DORIS SENN

LE JOURNAL DE LADY M. (ALAIN TANNER)

SELECTION CINEMA

Alain Tanners Verfilmung der Liebesverwicklungen um einen Mann und zwei Frauen basiert auf Auszügen aus dem Tagebuch der Hauptdarstellerin Myriam Mezieres (Lady M.), die auch das Drehbuch verfaßt hat. Das filmische Nebeneinander von autobiographischer Realität und schauspielerischer Fiktion birgt unausweichlich die Gefahr der distanzlosen Selbstdarstellung in sich. Dieser sind dann auch, um es gleich vorwegzunehmen, weder die Hauptdarstellerin noch der Regisseur entronnen.

Zur Geschichte: Lady M. ist Sängerin und Tänzerin in einem Pariser Nachtklub, wo sie sich mit Diego (Juanjo Puigcorbe) anfreundet. „Von einer unwiderstehlichen Kraft getrieben“, sucht sie ihn in Barcelona auf, um mit ihm eine Reise in sein Heimatdorf zu machen. Das Unvermeidliche schlägt sich in vielfältigen Bettszenen nieder. Bis durch Zufall ein Foto das bis anhin Verheimlichte enthüllt („So ist es, das Leben ist manchmal kompliziert“): Diego ist verheiratet mit Nuria (Félicité Wouassi) und ist Vater des Mädchens Billie. Enttäuscht kehrt Lady M. nach Paris zurück, muß dort aber feststellen, daß sie ohne Diego nicht leben kann, und lädt ihn deshalb, notfalls mit Familie, zu sich ein. Die sich daraus ergebende Konstellation Paar plus Geliebte wandelt sich bald zu einer Ménage à trois, um in ein - Diego ausschließendes - kurzes und vages Liebesverhältnis zwischen den zwei Frauen zu münden. Als Lady M. ein halbes Jahr später Diego, Nuria und Billie besuchen will, öffnet ihr eine unbekannte Frau die Wohnungstür und gibt vor, dort schon seit langem zu wohnen und nichts über die Gesuchten zu wissen. Traum oder Realität? Der Film läßt es offen, nicht zuletzt als Rückverweis auf das ihm inhärente Spiel mit Fiktion und (gelebtem) Faktum.

Die Tagebucheintragungen der Hauptfigur - in ihrem trivial-romantischen Stil eher bemühend - führen als Kommentar durch den Film. Vorwiegend durch leidenschaftliche Liebesszenen in Fahrt gehalten, gerät die Handlung durch gar geschwätzig daherkommende Dialoge und unmäßig gewichtete Randszenen hie und da arg ins Schlingern. Im Mittelpunkt steht die körperliche Präsenz von Myriam Mézières. Ihre lasziven Tanzeinlagen und exhibitionistisch vors Kamera-Auge geführte Nacktheit sowie die krude Körperlichkeit der überlangen Sexszenen tun das ihrige, um der im Titel angedeuteten Anlehnung an erotische Bekenntnisliteratur Genüge zu tun, und verhindern, daß der Rahmen allzu privater Lebenserfahrung und Befindlichkeit gesprengt wird.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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