ALEXANDRA SCHNEIDER

DIE BÖSEN BUBEN (BRUNO MOLL)

SELECTION CINEMA

„Die Strafpraktiken sind schamhafter geworden, zielen nicht mehr auf den Körper.“ Bruno Moll und sein Filmteam haben drei Jahre lang die ANE (Anstalt für Nacherziehung), eine 1988 neugegründete geschlossene Abteilung, die an das Jugendheim Aarburg angegliedert ist, beobachtet. Entstanden ist ein Film über die jugendlichen Insassen, ihre Träume, ihre Versuche, das eigene Leben selbst in die Hände zu nehmen, und ihre Abstürze.

Der in verschiedene Episoden, mehr oder weniger chronologisch gegliederte Film beginnt mit der historischen Entwicklung der Festung Aarburg zum Jugendheim (Burg, Zwangserziehungsanstalt für jugendliche Verbrecher und Taugenichtse, Erziehungsanstalt, Erziehungsheim, Jugendheim). Ein Erzieher meint: „Die Jugendlichen sind oben, sie können auf die anderen hinabschauen.“ Er spricht von dicken Mauern, die auch so etwas wie Geborgenheit bedeuten könnten. Roland liegt auf dem Bett und meint: „Es isch locker, kei Streß.“ Wir werden über das Organigramm des Jugendheims und der ANE informiert.

Um fünf junge Männer kreist die Erzählung: Roland, Roger, René, Armando und Dani. Wir sehen sie an der Arbeit in den ANE-Werkstätten, in ihren Zimmern, beim Musikmachen, beim Essen, Malen, Putzen, später einzelne von ihnen „draußen“. Zuhause erleben wir einzig Roland an seinem 20. Geburtstag bei seiner Mutter. Ansonsten sind die Jugendlichen im Gespräch mit den Erziehenden, Lehrern, Amtspersonen und dem Filmemacher zu sehen. Die jungen Männer erzählen im Verlauf des Films ihre „Karriere“, ihren Werdegang durch die diversen Heime/Erziehungsanstalten/Arbeitserziehung/Gefängnis und von Momenten der Freiheit „auf Kurve“. Der Film deutet aber über das Individuelle der fünf Personen hinaus: Der Kommentar verweist auf die verselbständigten Muster gesellschaftlicher Normalisierungsinstanzen. Der Kommentar versucht, die Macht der psychologischen, pädagogischen und juristischen Diskurse zu durchbrechen. Der Film, als solcher ein ähnlicher Diskurs, verweigert aber Lösungsstrategien. Damit sind die Zuschauenden gefordert, ihr Verlangen nach helfendem Ausweg und Problemlösungen zu reflektieren.

Roland muß nach wiederholten „Ausbrüchen“ für ein halbes Jahr ins Gefängnis - „endlich klare Verhältnisse“. Nach dieser Zeit ist er „ein freier Mensch, bedingt entlassen mit zwei Jahren Bewährung“.

Neben den „bösen Buben“, wie die Aarburger die Burginsassen zu nennen pflegen, haben Bruno Moll auch die Erzieherinnen interessiert. Ihre Probleme als Verantwortliche in dieser Konstellation sind im Film mit thematisiert. Wir sehen sie auf dem Weg zur Arbeit in die Burg hinauf. Ihre Position ist die derjenigen von „draußen“: Wenn ihre Arbeitszeit vorbei ist, können sie die ANE verlassen.

Ein zentrales Thema in allen Biographien der Jugendlichen ist die Drogensucht. Im Konzept der ANE wurde anfänglich versucht, ohne Überwachung eines möglichen Drogenkonsums zu arbeiten. Später wurden trotzdem wieder Urintests ins Auge gefaßt. Die meisten Insassen der ANE wurden durch das Drogenproblem kriminalisiert. Die Sexualität ist ein „unausgesprochenes Problem“, denn diese stellt zu vieles in Frage und führt unweigerlich die „unnatürliche Situation“ vor Augen, sagt einer der Erzieher.

Die bösen Buben sind ein Beitrag zum Nachdenken über „totale Institutionen“ und deren Ziele, aufgerollt am Alltag in einer solchen.

Alexandra Schneider
geb. 1968, studiert Soziologie und Filmwissenschaft an der Universität Zürich und ist Mitherausgeberin eines Lexikons über Film- und Videoschaffen von Schweizer Frauen, das 1994 erscheinen wird.
(Stand: 2019)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]