Edna Politi versucht mit Le Quatuor des possibles eine filmische Annäherung an das Werk des italienischen Avantgardekomponisten Luigi Nono. Zu Beginn des insgesamt etwas lange geratenen Films erklärt die Regisseurin die Vorgeschichte des Filmessays. 1989 begann sie, Nonos Projekt, ein neues Werk für das Arditti-Streichquartett zu schreiben, mitzuverfolgen. Politi wußte zu jenem Zeitpunkt nur wenig über Nono: daß er ein avantgardistischer, revolutionärer Geist war, der die soziale Ordnung radikal ändern wollte. Mitten in den Arbeiten starb Nono am 8. Mai 1990 in Venedig, seiner Geburtsstadt, und hinterließ nur gerade Skizzen des Werks für das Arditti-Quartett. Textgrundlage und Inspiration dafür war Friedrich Hölderlins Gedicht „Fragmente - Stille. An Diotima“.
Wichtig ist, daß man zu Beginn mitbekommt, wer die Personen sind, die im Verlaufe des Films erscheinen und sich über das Werk und die Person Nono äußern. Es sind dies die Schauspielerin Viviana Aliberti, die die leidige Aufgabe hat, immer wieder unter Bäumen und am Wasser zu wandeln und Hölderlin-Zitate vorzutragen - ein eher peinliches Unterfangen. Überzeugender sind die Freunde und Bekannten von Nono: der Dramaturg Klaus Zehelein zum Beispiel, der zwar ebenfalls einen Hang zum Weihevollen hat, insgesamt jedoch recht präzis die Überlegungen Nonos zu beschreiben weiß. Es sei Nono nicht um den vollen „Zugriff in die Bedeutung“ gegangen, sondern um ein produktives Warten, darauf, daß der Text sprechen möge, der Text Hölderlins, aber auch die Partitur für das Arditti-Quartett. Warten als Prozeß, als Suche, ziellos. Immer wieder geht es um das, was nicht ist, um die Gegenwart des Nichts. In der Musik erscheint es als Stille, als Pause, als Beharren auf Langsamkeit, Wiederholungen.
Bildmäßig bedient sich Edna Politi traditioneller, teils fast abgegriffener Sujets. Zugemauerte Fenster in einer Häuserfassade, in Wasser gespiegelte Bäume, Alleen, Meereswellen, das Quartett in einer Kirche, das Turmzimmer Hölderlins, und immer wieder Wasser in verschiedenen Variationen.
Was seinen Reiz jedoch nicht verliert, anregend und erstaunlich ist, sind die Proben und Diskussionen der vier Streicher, die in außerordentlich konzentrierter Art üben, zu interpretieren versuchen, an der Klangfarbe und Expressivität des Tons arbeiten, auf der disziplinierten Suche nach Nonos Intentionen und ihren eigenen. Daß letzteres Nono sehr wichtig war, führt auch der Musikologe Philippe Albera in seinen kenntnisreichen Bemerkungen aus. Nono stand in intensivem Kontakt mit „seinem“ Quartett, er schrieb Briefe, in denen er die Musiker dazu verleiten und dafür begeistern wollte, das Notenmaterial in ihrer Interpretation wesentlich mitzugestalten und mitzuformen, so daß letzten Endes jede Aufführung variiert und es keine „richtige“ Interpretation gibt. Nonos Briefe waren voller Poesie, die die Phantasie anregten und halfen, sich in die nicht leicht zugänglichen, fragmentarischen Stücke einzufühlen.
Sinn sei nicht da, um erzwungen zu werden, gibt Klaus Zehelein zu bedenken, Strategie sei ausgeschlossen, die Vielfalt des Lesens gefragt. Diese Haltung sei Nono und Hölderlin gemeinsam gewesen, ebenso ihr Mißtrauen gegenüber dem Erreichten, Endgültigen, ihre Liebe zur Ambivalenz, aber auch die Erfahrung, daß Utopie in ihrem Leben mit dem Scheitern verbunden war.
Zu sehen ist Luigi Nono im Film nur einmal - ein zum Faktum gewordener Zufall auch für die Filmemacherin, wie sie erklärt. 1989machte sie mit der Handkamera Aufnahmen von Nono in Villeneuve des Avignon, wo er an Proben zu seinem einzigen Violinduett „Hay que caminar, sonando“ teilnahm. Sein Tod verunmöglichte weitere Aufnahmen; so muß auf seine visuelle Präsenz weitgehend verzichtet werden in diesem Film, der - streng gewertet - ein exzellentes Hörspiel gewesen wäre.