PIERRE LACHAT

TECTONIC PLATES (PETER METTLER)

SELECTION CINEMA

Der Kanada-Schweizer Peter Mettler gehört seit Scissere (1982) und The Top of His Head (1989) zu den wenigen Autoren, die von ihrer Herkunft her mit dem Schweizer Film im weitesten Sinn etwas zu tun haben und mit ihm in Berührung bleiben, auch wenn sie nicht wirklich in dessen Rahmen arbeiten. Tectonic Plates stellt den Versuch dar, das gleichnamige „work in progress“ des franko-kanadischen (aber ganz und gar zweisprachigen) „Théâtre Repère“ aus Montréal nicht einfach im herkömmlichen Sinn zu verfilmen, sondern es in einem bestimmten Augenblick seiner Entwicklung gleichsam zu fixieren.

Die Mitglieder der unterdessen weltberühmt gewordenen Truppe um Robert Lepage haben die Szenenfolge im Lauf einer langen Reihe von Aufführungen erarbeitet, von denen kaum zwei völlig identisch waren. Auch nach dem Zustandekommen von Mettlers Film ist dieser Prozeß fortgesetzt worden, und die Kinoversion gewinnt von daher einen gewissen dokumentarischen Charakter. Doch bleibt es natürlich eigentliches Ziel, das Bühnenspektakel zu einem ausgewachsenen Autorenspielfilm umzugestalten.

Ein solches Vorgehen bot sich schon nur deshalb gleichsam von selbst an, als sich die Inszenierungen des „Repère“ nicht zuletzt durch die vielfältige Verwendung ausgesprochen kinematographischer Gestaltungsmittel auf der Bühne (bis hin etwa zum Einblenden von Untertiteln) auszeichnen. Ungeachtet dieser idealen Vorgabe beschränkte sich aber Mettlers Aufgabe keineswegs darauf, Gegebenes umzusetzen, sondern sie erforderte sehr wohl das Eingreifen eines erfahrenen und stilbewußten Autor-Regisseurs.

Der Film verschmilzt aufs eleganteste filmische Wirkungen, die auch im Theater möglich sind, mit solchen, die der Leinwand allein Vorbehalten sind. Er bleibt so gut wie ganz Theater und wird dennoch so gut wie ganz Kino. Möglicherweise wird er in diesem Sinn dem, was Lepage und seine Kollegen anstreben, besser gerecht, als es ihnen jemals selbst auf der Bühne zu tun gegeben ist.

Die „Handlung“ egal welchen Stücks des „Repère“ nachzuerzählen, ist fast unmöglich. Tectonic Plates arbeitet mit Versatzstücken aus fast jeder Art von Schauspiel, fügt magischmythische und komödiantische, aktuelle und historische Elemente experimentell an- und ineinander, wechselt Schauplätze in einem fort, und das Ganze findet sich mit der Zeit wie durch Zauberhand zu einer Art inneren, poetischen Erzählung zusammen, in deren Mittelpunkt wohl am ehesten die Frage nach der Geschlechtlichkeit steht. „Gender can be quite confusing“ kann als einer der Kernsätze gelten. Doch kommt er bezeichnenderweise in der komischsten Nummer der ganzen Revue vor, muß also ernstgenommen werden und doch wieder nicht.

Pierre Lachat
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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