Das posthum entstandene Porträt trägt den Untertitel: „Die Musik des italienischen Komponisten Giacinto Scelsi (1905-1988)“. Die Biographie des kaum bekannten Komponisten ist ein dankbarer Gegenstand, enthält sie doch die vertrauten Ingredienzen des Künstlertums: lange Abgeschiedenheit aufgrund einer verkannten Genialität, nachfolgend Querelen um Autorschaft, Ruhm und Ehre sowie die Allgegenwart von schönen Frauen. Vermittelt wird Scelsis Leben und Werk gewissermaßen aus der Distanz, durch die nunmehr unbelebten Räume des Hauses, in dem er lange Jahre in Rom lebte. Dazu gesellen sich Aussagen von Menschen, die über die Arbeit an der Musik mit ihm verbunden waren: eine japanische Sängerin, eine amerikanische Cellistin, ein Schweizer Komponist und Dirigent. Ein italienischer Komponist, der von Scelsi für die Ausarbeitung seiner Partituren engagiert worden war, beklagt sich, daß sein Anteil an dessen Werken zuwenig gewürdigt wurde. Darauf gründet der berühmt-berüchtigte „Streit um Scelsi“. Schließlich berichtet der Chauffeur von den letzten Tagen des Komponisten.
Für Scelsi ist die Musik jene Ausdrucksform, die sich der Erkenntnis am leichtesten nähert. Dabei sieht er sich selber als Handwerker, nicht als Musiker oder Künstler, ln seinem Kompositionsverfahren verwandelt er Tonbandaufnahmen, die aus seinen der Neuen Musik verwandten Improvisationen entstehen. Diese werden in einer Kopierstube von valentinesken Mitarbeitern in mühseliger Arbeit transkribiert und in Partituren umgesetzt. Scelsi - nach seinen Worten mehr Pläne machender Architekt denn alles bestimmender Künstler - ist selber für Momente anwesend: akustisch durch seine Stimme ab Tonband und visuell durch eine doppelte Figur, die für ihn stehen mag - einmal als Junge in der Obhut einer sehr präsenten Mutter, einmal als reifer Mann.
Ob Giacinto Scelsi tatsächlich existierte, läßt der Film offen. Zwar wirken voice-over und eingeblendete Schriften dokumentaristisch. In den credits taucht der Protagonist aber nicht auf, und die musikalischen Werke, die zu hören sind, werden nicht identifiziert. Auch ohne Kenntnisse der jüngeren Geschichte der Musik verdichtet sich die Vermutung, daß die Figur Scelsi als Projektionsfläche für eine Erkundung von alten Räumen und neuen Klängen dient.
Das Ziel ist, mit dem Gehör und mit den Gedanken - aber eben auch mit den Augen - alle Schichten zu durchdringen: geologische Schichten, Raum-, Zeit- und Klangschichten. Fein choreographierte Kamerafahrten und eine komplexe Montage erschließen eine fiktive Topographie: Die Räume der Casa Scelsi befinden sich in Verwandlung, bisweilen gar in Aufruhr. Als Symbol dient der Lift, dessen wiederkehrende gemächliche Aufwärtsbewegung erst ganz zum Schluß, mit dem Tod, endet. Bei aller Präsenz der Räume dominiert doch die Autonomie von Bild und Klang. Als ob der Raum - wie das Individuum - zwar auslösend, nicht aber bestimmend wirke. Streicher, Bläser, Stimmen interagieren in eigenen Räumen. Es entsteht eine akustisch-visuelle Musikalität, die dehnbar und geschmeidig ist wie menschliche Haut. Bild-Musik nennt man das seit den zwanziger Jahren.