Der Stand der Bauern ist nicht bloß eine weitere filmische Annäherung an die Schweizer Identitäts- und Symbolfigur par excellence oder der x-te Film zur Realität bäuerlicher Arbeitswelten. Christian Iseli ist (zusammen mit dem Historiker Peter Moser) das Phänomen grundlegender angegangen und gewährleistet vor allem über die historische Perspektive neue und spannende Einblicke in das Phänomen „Bauer und Schweiz“. Der Film zeichnet somit einerseits das Porträt eines zum Mythos überhöhten ersten Berufsstandes. Andererseits macht er eine aktuelle Bestandesaufnahme, was Bauersein in der Schweiz heute bedeutet.
Erkenntnisreich ist dabei die filmische Aufarbeitung der gesellschaftlichen Funktion des Agrarstandes, seine politisch-ideologische Instrumentalisierung in der jüngsten Schweizer Geschichte in Koalition mit dem Bürgertum (obwohl die Bauern von allen Berufsgruppen am meisten auf die Straße gingen!). Iseli und Moser zeigen, wie sich das reale Berufsbild rasant veränderte und die zahlenmäßige Bedeutung der Landwirte extrem verringerte (von vierzig Prozent 1881 auf vier Prozent 1994, „weniger als Arbeitslose“), gleichzeitig aber die symbolisch verklärte Figur des Bauern erstarkte und eine Folklorisierung seiner Kultur einsetzte. Dies dokumentieren historische Wochenschauaufnahmen, die im Klima geistiger Landesverteidigung einen autarken Schweizer Bauernstaat propagierten. Ausschnitte aus Schnyders Gotthelf-Verfilmungen illustrieren das idyllisierte Bauernbild, das die Sehnsucht nach sinnvoller Tätigkeit und verbindlichen Werten, nach Ganzheitlichkeit von Leben und Arbeitswelt stillt(e).
Für die Facetten heutigen Bauerntums stehen Meisters im Emmentaler Lützelflüh, die einem fast schon anachronistisch anmutenden Ethos intakter Bauernwelt anhängen, und - am andern Ende der Skala - die neuen Ökobauern: Buchlis in Scharans. (Köstlich die Vorstellung, wie Moritz Buchli - seinerseits vom Metzger tröstend umarmt - seine alte Kuh bei ihrem Ableben im Arm hält...) Die Brüder Girardet in Genf versuchen es mit Bisonzucht und Erlebnistourismus, während Berrys im Prättigauer Grüsch auf den Kuh-Embryotransfer als lukrative Einnahmequelle setzen. Schmieds in Diessbach hingegen haben schweren Herzens den Entschluß zur Auswanderung getroffen und versteigern ihren Hof.
Historisches und aktuelles Bildmaterial (in Schwarzweiß) ergänzen ideal die Gespräche mit den heutigen Bauernfamilien und die Dokumentation der für sie charakteristischen Arbeitsabläufe (in Farbe). Der Schnitt (Bernhard Lehner, Christian Iseli), unterstützt von der Musik („Patent Ochsner“), sorgt für einen spannungsvollen Bildwechsel, der den inhaltlich aufgearbeiteten Kontrast des ideologisierten Überbaus mit der bäuerlichen Realität gestern und heute reflektiert.