DORIS SENN

PICKELPORNO (PIPILOTTI RIST)

SELECTION CINEMA

Nicht nur die beiden Reizwörter im Titel, auch die Großaufnahmen von leicht zagen Schritten stöckelbeschuhter Füße auf Eisengittern erzeugen gleich zu Beginn des Films kribbelnde Unruhe. Die Visualisierung und Vermittlung von Sinneswahrnehmungen, von Sinnenlust auf noch unbegangenen Bilderwegen, dies der Inhalt von Pickelporno. Seine Geschichte: ein Liebespaar auf gegenseitiger Tast-Riech-Fühl- Erkundungsreise von der Haarspitze bis zum Zeh.

Pipilotti Rist beraubt den Liebesakt seiner romantisch-mythischen Aura, verkehrt die Klischees erotischer (Nicht-)Darstellung (Unschärfe, Ferneinstellungen, Schnitte) in ihr ernüchterndes Gegenteil: Die Körper werden zum Objekt anatomischer Nahaufnahmen, erscheinen - mittels einer looping-drehenden Kamera auf Tief- und Höhenflügen - verzerrt, disproportioniert, einmal als Kopffüßler, einmal als Embryo. Nicht nur der ins Bild gesetzte Penis scheint den Zusammenhang von Erotik und Ästhetik zu negieren.

Das Kamera-Auge schwebt über eine Porenlandschaft, findet sich im Schilf der Augenbrauen wieder, verfilzt sich im Farnhaar, streift im Gleitflug die Stiefmütterchen innerer Bild-Gedanken-Assoziationen, segelt freischwebend in den Weltraum hinaus, taucht in die Unterwasserlandschaft der Vagina, wird eingesogen, überschwemmt und wieder ausgespuckt. Sogar das Duftempfinden scheint über Bilder abrufbar. Dazu Vogelgezwitscher, Herzschlagrhythmen und naiv-erotische Versspielereien. Pickelporno ist ein High-Tech-Manifest gegen die hehre Erotik abgegriffener Liebesmetaphern und ein Wirbelwind im Staub konventioneller Sehgewohnheiten.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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