugt werden. Die Anschaffung von Gütern wird zur allgemein üblichen Reaktion auf jegliches Gefühl von Mangel: Wer einsam ist, besorgt sich zum Beispiel ein Haustier. Wer ein Haustier hat, signalisiert: »Ich bin einsam, habe aber soziale Kapazitäten.« »Tierliebend« wird zu einem Synonym für »menschlich«.

Der Haustierbestand war in den USA seit der Depression bis zur Mitte der vierziger Jahre relativ zur Bevölkerungszahl zurückgegangen. Anfang der fünfziger Jahre begann die Zahl der Haustiere vor allem in den Städten rasant zu steigen und erreichte in den siebziger Jahren einen Höchststand.

1969 erschien ein Buch eines Dr. Levinson, der darin von seinen Erfahrungen mit Haustieren als therapeutischem Instrument für alle Arten von körperlichen und psychischen Krankheiten berichtet. Insbesondere verhaltensgestörten Kindern, einsamen Alten und von Herzinfarkt bedrohten Managern sollen Beziehungen zu Tieren (vor allem zu Katzen und Hunden) enorm geholfen haben. Levinson wurde in Fachkreisen belächelt, seine Ideen aber wurden von Therapeuten und Pädagogen aufgegriffen und fanden weite Verbreitung. Durch Haustierbetreuung sollten Kinder lernen, Verantwortung für andere Lebewesen zu übernehmen; Straffällige sollten bei der Pflege von Tieren erkennen, daß sie fähig sind, nützliche Mitglieder der Gesellschaft zu werden, und Drogensüchtige sollten dabei Nestwärme und eigene Beziehungsfähigkeit erleben.

Sigmund Freud durfte das Glück der Hundebegleitung erst spät in seinem Leben erfahren. Er soll gesagt haben, die Gefühle eines Besitzers für seinen Hund seien die gleichen, wie die von Eltern für ihre Kinder. Der einzige kleine Unterschied hege darin, daß es keinerlei Ambivalenz, kein Element von Feindlichkeit gebe.

Zumindest gegenüber Fremden können Hunde sehr feindselig sein. Marlowe muß das beim ersten Besuch bei seiner Klientin Eileen Wade erfahren. Der Dobermann bringt zum Ausdruck, was Marlowe hätte wissen müssen: Kommst du zu nahe, wirst du gebissen.

Marlowe besucht die Wades ein zweites Mal, um sich nach dem Befinden des Ehemanns, den er aus einer privaten Suchtklinik herausgeholt hat, zu erkundigen. Als Roger Wade Marlowe ins Wohnzimmer führt, knurrt der Hund Marlowe wieder an und fletscht bedrohlich die Zähne. Der angetrunkene Wade reizt den Dobermann mit seinem Gehstock. Der Hund schnappt nach dem Stock, doch Wade gibt ihn nicht aus der Hand. Wieder erscheint Eileen und beruhigt den Hund.

Im Hollywoodkino, geübt in der Verschleierung sexueller Verhältnisse, werden Tierfiguren oft zur Kodierung von sexualisierten Situationen eingesetzt. Es scheint beinahe eine Konvention zu sein, daß promiskuitive Figuren - insbesondere Frauen - mit einem Hund ausgestattet werden.

In der vorgängig beschriebenen Szene von The Long Goodbye weckt das Verhalten des Hundes sofort Wades Mißtrauen gegenüber Marlowe. Wade schickt Marlowe weg, inszeniert einen Streit mit seiner Frau und versucht herauszufinden, ob diese sich für Marlowe interessiert. Eileen erklärt, die Anschuldigungen seien lächerlich, weigert sich mit Marlowe und ihrem Mann zu dritt ein Gespräch zu führen, packt den Hund am Halsband und zieht ihn beim Weggehen neben sich her, während Wade Marlowe wieder herbeizitiert. Wade spricht alleine mit Marlowe und versucht, ihn über sein Verhältnis zu seiner Frau auszuhorchen, doch dieser gibt sich nur als harmloser Sprücheklopfer (»wisecracker«) und als Katzenbesitzer zu erkennen. Wade verliert in der Folge sein Interesse an der Frage, ob Marlowe sich für Eileen interessiert.

Tatsächlich ist Marlowe in keinem anderen Film gegenüber Frauen so entsexualisiert wie in The Long Goodbye. Im Appartement gegenüber seiner Wohnung leben mehrere Frauen, die sich spärlich bekleidet meist mehr oder weniger bekifft auf der Terrasse sonnen oder tanzen. Marlowe beachtet sie kaum. Die Polizisten und die Gangster, die Marlowe abwechselnd besuchen, können ihre Blicke kaum von den Frauen losreißen. »Mr. Marlowe, Sie sind der netteste Nachbar, den wir haben«, sagt eine der Frauen zu ihm, als er ihr aus dem Supermarkt eine Schachtel Kekse mitbringt, um die sie ihn gebeten hat. »Ich muß ein freundlicher Nachbar sein, denn ich bin ein private eye«, antwortet er und hängt die Phrase an, die er während des ganzen Films immer wieder benützt: »That’s okay with me.« Später erkundigt er sich nach seiner verschwundenen Katze. »Ich habe gar nicht gewußt, daß Sie eine Katze haben, Mr. Marlowe«, kichert die junge Frau. Die Katze ist in diesem Zusammenhang als weitere Kodierung von Sexualität zu verstehen: Marlowe wird immer wieder mit dem »Verdacht« konfrontiert, homosexuell zu sein: »Was brauche ich eine Katze, ich habe ein Mädchen«, sagt der Ladenangestellte im Supermarkt zu ihm. Die zwei Detektive, die Marlowe verhaften, bezeichnen ihn als »cutie pie«, und einer von ihnen lacht ihn beim Verhör aus: »Philip Marlowe mit einem -e am Ende? Du bist wohl schwul!«

Marlowe geht in The Long Goodbye kein Verhältnis mit der Femme fatale, Eileen Wade, ein. Er beachtet ihre Annäherungsversuche kaum. Eileen ist die Geliebte von Terry Lennox und versucht deshalb, Marlowe auf ihre Seite zu ziehen. Sie hilft ihm später aus der Patsche, als Marty Augustine drauf und dran ist, seine Drohungen gegen Marlowe in die Tat umzusetzen, indem sie das Geld beschafft, das Lennox Augustine schuldet. Marlowe versucht Eileen zur Rede zu stellen, doch sie fährt in ihrem Mercedes-Cabriolet davon (auf dem Nummernschild die Buchstaben LOV YOU); Marlowe eilt dem Auto zu Fuß nach. Dabei wird er von einem anderen Auto angefahren und vorübergehend außer Gefecht gesetzt.

In dieser Szene hat Eileen ihren Hund zum ersten Mal nicht mehr dabei. Dieser absolviert zuvor seinen letzten Auftritt (sein pay-off) mit einem Triumph über Wade.

Nachdem Wade an einer Party von seinem Arzt gedemütigt worden ist, dreht er durch, läßt sich vollaufen und schläft ein. Marlowe fällt an der Party zuerst einmal dadurch auf, daß er vom Dobermann quer durch eine Menge von schwatzenden, tanzenden Partybesuchern gejagt wird und wieder von Mrs. Wade erlöst werden muß. Der Dobermann wird dann in ein Zimmer gesperrt. Marlowe ist Roger Wades ungebührliches Verhalten peinlich, und er fühlt sich verpflichtet, sich um Mrs. Wade zu kümmern. Diese packt die Gelegenheit beim Schopf, lädt ihn zum Dinner ein, und während sie versucht, ihn zu umgarnen, versucht er, sie auszuhorchen. Durch ein Fenster, vor dem die beiden stehen, ist zu sehen, wie Wade an seinem Gehstock nachts in die Brandung des Pazifiks marschiert. Eileen bemerkt dies im letzten Moment, bevor die erste hohe Welle über Roger hereinbricht und ihn wegspült. Marlowe und Eileen laufen zum Strand, kämpfen sich durch die Wellen und suchen nach Wade. Der Hund, wieder frei, rennt bellend hinterher. Weder Marlowe noch Eileen Wade können gegen die starke Brandung etwas ausrichten und werden an den Strand zurückgespült. Der Hund ist völlig ausgelassen, hält das Ganze für ein Spiel und springt immer wieder an Eileen hoch. Sie und Marlowe brechen völlig erschöpft am Strand zusammen. Der Hund trabt schwanzwedelnd auf und ab und findet den angeschwemmten Gehstock des Verschwundenen. Er nimmt ihn in die Schnauze und trägt ihn wie eine Trophäe mit hocherhobenem Kopf zu Eileen. Roger Wade ist tot. Nach dem Tod ihres Ehemannes hat Eileen ihren Dobermann nie mehr dabei.

Für diese Szene hat die Filmcrew ziemlich viel Geduld und drei verschiedene Hunde gebraucht (die zwei ersten waren wasserscheu). Van Pallandt und Gould mußten Dutzende Male in die Brandung laufen, bis der Hund ihnen endlich folgte und der Auftritt mit dem Spazierstock in der Schnauze in einer Einstellung abgedreht war. Elliott Gould ist Nichtschwimmer; seine Panik und Wut in dieser Szene seien nicht gespielt, er sei irgendwann wirklich total ausgerastet.

Um die üblichen Probleme, die mit Tierdarstellern verbunden sind, ist Altman auch bei den Dreharbeiten mit der Katze nicht herumgekommen. Auf Michael Wilmingtons Frage, wie Altman mit der Katze gearbeitet habe, antwortete er: »Ich habe nicht mit ihr gearbeitet, dafür brauchte ich einen Katzentrainer, und der brauchte fünf oder sechs verschiedene Katzen. Jede war darauf abgerichtet, einzelne Dinge zu tun oder auf eine gewisse Art und Weise zu reagieren.«

Die Art und Weise, wie Altman mit den Tieren als Nebenfiguren oder als Ausstattung (wo sie genau anzusiedeln sind, ist nicht einfach zu entscheiden) arbeitet, scheint mir eine ähnliche Absicht zu verfolgen wie seine Erzähltechnik. Gesellschaftliche Authentizität soll als Dekor auf die Figuren und mit diesen auf die Geschichte wirken. Der Einfluß von vordergründig Nebensächlichem auf die Erzählung einer klassischen Kriminalgeschichte soll aus mythischen Genretypen wieder Figuren entstehen lassen, die »gewöhnlichen« Menschen mit ihren alltäglichen Sorgen und Problemen zumindest gleichen. Die Tierfiguren stehen in einem funktionalen Bezug zu den Figuren. Sie sind Anspielpartner für deren Charakterisierung und Kodierungen des Subtextes. Die Einsamkeit und Deplaziertheit der Marlowe-Figur wird in den Begegnungen mit den Tieren auf ironische und hintergründige Art deutlich gemacht. Es braucht dafür weder einen großen Monolog, noch muß der Detektiv vor einer anderen Figur seine Seele ausbreiten. Er kann es sich leisten, so ungeschickt, fehlerhaft und oberflächlich zu sein, wie es viele Menschen halt sind. Insbesondere wenn sie mit der Tatsache konfrontiert werden, daß in der Gesellschaft Boshaftigkeit und Verbrechen immer auch ein Teil der Wirklichkeit sein können und daß ein einzelner Mensch dagegen kaum etwas auszurichten vermag.

Am Ende bringt Marlowe den Mißbrauch einer Freundschaft mit dem Verlust seiner Katze in Verbindung. Er nimmt zum ersten Mal in seiner Karriere in Literatur und Film die Gerechtigkeit selbst in die Hand und richtet. Für die klassische Marlowe-Figur ist dies eine moralische Bankrotterklärung. Marlowe - wie er in The Long Goodbye geschildert wird - soll jedoch nicht als hoffnungsloser Zyniker, der über die Unmöglichkeit von Freundschaft enttäuscht ist, verstanden werden, sondern als eine Figur, die auch gegenüber sich selbst voller Sarkasmus ist. Deshalb bringt er seine entlaufene Katze wieder ins Spiel. Er wollte sie überlisten, sie zog die Konsequenzen und verschwand.

Freundschaft muß immer auch darauf beruhen, im entscheidenden Moment die richtigen Fragen zu stellen, die ganze Geschichte zu erzählen, zuhören zu wollen und auch einmal nein sagen zu können.

Zitate aus Film und Publikationen wurden vom Autor aus dem Amerikanischen übersetzt.

Literatur

Raymond Chandler, The Long Good-Bye, New York 1954.

Dorothy Gardiner (Hg.), Raymond Chandler Speaking, London 1962.

Robert Phillip Kolker, A Cinema of Loneliness, Oxford / New York 1980.

James Serpell, In the Company of Animals, Oxford 1986.

Michael Wilmington, »Robert Altman and The Long Goodbye«, in: Jerry Roberts (Hg.), Movie Talk From the Front Line, Jefferson 1995, S. 253-273.

Virginia Wright Wexman (Hg.), Robert Altman: a Guide to References and Resources, Boston 1984.

Peter Purtschert
geb. 1958, studiert Geschichte und Filmwissenschaft an der Universität Zürich, arbeitet als Drehbuchautor.
(Stand: 2019)
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