Die Schweiz ist von Ost nach West, von Nord nach Süd und von Oben bis Unten zugebaut. Autobahnen, Staudämme und Gebäude jeglicher Art haben den größten Teil der bebaubaren Fläche erobert. Sie zeugen vom spektakulären wirtschaftlichen Aufschwung, der für die industrielle Revolution und die Jahrzehnte danach charakteristisch ist. Der Schweizer Film der 70er und 80er Jahre hat unzählige Male unser Verhältnis zu unserem Boden befragt und die systematische Verbauung desselben kritisiert. Denn auf zugebautem Grund verkümmert die Imagination. Zahlreiche Filme haben sowohl städtische wie ländliche und alpine Landschaften vorgestellt. Bei der Erforschung dieser Gegenden zeigt sich oft der Wunsch, die Gegenseite des Sichtbaren, die versteckten Wahrheiten zu erfassen. Es ist bezeichnend, daß die besten Filme, die in ländlicher Umgebung gedreht wurden, in realistischen Bildern nach der Natur suchen, die vom Menschen noch nicht in Beschlag genommen oder zumindest wo der Mensch noch in Einklang mit ihr zu leben scheint. Es ist aber nicht die Nostalgie der patriotischen Schweizer Filme der Vorkriegszeit, die noch an die sittliche Kraft der unberührten Gipfel glaubten, auf die sich die neuen Werke berufen. Nichtsdestotrotz versuchen sie, die Wertschätzung des wenn nicht unberührten, so doch an Erinnerungen und Traditionen reichen Bodens wiederzufinden.
Es ist diese Tendenz des Schweizer Films, der seit kurzem gerade auch vom ökologischen Bewußtsein geprägt wird, von der Unter dem Boden in verschiedener Hinsicht zeugt. Wenn der Boden überbaut und der Ausbildung einer lebhaften Vorstellungskraft wenig förderlich ist, dann muß man eben unter der Oberfläche suchen, in der Erde graben! Erich Langjahr hat sich also archäologischen Grabungen in der Zentralschweiz zugewandt. Als gewissenhafter Dokumentarist interessanter Informationen stellt er die verschiedenen Phasen der Arbeit vor und läßt ermessen, wie unendlich groß die Geduld für diese Ameisentätigkeit sein muß, die darin besteht, Gegenstände ans Licht zu bringen, die 7000 Jahre alte Lebensgewohnheiten dokumentieren.
Aber der Filmemacher geht über diese ersten Beobachtungen hinaus, um Überlegungen in zwei Richtungen anzuregen. Zunächst weckt er Lächeln und Lachen, indem er einige Begebenheiten um die Neugier der Leute und der Medien skizziert. Langjahrs Art, das Fernsehteam bei seiner Arbeit zu filmen, gibt die beinahe bubenhafte Begeisterung für diese Grabungen aufs beste wieder. Schließlich wird man Zeuge von der Faszination, der der Regisseur selbst erliegt. Durch geduldige Beobachtung der Arbeit der Archäologen und durch die Vermeidung jeglicher journalistischer Anwandlungen wie Kommentare oder Zwischenbemerkungen legt Langjahr nahe, daß es Räume unter dem Erdboden, daß es Weite unter der Oberfläche, Geheimnisse unter dem Wissen gibt. Unter dem Reich des Betons existiert eine Phantasiewelt. Jeder Gegenstand, der ausgegraben, gereinigt, gemessen, katalogisiert und schließlich ausgestellt wird, zeugt vom unauslöschlichen Bedürfnis, neue Ufer zu entdecken und sich archaische Lebensumstände vorzustellen. Der Film gibt etwas Anregendes und etwas Schwerwiegendes wieder: die Neugier, die die Grabenden antreibt, hat ihresgleichen nur in der Leistungsstärke von deren Arbeit (sie müssen schnell arbeiten, denn die Fläche soll bebaut werden!); schließlich scheint diese archäologische Grabungsstätte der letzte Zufluchtsort für die kollektive Vorstellungskraft zu sein, die von Gedächtnisschwund bedroht ist. Unter dem Boden ist die Metapher für eine allgemeine Ratlosigkeit. Wenn es an der Oberfläche der Welt nichts mehr zu finden gibt, dann müssen Mann und Frau eben im Erdinnern hartnäckig wühlen. Bedroht von den Strassenwalzen, suchen sie immer noch, mit geöffneten Augen und wachsamem Geist. Aber sie wissen, daß ihre Tage gezählt sind, wie wohl auch jene von Filmemachern wie Erich Langjahr.