Renato will mitmachen. Musik befreit von den Zwängen des Alltags. Eine eigene Trompete gilt als Eintrittsticket für die verrucht-verrauchte Welt des Jazz. Doch wie soll ein Stift das Geld für das edle Instrument zusammenkriegen? Mit legalen Mitteln läßt sich der Wunsch nicht erfüllen. Obwohl nicht er, sondern sein Freund, der halbstarke Schampi, krumme Touren dreht, hat Renato ständig die Faust seines Vormunds im Nacken. Der selbstgerechte Biedermann (Mathias Gnädinger) hält es für seine Pflicht, dem Heranwachsenden eigenhändig die Flausen aus dem Kopf zu schlagen.
Das Drehbuch von Walter Bretscher und Christine Madsen-Julen baut auf Fakten auf. Die italienischen Einwanderer, der boomende Bausektor, das abgelehnte Frauenstimmrecht und die Denkmuster der moralinsauren fünfziger Jahre sind die Leitplanken der Story. Junge Mädchen sollten keusch von einer guten Partie träumen, also hält sich Renatos Schwester Rita den braven Verehrer bis zum obligaten Antrag auf Distanz. Für die gleichaltrigen Jungen galt: Spare und arbeite, damit die „Richtige“ dereinst das Jawort nicht verweigere. Folglich gilt in Tschäss als subversiv, was ablenkt: die schwarze Musik, das freizügige Kino, die halbstarke Kluft, die rasanten Schlitten.
Über dem bodenständigen Realismus der Fakten glänzt Nostalgie. Ohne allzu große Retuschen lebt an verwunschenen Ecken im Zürich der neunziger Jahre die (scheinbar) heile Welt von damals wieder auf. Auch die fiktiven Dekors und die im Ausland gefundenen Sets zeugen von liebevoller Detailgenauigkeit. Insbesondere die Aura des Zürcher Kinos Uto strahlt. Eine Ode ans Filmtheater, als es noch Sünde und Verheißung war.
Und doch irritiert etwas. Im Kinderwagen habe er die fünfziger Jahre verschlafen, gab der Regisseur zu Protokoll. Daniel Helfers zweiter Spielfilm ist keine späte Abrechnung, aber auch keine persönliche Sicht auf das vielzitierte Wirtschaftswunder. Helfer kennt die Zeit aus Büchern und Filmen. Bäckerei Türrer und Polizist Wäckerli standen bei der Inszenierung offensichtlich Modell. Die volkstümlich überdeutliche Figurenzeichnung des alten Schweizer Films wirkt heute allerdings lächerlich.
Kein Wunder, können sich die jungen Darsteller nicht rückhaltlos mit der Blauäugigkeit der Figuren identifizieren. Die Distanz ist spürbar, als sähen wir das Lachen auf den Stockzähnen der Schauspieler, die sich insgeheim über die Verklemmtheit vor der sexuellen Revolution amüsieren. Die Arroganz der Nachgeborenen sorgt zwar für schnelle Lacher, verunmöglicht jedoch unser Mitgefühl. Das Schicksal von Renato & Co. bleibt uns deshalb egal. Schade.