Wenn ich an das afrikanische Kino denke, stelle ich mir gerne eine Riesenmenge Leute vor, die vor dem Kino im Stadtzentrum Schlange steht, um den neuesten Film aus Zimbabwe anzuschauen. So groß ist die Menge, daß einige weggeschickt werden müssen. Wenn diejenigen, die Glück hatten, zwei Stunden später wieder aus dem Kino herauskommen, analysieren sie angeregt den Film. „Unsere Kultur sollte nicht so dargestellt werden.“ - „Naja, aber der, der den Vater gespielt hat, war wirklich gut.“ - „Es geht uns irgendwie alle an.“ Und fort ziehen sie in die Bar, um etwas zu trinken und weiter über den Film zu diskutieren. Oder wie sich unter dem Sternenhimmel der ländlichen Gegenden Großeltern, Mütter, Väter und Kinder aus allen Dörfern ringsum, und seien sie noch so weit entfernt, um die mobile Projektionswand und den Projektor versammeln und sich freuen, daß sie einmal etwas Aufregenderes und sie stärker Betreffendes als die fünfte Vorführung von Der Besuch des Papstes in Zimbabwe 1988 zu sehen bekommen. Oder tausend Minenarbeiter, die sich in einer großen Halle drängen, welche die Mine zur Verfügung gestellt hat, damit sie einen Ort zur Unterhaltung haben und den Helden von Zimbabwe feiern können.
Unglücklicherweise ist der zimbabwische und der afrikanische Film ganz allgemein selten auf unseren Leinwänden zu sehen, aber der Grund dafür ist heute ein anderer als früher. Früher waren es die Verleiher, die keine afrikanischen Filme zeigen wollten. Filmemacher und Kulturschaffende arbeiteten hart daran, sie zu überzeugen - kleine und große afrikanische Filmfestivals, die von lokalen Filmemachern organisiert wurden, untergruben schließlich ihr Vorurteil, indem sie die Kinos füllten. Es fanden sich Produzenten, welche die zimbabwische Spielfilmindustrie gründeten, und heute, 1994, ist es die fehlende Produktion, die das Fortkommen bremst. Die Kinobesitzer verlangen mehr lokale Filme, da sie sehen, daß zimbabwische Filme wie Neria und More Time Kassenschlager wurden. Es bildet sich ein neues Klima, die Leute werden sich der Existenz des zimbabwischen Films bewußt.
Und wie passe ich als Filmemacherin in dieses Szenario?
Ich darf mich erst einmal vorstellen: Ich habe eine kleine unabhängige Filmproduktionsfirma in Harare, die Zimmedia. Seit 1986 produzieren wir Dokumentarfilme über Zimbabwe und die südafrikanische Region. Sie fanden sowohl hier als auch beim Fernsehen und an Festivals auf der ganzen Welt Anklang.
Ich denke, ein Filmemacher, eine Filmemacherin können sich in dieses Klima des Bewußtseins zum Teil dadurch einpassen, daß sie die Diskussion und das Schreiben über Film anregen. Beides ist in diesem Stadium sehr wichtig, glaube ich. Zuerst, um das geweckte Interesse zu unterhalten, später, um zu Verbesserungen zu ermutigen. Bis jetzt ging es in den Diskussionen unter Filmemachern nicht um den Film, sondern um die Frage, wo Geld aufzutreiben ist, oder um persönliche Intrigen. Das Schreiben über Film bestand darin, eine Inhaltsangabe zu verfassen, in der Meinung, ein Journalist müsse unparteiisch sein und dürfe keinesfalls seine Meinung in die Rezension entfließen lassen. Fine Filmkritik wird entweder als persönlicher Angriff oder dann als Public Relations verstanden. Daher müssen Filmemacherlnnen nicht nur Filme realisieren, sondern sich auch um Pressevisiomerungen und Besprechungen kümmern, bei Ausbildungskursen für Medienschaffende intervenieren und sich mit Journalisten und Kinobesitzern auseinandersetzen.
Und ganz offensichtlich müssen wir mehr produzieren, denn unsere eigenen Filme sind dem Publikum wichtig, und die Nachfrage ist vorhanden. Die Infrastruktur für den lokalen Vertrieb ist gut: Es gibt Kinos in den Städten, in den Townships und mobile Kinos für die Landbevölkerung und die Minenarbeiter. Obwohl es schwierig sein kann, Geld für den lokalen Verleih aufzutreiben, bezahlen einige der aufgeklärteren ausländischen Förderprogramme die Kopien für diese Verwendung.
Die Frage ist: Welche Art von Filmen brauchen wir?
Unsere Aufgabe als Filmemacherinnen ist meines Erachtens, über unser Land zu sprechen. Wir leben in einem Staat, der wie viele afrikanische Länder sich täglich umwälzenden Veränderungen gegenübersieht. Für alles entstehen neue Strukturen, wie man sich kleidet, wo man hingeht, wo man wohnt und in welcher Art von Behausung, für das Regierungssystem, die Rechtsprechung, den Status des Individuums in der Gesellschaft und den der Familie, für die Schul- und andere Bildung. Zugleich sind die alten Traditionen immer noch gültig. Manchmal kollidieren sie mit den neuen Strukturen, manchmal unterstützen sie diese.
Damit unser Land gesund bleibt, müssen wir uns der wechselnden Lebensumstände bewußt sein, woher sie kommen, wer mit dem Status quo (wenn auch nur kurzfristig) zufrieden ist und wer nicht und weshalb. Wir dürfen es nicht zulassen, daß die Geschichte wie eine Dampfwalze über uns hinwegrollt. Natürlich beschweren sich viele Leute im ganzen Land und kritisieren die Zustände. Sie sind sich der Veränderungen durchaus bewußt. Der Bauer sieht wohl einen gewissen Zusammenhang zwischen einer guten bzw. schlechten
Regierung und genügend bzw. ungenügend Regen. (Eine schlechte Regierung erzürnt die Geister der Vorfahren, die über den Regen bestimmen und ihn als Belohnung oder Strafe für ihre Leute einsetzen.) Und der Ghetto-Arbeiter beschwert sich darüber, daß die strukturellen Anpassungen in der Wirtschaft seinen Boss reicher machen und ihn entsprechend ärmer. Aber Klagen sind kein Ersatz für die Art der Analyse, die wir wirklich brauchen. Es ist schwierig, mit dem Analysieren aufzuhören, wenn man den Regen nicht kontrollieren kann, der den eigenen Magen und den der Familienmitglieder füllt, und wenn die Stimme in der Wahlkabine keinen Einfluß auf die Zahlungsbedingungen der Weltbank zu haben scheint, welche deiner Regierung vorschreibt, wieviel Schulden sie im Namen des Fortschritts machen muß.
Eine Analyse hat in Afrika viel mehr Faktoren zu berücksichtigen als in der industrialisierten Welt. Im Gegensatz zur relativen Stabilität der Lebensumstände in Westeuropa oder Nordamerika kann man hier nichts für gegeben betrachten, nichts hat Bestand. Alles muß beobachtet werden. Sogar solch universelle Gefühle wie bei einer Geburt, einer Heirat, einem Todesfall sind hier von einem Jahr zum nächsten einem dramatischen Wechsel der Umstände unterworfen. Vielleicht ist die Ernte dieses Jahr groß genug, damit man sich die Kühe leisten kann, die für eine Frau bezahlt werden müssen; oder die Einführung von Schulgebühren bedeutet, daß die Kinder nicht mehr zur Schule geschickt werden können; oder wir sterben in einem Krankenhaus in der Stadt statt in unserer Hütte im Busch.
Bis vor kurzem konnte sich das Kino dieser Analyse nicht annehmen. Es gab andere Dinge zu tun - Schulen bauen, Spitäler und Kliniken, Vermittlung von besseren Arbeitstechniken in der Landwirtschaft. Dazu wurden Filme benützt, aber sie dienten der Information und nicht der Erforschung. In Europa und den USA wird der Film schon seit langem dazu verwendet, das Bedürfnis der Leute nach Analysen zu stillen. Wenn das Leben der Leute relativ ruhig verläuft, tendieren die Filme dazu, sich mit dem Innenleben zu beschäftigen. Hingegen werden in turbulenten Zeiten, wenn z. B. Krieg herrscht, Filme über die Geschichte gedreht. Wie viele Filme wurden über den zweiten Weltkrieg oder über den Krieg in Vietnam produziert! Der Unabhängigkeitskrieg von Zimbabwe, eine lange und blutige Auseinandersetzung, die acht Jahre dauerte, wurde 1980 gewonnen. Er prägte jeden einzelnen Menschen im Land tief, auch heute noch. Aber es wurde kein einziger Film über ihn gedreht, der Fragen gestellt und eine eingehendere Untersuchung provoziert hätte. Ich bin gerade dabei, den ersten zu drehen. Er heißt Flame und handelt von einigen der Frauen, die im Krieg gekämpft haben. Er handelt aber auch von jeder Frau, die für ihre Unabhängigkeit kämpft. Als ich dabei war, Material zu suchen, fing eine der ehemaligen Kämpferinnen, die ich gerade interviewte, plötzlich zu weinen an. Ich erschrak und bot ihr an, die Arbeit zu unterbrechen. „Nein“, sagte sie, „ich möchte nicht unterbrechen. Es ist nur - das, worauf wir jetzt kommen, war so schrecklich, und ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen.“ Ich bin mir der Verantwortung wohl bewußt, die ich mir da aufbürde. Die Leute werden in Massen kommen, um das zu sehen. Sie werden wütend werden, wenn es nicht ihrer Sicht der Dinge entspricht, und sich freuen, wenn es mit der ihren übereinstimmt. Und die Diskussion wird ihren Anfang nehmen. Der Film ist ein geeignetes Werkzeug, den Leuten immerhin eine Gelegenheit zur Analyse zu bieten. Mit ihm können Klagen und Kritik aufgenommen und weitergetrieben werden. Dies muß jedoch auf eine unterhaltsame und interessante Art geschehen. Zimbabwe ist ein Land, dessen Kultur die Leute Kritik und Lenkung von ihrer Unterhaltung erwarten läßt. Die Zimmedia-Produktion Mbira Music - Spirit of the People von 1992 zeigt, daß und wie die Texte unserer Lieder, sowohl der traditionellen als auch der modernen, auf der Vermittlung eines Inhalts beruhen. Das gilt ebenso für unser Theater und unsere Skulpturen, warum also nicht auch für den Film? Der Film ist machtvoll (deshalb werden in anderen Teilen der Welt so viele gemacht), und unsere Filme sollten Macht verleihen. Unser Volk war lange bloß Objekt, der Film ist ein Mittel, den Leuten zu helfen, sich Fragen über ihr Leben zu stellen und Antworten zu finden.
In Zimbabwe sind wir in einer überraschend vorteilhaften Lage, was das Filmemachen angeht. Die Infrastruktur ist bereits vorhanden. Das Niveau der Ausrüstung ist beachtlich, und wir haben Labors, d. h. der ganze Prozeß der Produktion kann hier erfolgen. Allerdings gibt es lokale Probleme mit der technischen Kompetenz. Das ist zum Teil eine Folge mangelnder Ausbildung, aber zum Teil auch auf die Einstellung zurückzuführen. Für manche Leute ist sie schwierig zu erlangen, denn sie haben noch nicht akzeptiert, daß Filmarbeit harte Arbeit ist. Harte Arbeit ist für sie Arbeit auf dem Feld oder in der Fabrik. Die Arbeit beim Film wird als glanzvoll und geldbringend angesehen, alles andere als hart. Und selbstverständlich wird man Millionär, wenn man Filme macht. Es müssen erst einmal mehr Filme und mehr Filmemacherinnen her, bevor sich diese Einstellung ändern kann, aber ich möchte schon, daß die afrikanischen Techniker einmal so gut sein werden wie alle anderen auf der Welt.
Im Augenblick ist es einfacher, Geld für den Import eines englischen oder Schweizer Kameramannes zu bekommen, den man dann heimschickt, anstatt einen einheimischen Kameramann so weit auszubilden, daß der Film durch sein Engagement nicht Qualitätseinbußen erleidet. Dasselbe gilt für alle anderen Bereiche der Filmproduktion. Tontechnik, Drehbuch, Besetzung, Produktionsüberwachung, Maske, Ausstattung. Wenn wir Geld aus dem Ausland erhalten, sind wir oft verpflichtet, es dort wieder auszugeben, weil wir die Techniker von dort verpflichten müssen. Das hilft dem Film, aber es hilft uns nicht, Unabhängigkeit beim Filmemachen zu erlangen. Wir brauchen unsere eigenen Techniker, damit wir nicht ewig auf Leute angewiesen sind, die von außen kommen und unsere Kultur nicht kennen. Und damit wir nicht Preise bezahlen müssen, die für uns sehr hoch, um nicht zu sagen prohibitiv, sind.
Die Sache kompliziert sich noch, wenn sich herausstellt, daß es nicht darum geht, die eigene Industrie zu unterstützen, sondern daß ein Mangel an Vertrauen in die guten Techniker, die wir hier haben, dahintersteckt. Das hat sehr viel damit zu tun, wie wir in der restlichen Welt wahrgenommen werden. Außer den genannten Aufgaben, der Erforschung und Analyse, müssen wir also auch noch die der Missionierung übernehmen. Die Medien der industrialisierten Welt sind weit einflußreicher als unsere eigenen, und oft hat ihre falsche oder vorurteilsbeladene Berichterstattung mehr Einfluß als unsere eigene. Manchmal gelingt es dieser Berichterstattung sogar, daß wir selbst denken, wir seien arm, schlecht organisiert, korrupt oder politische Extremisten. Wir sind es nicht, und darum ist es lebensnotwendig, daß unsere Filme hier gesehen werden. Und fast ebenso wichtig, daß sie in der restlichen Welt gesehen werden. Sie muß unsere Geschichten von unserem Standpunkt aus dargestellt bekommen.
Deshalb ist der Verleih im Ausland für uns ein wichtiges Anliegen und nicht nur eine Frage der Finanzen. Die meisten von uns verlassen sich auf eigene Anstrengungen oder auf die von kleineren europäischen Verleihern, die viele verschiedene Produkte zeigen, nicht nur unsere. Eine einzige Produktionsfirma in Zimbabwe hat das Verleihsystem in Europa und den USA geknackt; sie konnte es, weil sie eine Firma in New York gründete, welche ihren Verleih überwacht und finanziert. Daraus lernen wir, daß wir viel größere Summen für die Distribution in unseren Budgets vorsehen und diese für ein eigenes Vertriebsnetz für unsere Produkte verwenden müssen.
Ja, es gibt viel zu tun. Aber all dies ist nur zu erreichen, wenn wir mehr Filme machen und ein anderes Bewußtsein vom afrikanischen Kino schaffen.