DORIS SENN

MEKONG (BRUNO MOLL)

SELECTION CINEMA

„Doch unruhig eines Menschen Herz gerempelt schon ziemlich schwer und zuviel Kraft in den Händen.“ Dies der elliptisch-stilisierte Kurzbeschrieb von Polo, der Hauptfigur in Otto F. Walters lesenswertem Roman Die verlorene Geschichte. Fein gesponnene, lange Tiraden aus monotonen Satzfragmenten kreisen das Gedanken- und Gefühlsgewirr des Protagonisten dort ein, fassen seine Unfähigkeit, sich zu artikulieren, in Worte, lassen die Geschehnisse langsam an Konturen gewinnen, bis zur unausweichlichen Tragödie. In der filmischen Umsetzung von Bruno Moll bleibt davon nur das spröde Handlungsgerüst übrig: polternder Prolo vom Typ guter Kern in rauher Schale trifft auf sanfte thailändische Prostituierte - die Begegnung endet unglücklich.

Polo (Andrea Zogg), Eisenleger und Töfffahrer, findet sich eines Nachts unversehens als Saos (Sinta Tamsjadi) Beschützer, die ihrem gewalttätigen Zuhälter entrinnen will. Doch Polo hat sonst schon genug am Hals: Er ist ohne Arbeit, da seine Baufirma Konkurs gemacht hat, und ohne Freundin: Seine Ex Manuela (Ruth Schweikert) will nichts mehr von ihm wissen — schon gar nicht, nachdem er ihre Schwester Billie, die bei ihm untergekommen war, vergewaltigt hat. Diese dämmert nun in einer psychiatrischen Klinik vor sich hin.

Die (Nicht-)Kommunikation mit der englischsprechenden Sao gerät zum Klischee: Widerwillig und lautstark bringt ihr Polo schweizerdeutsche Sprachbrocken bei, während sie sein Heim herrichtet und sich in romantisierten Evozierungen ihres Heimatlandes ergeht (eine politische und soziale Begründung für ihr Exil fehlt). Das „Opfer“ Polo - wofür im Film der kurze Verweis auf die Jugend im Kinderheim genügen muß - ist unfähig, Liebe zu leben, ohne zu besitzen. So schon mit Billie, so auch mit Sao: Bei einem Picknick an der Aare, die sie an „ihren“ Mekong erinnert, erstickt er sic mit dem Zuviel an Kraft in seinen Händen, erdrückt er sie in der Umarmung.

Als Nebenstrang skizziert Moll ein (Bau-) Arbeitermilieu, das sich in erster Linie durch derbe Sprücheklopferei auszeichnet. Der grassierende Fremdenhaß findet einen Sympathisanten in Polo, den die Kollegen für eine obskure Verschwörergruppe, die es dem „fremdländischen Pack endlich zeigen will“, zu gewinnen suchen.

Die vielen inneren Monologe im Buch werden in wiederholten subjektiven Rückblenden visualisiert: Selbstrechtfertigend hängt Polo noch immer seiner „Liebe“ zu Billie nach. Auch seine Wunschvisionen von einem dressierten Raubvogel, der auf sein Geheiß dem doppelzüngigen Bauunternehmer die Augen aushackt und für sein ohnmächtiges Bedürfnis nach Stärke und Gerechtigkeit steht, wollen die Innenwelt seines Helden in Bildern veräußern. Polos Charakter - und mit ihm die Geschichte - bleibt in Mekong aber holprig und sprunghaft, die Derbheit der Inszenierung läßt die wohl hie und da intendierte Komik in ihrer Ambivalenz erstarren.

Der sprachlich innovative Roman, der das unheilvolle Netz gesellschaftlicher und psychologischer Zwänge, in denen sich der Unterschichtsheld verfängt, überzeugend darstellt, findet in Mekong lediglich eine konventionelle formale Umsetzung, in der die Figuren zu ärgerlichen Stereotypen reduziert, die angeschnittenen Themen (Gewalt in Beziehungen, Kulturkonflikte, Fremdenhaß) simpel und klischiert abgehandelt werden.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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