Babylon 2 ist ein Dokumentarfilm-Essay zum Thema Immigration. Er schildert die Lebensgeschichten von Emigrantinnen und Emigranten, die als Kinder in die Schweiz kamen, sowie von Jugendlichen der zweiten Generation, „Secondos“, die hier geboren wurden. Die verschiedenen Biographien verschränken sich mit der jüngeren Geschichte der Schweiz, die sich seit dem 19. Jahrhundert von einem Auswanderungs- zu einem Einwanderungsland und seit dem Zweiten Weltkrieg zu einer großen „Suburbia-Kette“ entwickelt hat: lose zusammenhängende Vorstädte, die weder richtig Dorf noch Stadt sind und sich zwischen Bodensee und Lac Léman erstrecken, „das große Mitte-Land“.
Die Filmform ist eine Mischung aus verschiedensten Techniken (Beta-Video, 16 und 35 mm, Super-8-Aufnahmen, Fotos, Wochenschaumaterial, Schriften), aus denen mit elektronischer Bildbearbeitung (AVID), auf drei Bildebenen montiert („split-screen“, Bildfenster), das Filmbild entsteht. Form und Inhalt treffen sich. Das Zusammenleben von Menschen verschiedener kultureller und ethnischer Herkunft entspricht der Mischung der Sprachen und Formen, die sich in der elektronischen Medienwelt und auch in den Sampling-Techniken der Hip-Hop- und Rap-Musik, der sich drei der Befragten widmen, wiederfinden.
Die komplexe Bildstruktur bietet eine Vielfalt von Eindrücken, aber dank der sorgfältigen Montage und einem ruhigen Rhythmus läßt sich der Film problemlos verfolgen und bleibt in seiner Vielschichtigkeit genau. Das Wochenschaumaterial, Ausschnitte aus Spielfilmen, persönliche Photographien der Befragten und inszenierte Szenen, die beinahe schon mythische schweizerische Klischees beinhalten (der Polizist, der den Kindern Schokolade verteilt, nachdem sie die Straße korrekt überquert haben, der pfeifenrauchende Vater, der sich am Radio die Mittagsnachrichten anhört), schaffen Atmosphäre.
Am Anfang steht Samirs eigene Biographie, die Geschichte seiner Familie, die Anfang der sechziger Jahre von Bagdad nach Dübendorf zog. Dann Saida, die achtjährig von der „Terre des Hommes“ schweizerischen Pflegeeltern übergeben und später wieder nach Tunesien zu ihren Eltern zurückgeschickt wurde. Mit 21 Jahren entschied sie sich für die erneute Emigration in die Schweiz. Yegya, ein Videokünstler, in Istanbul geboren, ist Armenier, obwohl seine Familie seit vier Generationen nicht mehr in Armenien gewesen ist. Luana und Carlos sind in der Schweiz geboren, Kinder von Arbeitsemigrantinnen aus Italien und Spanien, beide beschäftigen sich mit Hip-Hop und Rap. Ebenso Debbie Dee, deren Mutter sie von Jamaika in die Schweiz brachte. Miklos, Redaktor bei einem Wochenmagazin, ist als Siebenjähriger mit Mutter und Geschwistern aus Ungarn gekommen, auf der Flucht vor der sowjetrussischen Ordnungspolitik. Ersan ist türkischer Herkunft, in Bülach geboren und Eishockeyspieler. Und schließlich Michel, als Jude sensibilisiert für Minderheitenprobleme, der als Alter ego von Samir agiert.
Die „Secondos“, alle aus proletarischen Verhältnissen, überzeugen durch die Direktheit und Klarheit ihrer Sprache. Im Gegensatz dazu ist der leider etwas gar holprig gesprochene Kommentar eine Schwachstelle von Babylon 2. Es geht auch nicht ganz auf, daß der Autor im Film von Michel „gespielt“ wird. Sonst überzeugt Babylon 2 nicht nur durch die formale Gestaltung, sondern auch durch die inhaltliche Dichte und durch die künstlerische Umsetzung eines Themas, das aus dem zeitgenössischen Alltag gegriffen ist und das uns alle, nicht nur hier und heute, beschäftigen dürfte.