CHRISTINE NOLL BRINCKMANN

DAS KLEINE MÄDCHEN IM FILM

ESSAY

In der feministischen Filmtheorie geht es unter anderem um die Frage, welche Bilder von Weiblichkeit das Kino entwirft; denn sie fragt letztlich nach den Gründen, weshalb Frauen in unserer Gesellschaft nicht als vollgültige Subjekte wahrgenommen wurden und werden. Im Spielfilm sind kollektive Vorstellungen der Geschlechterrollen oder der idealtypischen Verhaltensweisen und Körperformen konserviert. Gleichzeitig prägt der Film die Sicht des Publikums auf die Realität. Er wirkt in besonderer Weise sozialisierend und ideologisierend, weil er seine Gestalten in photographischer Evidenz präsentiert, einen Augenschein übermittelt. Gesellschaftlich-kulturelle Konventionen und Konstrukte stellen sich als natürliche oder vorbildliche Erscheinungsformen dar, und sie sind überwiegend aus der männlichen Sicht, von Männern erschaffen.

Während sich die feministische Filmtheorie schon ausführlich mit Geschlechterrollen, Geschlechterstereotypen, patriarchalen Sichtweisen, mit der Ausprägung bestimmter Frauentypen (wie Femme fatale, Nonne, Mutter, Mörderin, Sexidol, Hexe) oder dem Image bestimmter Stars beschäftigt hat1, ist der Gestalt des kleinen Mädchens bisher keine besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden. Soweit mir bekannt ist, hat man sich bisher zwar um die Lolita-Figur gekümmert2, also die frühreife Kindfrau, die zur Verführerin wird, nicht aber um das vorpubertäre Mädchen. Dabei hat solchen Mädchen schon ein relevanter Teil der Photographie des 19. Jahrhunderts gegolten, und zwar nicht nur im Familienalbum, sondern auch in der Kunstphotographie.

Hier ist an die berühmten Aufnahmen von Lewis Carroll, dem Autor von Alice in Wonderland (1865), zu erinnern. Sein Interesse an kleinen Mädchen war ja nicht nur literarisch, und seine Bilder von Töchterchen aus dem Bekanntenkreis dokumentieren eine sehr erotische Auffassung dieser Kinder: Requisiten betonter Weiblichkeit, entblößte Schultern, kokette Gesten, hingegossene Posen, Akzentuierung der Waden und Füßchen - alles zeugt von einer sexuellen Faszination, die mehr als latent zu nennen ist.3

Meine Beschäftigung mit dem kleinen Mädchen im Film richtet sich auf dieselbe Altersgruppe, um die es auch Lewis Carroll ging. Die Zeit zwischen drei und neun Jahren gehört zwar eindeutig zur Kindheit, läßt aber gleichzeitig schon die geschlechtsspezifische Sozialisation und die entsprechenden Verhaltensweisen spürbar werden. Mädchen dieser Altersklasse sind sich ihrer Weiblichkeit bewußt und spielen sie auch erwachsenen Männern gegenüber aus.

Doch sie genießen noch mehr Bewegungsfreiheit, als ihnen wenig später, mit dem Eintritt in die Pubertät, zugestanden wird. Dies äußert sich in der Wahl der Kleidung, der Wahl der Spiele und Spielkameraden - sie sind zu diesem Zeitpunkt den Knaben noch physisch ebenbürtig -, und es schlägt sich in der Selbsteinschätzung und den Berufswünschen nieder. Einerseits also dürfen und sollen kleine Mädchen sich als Frauen en miniature fühlen, anderseits ist es ihnen noch gestattet, aus dieser Rolle zu fallen und ihre Kräfte (erfolgreich) mit den Jungen ihres Alters zu messen. Das Feld der Möglichkeiten ist weit und widersprüchlich.

Nach meiner Beobachtung unterscheidet sich der Blick der Erwachsenen auf die Gestalt des kleinen Mädchens in geschlechtsspezifisch typischer Weise. Die Sicht der Frauen ist meist autobiografisch-rückwärtsgewandt und ziemlich ambivalent. Sie ist einerseits geprägt von einer utopischen Wehmut, von selektiven Erinnerungen an das verlorene Paradies der Freiheit, an (imaginär) unbegrenzte Möglichkeiten, das Bewußtsein eigener Stärke, Kreativität und Autonomie; anderseits von der Erinnerung an unerwartete Zurücksetzungen und Gefühle ohnmächtiger Wut oder auch an Erfahrungen von Gewalt und sexuellem Mißbrauch.4

Gegenüber solchen weiblichen Rückprojektionen ist die männliche Sicht eher antizipatorisch: Mädchen sind für Männer eher kleine Frauen. Sie enthalten in nuce bereits die ganze Weiblichkeit, teilweise sogar in stärkerer Ausprägung als erwachsene Frauen, denn sie sind noch kleiner, noch schwächer, noch abhängiger und noch leichtgläubiger; ihre Stimme ist noch heller, ihre Haut noch glatter. Außerdem fehlt Männern oft die Einfühlung in die inneren Veränderungen der weiblichen Pubertät, die sie für eine weniger einschneidende Zäsur halten als die eigene. Frauen und Mädchen scheinen viel mehr gemeinsam zu haben als Männer und Knaben.

Eine Folge dieser Sicht ist, daß Männer dazu neigen, Mädchen wie Frauen zu behandeln oder Frauen wie Kinder. Hinzu tritt der verbreitete Dornröschen-Mythos, der besagt, daß Frauen erst durch Männer wirklich zur Frau werden, also männlicher Hilfe bedürfen, um sich zu entpuppen. Hier treffen zwei schwer vereinbare Vorstellungen aufeinander: das Konzept der angeborenen und das der schlummernden, von der Frau allein nicht erfüllbaren Weiblichkeit. Daß sich solche Mythen, Verquickungen und Verwechslungen auch in der Darstellung kleiner Mädchen niederschlagen, ist zu erwarten.

Im Film erscheint die Gestalt des kleinen Mädchens einmal auf der fiktionalen Ebene, als Charakterentwurf, wie ihn das Drehbuch umreißt; zum andern auf der physischen, denn sie wird ja durch eine Darstellerin verkörpert. Auf beiden Ebenen kann die Gestalt gewählt und geformt werden, um einer Vorstellung, einer Vision zu entsprechen. Aber während dem Publikum einigermaßen bewußt ist, daß eine Spielfilmfigur künstlich entsteht, erscheint die kleine Schauspielerin als ein realer Mensch, der auch außerhalb des Films existiert. Das trifft grundsätzlich auf alle Schauspieler zu, verschärft sich aber im Fall von Kindern, weil man ihnen weniger Rollenspiel zutraut; Kinder scheinen - ähnlich dressierten Tieren - vordringlich sich selbst darzustellen. Daß sie einen strengen Auswahlprozeß durchlaufen haben, der - im allgemeinen - von Männern bestimmt wurde, tritt demgegenüber zurück.

Bei der Besetzung von Mädchenrollen sind gewisse Kriterien und Tendenzen im Spiel. Wahrscheinlich werden solche Kinder vorgezogen, die möglichst lenkbar sind, möglichst gut auf Regie ansprechen - muntere, aber fügsame kleine Mädchen also, die gern gefallen.5 Weiter sollen sie, insbesondere in Nebenrollen, herrschenden Konzepten entsprechen, sie möglichst übererfüllen, um einerseits ohne besondere Charakterisierung verständlich zu funktionieren, anderseits vollkommener zu sein als der reale Durchschnitt. So wird man um der Deutlichkeit, der Geschlechterstereotypie und der Anziehungskraft willen Kandidatinnen auswählen, die besonders niedlich und feminin wirken: zarte, verletzliche Geschöpfe mit weicher Haut, großen Augen und der Fähigkeit, sowohl eine gewisse Erotik zu verströmen wie Beschützerinstinkte zu wecken.

Als erstes Beispiel soll D.W. Griffith’ The Country Doctor dienen, ein kurzer amerikanischer Spielfilm von 1909. Er handelt von einem Arzt, glücklich verheiratet und Vater einer kleinen Tochter, der plötzlich vor eine verhängnisvolle Entscheidung gestellt ist. Zu einer kleinen Patientin gerufen, verläßt er das Krankenbett seiner Tochter, folgt der Pflicht und verliert das eigene Kind.

The Country Doctor steht im Rahmen vieler melodramatischer Werke des Regisseurs, denen noch der viktorianische Geist des moralischen Rührstücks anhaftet. Da es im Melodrama darum geht, sentimentale Gefühle auszukosten - Unrecht, Aufopferung, Vergeblichkeit, die Tapferkeit der Schwachen, den unverdienten Schmerz der Guten -, und da die Hauptpersonen meist weiblichen Geschlechts sind, ist die Rolle kleiner Mädchen vorgezeichnet: Sie verkörpern das weibliche Element par excellence, weil sie der schwächste, empfindlichste und zugleich unschuldigste, lieblichste Teil der Gesellschaft sind.

Dies wird in visuellen Darstellungen noch deutlicher als in der Literatur, denn hier treten die signifikanten Eigenschaften auf einen Blick sinnfällig in Erscheinung. Das viktorianische kleine Mädchen ist die Miniatur seiner Mama, trägt ebenfalls langes, möglichst lockiges, möglichst volles Haar, helle, aufwendig mit Rüschen und Bändern geplusterte Kleider in vielen Schichten, darunter Spitzenwäsche mit langem Bein; einzig die schwarzen Riemchenschuhe sind ein Attribut der Kindlichkeit.

In kaum einer Epoche schlägt sich die Polarisierung der Geschlechter so nachdrücklich im Kleiderkode nieder. Männer tragen enge, meist dunkle, strenge Anzüge, kurzes Haar, aber viel Bart; sie nehmen sich neben den duftigen, fließenden, ausladenden Frauen wie dunkle Pfähle aus. Auch die Knaben sind eher schlicht und schmal gekleidet, wenn auch lockerer und verspielter als die Erwachsenen. Es kommt den Anliegen des frühen filmischen Melodramas zugute, daß Weiblichkeit so eindeutig kodiert ist und durch die aufgeplusterte Mode so viel Platz auf der Leinwand beansprucht. Kleine Mädchen können, selbst wenn sie nur als Statistinnen dienen, das weibliche Element fühlbar steigern. In den Filmen von D. W. Griffith treten wesentlich mehr Mädchen auf als Knaben.

The Country Doctor zeigt den Landarzt zunächst bei einem Sonntagsspaziergang durch die sommerlichen Wiesen. Es dauert einen Augenblick, bis Frau und Töchterchen sich ebenfalls durchs hohe Gras gearbeitet haben, dann steht die ganze Familie vor uns: der Doktor, schmal, schwarz und hochgewachsen, von den beiden anderen abgesetzt; Mutter und Tochter in lichter Sinnlichkeit, fast identisch bis auf die Größe, eng beisammen in der Blumenwiese. Das Töchterchen pflückt Margeriten; man erreicht ein Mäuerchen, über das der Doktor eine nach der anderen in ritterlicher Fürsorge hebt. Er genießt die Weiblichkeit seiner Familie, setzt sich ihr aus, auch wenn oder gerade weil er einer ganz anderen Gattung Mensch angehört als sie. - Erst nach diesem Augenblick des Glücks nimmt das Schicksal seinen Lauf. Im folgenden wird man das Töchterchen nur noch leidend im Bett hegen sehen, das an der gleichen Stelle der Leinwand steht wie das Bett der anderen kleinen Patientin. Die Mütter und Dienstmädchen ringen die Hände an beiden Krankenlagern; nur der - einzigartige - Doktor vermag zu handeln, doch auch er kann nur eines der Kinder retten.

Was würde sich an diesem Melodrama ändern, wenn das eigene Kind ein Sohn wäre? Pflichtbewußtsein und Opferbereitschaft des Arztes blieben dieselben, auch der Aufbau der Handlung könnte identisch bleiben. Aber die Geschichte wäre einerseits weniger traurig - sie gewinnt bei Griffith an Traurigkeit, weil uns das kleine Mädchen noch kurz zuvor als ein so unbeschwertes und liebreizendes Geschöpf entgegentrat, das die zärtliche Liebe des Vaters mit der Mutter teilt. Der Antagonist des Films, die heimtückische Krankheit, sucht sich die zartesten Opfer. Und sie wäre anderseits viel trauriger, wäre eine Tragödie statt eines wehmütigen Rührstücks, wenn das einzige Söhnchen des Landarztes dahingerafft würde. Denn das Mädchen bildete nur einen Teil der Weiblichkeit seiner Familie, Teil einer femininen Masse, die nach wie vor in Gestalt der Frau vertreten ist. Ein Knabe dagegen wäre von anderer Art. Der Verlust seines Sohnes ließe den Vater verwaisen; niemals könnte er darüber hinwegkommen, ihm seine Heilkunst vorenthalten zu haben, auch wenn er sich als Arzt nicht anders entscheiden durfte.

The Country Doctor erzählt die Geschichte des Arztes melodramatisch optimal. Der Schicksalsschlag ist durch die Wahl des Opfers von größter, innigster Traurigkeit, ohne doch vernichtend zu sein. Die Trauer des Vaters um die kleine Tochter ist zugleich stärkend, denn er darf sich ihr im Bewußtsein überlassen, moralisch richtig gehandelt zu haben, und er kann die Verstorbene durch das weibliche Gefühl der Aufopferung und die Gemeinsamkeit mit der Mutter des Mädchens ersetzen.

Das zweite Beispiel stammt aus den 30er Jahren. Shirley Temple, der berühmteste Kinderstar aller Zeiten, begann ihre phänomenale Karriere 1932, im Alter von drei Jahren. Zwischen sechs und neun Jahren erlebte sie ihre größten Erfolge, doch mit dem Eintritt in die Pubertät schwand ihr Charisma; ihre Rollen in den 40er Jahren sind eher glanzlos, ein Comeback wollte nicht gelingen.6

The Littlest Rebel von 1935 markiert einen Höhepunkt in Shirley Temples Laufbahn. Die Rolle war ihr auf den Leib geschrieben: Als Töchterchen eines Südstaatlers und Spions während des amerikanischen Bürgerkriegs erlebt sie große Abenteuer; die Mutter stirbt früh; Shirley hegt und umsorgt den Vater, bis er gefangengenommen und zum Tode verurteilt wird; und sie rettet ihn, indem sie persönlich bei Präsident Lincoln vorspricht und um Gnade bittet. Tief gerührt von ihrem kindlichen, warmherzigen Ernst und bezaubert von ihrem Charme, unterzeichnet der Präsident das Gesuch.

Im Verlauf dieser Handlung kann Shirley Temple alle Register ziehen, auf denen ihre große Popularität beruhte. Sie tanzt und singt - besonders entzückend mit einem alten Negersklaven, dessen ausgefeilten Stil sie virtuos kopiert. Sie spielt die kleine Hausfrau mit Hingabe. Sie flirtet mit feindlichen Soldaten. Sie erleidet großen Kummer und erträgt ihr Los tapfer. Sie entfaltet eine unwiderstehliche Energie, um die Welt wieder ins Lot zu bringen. In jedem Augenblick ist sie durch ihre Weiblichkeit definiert, die sich in allen Wandlungen von Situation und Kostüm unübersehbar behauptet. Eine Übersetzung ihrer Rolle ins Männliche - ein Knabe an ihrer Stelle - wäre undenkbar.

Auf einem Kinderfest, gleich zu Beginn des Films, hat Shirley über viele Minuten Gelegenheit, ihre Reize zur Schau zu stellen. Sie trägt ein Ballkleid mit weitem Ausschnitt; in den Großaufnahmen legt sie das Köpfchen mit den berühmten 56 Locken schief und schiebt die eine Schulter nach vorn, so daß ein Trägerband sich in ihre weiche Haut eingräbt und ihr Décolleté sich verführerisch wölbt. Die unschuldige, ernsthafte Kindlichkeit ihrer Worte steht in eigenartigem Kontrast zu diesem äußerst weiblichen Körper. Später im Film fällt die manifeste erotische Zuwendung zum Vater auf - wie in fast allen Shirley-Temple-Filmen ist sie einzige Tochter eines Witwers und fast ausschließlich von Männern umgeben. Auch der Vater entspricht nicht dem üblichen Rollenklischee, sondern wird durch den „jugendlichen Liebhaber“ John Boies dargestellt, der die Erotik der Tochter durch entsprechendes Flirtverhalten schürt. Im Finale tanzt und singt Shirley mit dem Vater und einer Gruppe Soldaten wie eine Animierdame oder Saloontänzerin, auf der sich alle Männerblicke versammeln.

Merkwürdig ist, daß die intensive sexuelle Ausstrahlung Shirley Temples in der zeitgenössischen amerikanischen Rezeption nicht benannt wurde. Vielmehr galt sie als Archetyp des Kindes, Vorbild für unzählige kleine Mädchen, die nach ihrem Muster gekleidet, frisiert, sozialisiert wurden, und ihre Filme vermarkteten sich als Familienfilme par excellence, gesunde harmlose Unterhaltung, mit der Hollywood sein lasterhaftes Image aufbessern konnte. Offenbar vermochte man sich im Amerika der 30er Jahre nicht einzugestehen, daß kindliche Sexualität überhaupt existiert, so daß Shirley Temple keine Gefahr lief, als allzu erotisch abgestempelt zu werden. Ihre Ausstrahlung durfte genossen werden - insbesondere auch von Frauen, die sich in die lebendige Energie und Bewegungsfreiheit dieses Kindes hineinprojizierten oder Shirleys Verhältnis zum Vater regressiv auskosten konnten.

In die kollektive Feier des Kinderidols platzte allerdings eine englische Kritik, die Stürme der Empörung und des Widerspruchs auslöste. Der Schriftsteller Graham Greene, damals auch als Filmkritiker tätig, wagte es, Shirley Temple einer frühreifen, anstößigen Erotik zu bezichtigen. Ihre Kindlichkeit sei eine Verkleidung, hinter deren Maske sie ihre eigentlichen Reize zur Schau trage - Reize, die der reifen Anzüglichkeit einer Marlene Dietrich gleichkämen. Shirleys wohlentwickelter Körper, ihr koketter Blick, ihre verderbten Grübchen gehörten in die erotische Welt der Erwachsenen. Und schlimmer noch: Greene bezichtigte Männer mittleren Alters und sogar Geistliche, sich der suggestiven Kindererotik begeistert auszuliefern, da ihnen die Schlüpfrigkeit ihrer Kinounterhaltung nicht zu Bewußtsein komme.7 Greene verlor den Prozeß, der wegen Beleidigung gegen ihn angestrengt wurde; der Verleger zog die Zeitung, in der die Kritik erschienen war, sofort zurück, und noch immer fehlt der Text in Greenes gesammelten Werken.8

Heute ist es nicht mehr notwendig, verdrängte kindliche Sexualität und ihre Wirkung auf Erwachsene zu enttarnen. Wenn Jan Svankmajer 1988 Lewis. Carrolls Alice in Wonderland wieder verfilmt9, so fließt ein ganz anderes Vorverständis von der Ausstrahlung kleiner Mädchen mit ein; und außerdem sind die erotischen Verstrickungen Carrolls mit seinen kleinen Fotomodellen und Briefpartnerinnen bekannt. Aber Svankmajer geht auf diese Seite seines Themas nur indirekt ein und keinesfalls in kritischem Sinne. Vielmehr konzentriert sich sein verspielter, meisterhaft inszenierter und photographierter Film auf die Skurrilität und Surrealität seiner Vorlage, die er werkgetreu umzusetzen sucht. Interessant ist jedoch die Wahl der Darstellerin ebenso wie die Art und Weise, mit der sie ins Bild gesetzt wird.

Die Darstellerin Kristina Kohoutova ist zunächst jünger, als man erwarten würde - sie wirkt wie etwa fünf -, und sie verfügt über eine deutliche sexuelle Ausstrahlung: langes blondes Haar, eine gewisse Weichheit und Pummeligkeit der Gestalt, große Augen und ein voller weicher Mund. Die kleine Alice ist natürlich viktorianisch gekleidet, aber ein bißchen freier als die Mädchen bei Griffith. Es fehlen die vielen Schichten von Rüschen, signifikanterweise auch die lange Spitzenunterhose; aber an den Füßen trägt sie die kleidsamen schwarzen Spangenschuhe. Im Verlauf der Handlung wird sie häufig ihre Beine entblößen, weil sie klettert, kriecht, springt - öfters sicherlich, als die Situationen das erfordern, und deutlicher, physischer sichtbar als nötig. Sie wird außerdem Söckchen und Schuhe ausziehen, so daß ihre weichen kleinen Füße zur Schau gestellt sind.

Svankmajers Kamera unterstützt die Erotik der Darstellerin und ihrer freizügigen Bewegung durch Aufnahmen, die einzelne Körperteile fragmentierend herauslösen.10 Insbesondere der Mund des kleinen Mädchens erfährt eine immense Betonung. Um der Romanvorlage gerecht zu werden, rezitiert Alice immer wieder Sätze aus Lewis Carrolls Text. Sie werden verfremdet, ihr Zitatcharakter unterstrichen, indem nur die sprechenden Lippen in extremer Großaufnahme sichtbar sind. Der gerötete volle Mund und die strahlend weißen Zähne präsentieren sich in einladender Nähe; kindliche Proportionen sind zwar noch zu ahnen, aber durch die isolierende Fragmentierung weitgehend aus dem Bewußtsein getilgt.

Im Gegensatz zu Shirley Temple läßt Kristina Kohoutova allerdings kein kokettes Verhalten erkennen. Die kleine Darstellerin nimmt den Kontakt mit dem Publikum nicht auf, sondern agiert eher selbstverloren oder in die Handlung vertieft. Damit bleibt eine wesentliche erotische Dimension unerfüllt. Gleichwohl will das Unbehagen nicht weichen, daß hier ein Kind dazu benutzt wird, erotischen Erwachsenenwünschen zu entsprechen.

Wolfgang Beckers Schmetterlinge aus dem Jahre 1987, eine Verfilmung der Kurzgeschichte Butterflies von Ian McEwan, springt direkt in den unheilvollen Zusammenhang zwischen kindlicher Sexualität und Lustmord. Während die literarische Vorlage ganz aus dem Bewußtsein des Mannes/Mörders strukturiert ist und dadurch in der Schwebe bleibt, was die Rolle des kleinen Mädchens angeht, operiert der Film mit einem realen, sichtbaren Kind: einem siebenjährigen Mädchen von ungewöhnlich starker, frühreifer Erotik, die sie mit kindlicher Naivität, aber zugleich absichtsvoller Aufdringlichkeit zur Schau stellt. Das Mädchen gesellt sich an einem heißen, langweiligen Nachmittag zu einem jungen Arbeitslosen, fällt ihm lästig, fasziniert und provoziert ihn aber auch. Teils einander neckend wie Geschwister, teils in sexueller Spannung zueinander und schließlich in aggressiver Konfrontation treiben sie der Katastrophe zu.

Becker gelingt es durchaus, die Situation glaubhaft zu gestalten. Seine Wahl der Darstellerin ist perfekt, aber gerade deshalb prekär und perfide. Das delikate Verhältnis zwischen Täter und Opfer, zwischen Schuld und möglicherweise Mitschuld durch Verführung zur Tat, wird durch diese Besetzung vereindeutigt. Es wird nachvollziehbar, auf welche Weise sich der Protagonist verstrickt hat, sich verstricken muß durch die Annäherungsversuche des Mädchens, die Art, wie sie ihn manipuliert und aufreizt, wie sie gekleidet und frisiert ist, wie sie geht, wie sie blickt. Kurz vor der Katastrophe hat sie sich auf eine Treppe gesetzt, weil ein Stein im Schuh sie drückt. Er steht unterhalb, blickt auf ihre gespreizten Beine, ihren weißen Schlüpfer, und läßt sich eher widerwillig herab, ihr Sandale und Socke auszuziehen, um den Stein zu finden.

Für das Publikum ist die Situation idealtypisch: Ein Mädchen, das mit dem Feuer spielt und alle verbotenen Register zieht. Ihre Mutter hat sie hergerichtet wie eine kleine Lolita, ihre „angeborene Weiblichkeit“ tut ein übriges, aber niemand behütet sie oder belehrt sie über die Gefahren, die sie heraufbeschwört.

Durch die reale Körperlichkeit und sinnliche Persönlichkeit der Darstellerin gewinnt die Versuchung des Mannes eine ungute Evidenz - eine Bestätigung der nur allzu gängigen Theorie, der Mißbrauch von Kindern (oder die Vergewaltigung von Frauen) sei von ihnen selbst provoziert, wenn nicht sogar gewünscht.

Sicherlich gibt es tatsächlich Kinder, deren Sexualität stark entwickelt und auf Erwachsene gerichtet ist, und sicherlich kommt es auch vor, daß sie gelegentlich provozieren. Der Regisseur des Films, Wolfgang Becker, hat (in einer Diskussion nach der Premiere) darauf hingewiesen, daß er natürlich nicht die Opfer von Sexualdelikten generell verantwortlich machen wolle, sondern einen Individualfall entwerfe, der sich in der gezeigten Weise habe zutragen können. Daß der Film dennoch ein Gefühl der Verunglimpfung hinterläßt, vermag dieses Argument allerdings nicht aus der Welt zu schaffen.

Das Problem könnte damit Zusammenhängen, daß der - in der Wirklichkeit mögliche - spezielle Fall in der Fiktion seine authentische Individualität, seinen Zufallscharakter verliert. Eine fiktionale Erzählung ist ja erschaffen, d.h. von ihrem Autor/ihrer Autorin für erzählwürdig gehalten und erklärt worden. Die Geschichte ist damit als sinnhaftes Konstrukt fixiert, das zwar keine allgemeine Gültigkeit beansprucht, aber dem Publikum doch als Substrat von Wirklichkeit gegenübertritt. Es bietet sich als Erklärungsmodell an, vor allem dort, wo ein Konflikt bereits öffentlich diskutiert wird. Die Autoren können der Generalisierung allerdings durch Textstrategien entgegenwirken - so wie McEwan seine Schmetterlingsgeschichte derart subjektiviert, daß das Verhalten des Mädchens nicht zum Thema wird (ob aus dem genannten Grund, bleibe dahingestellt).

Wolfgang Becker arbeitet zwar ebenfalls mit Brechungen und Subjektivierungen, vermag aber die Konkretisierung im photographischen Bild nicht zu vermeiden. Insbesondere durch die Besetzung der Rolle, aber auch durch die Inszenierung insgesamt verschiebt sich der Gehalt des verfilmten Stoffes von der Perversion des Täters auf die Provokation durch das Opfer, das kindliche Sexualobjekt. Auch wenn es nicht so beabsichtigt war, wirkt der Film Schmetterlinge als Bekräftigung allseits verbreiteter Vorurteile und als Entschuldigung der Täter. Sein Erfolg - etwa in mehrfachen Fernseh-Ausstrahlungen - weist daraufhin, daß er zeigt, was viele sehen wollen.

Es läßt sich nicht beweisen, daß eine Regisseurin mit dem Stoff „Schmetterlinge“ anders verfahren wäre und wohl auch eine andere Darstellerin gewählt hätte. Überhaupt gibt es noch zu wenig Filme von Frauen, als daß man statistisch ermitteln könnte, wie sie mit dem Thema „kleine Mädchen“ umgehen. Aber man kann vermuten, daß Regisseurinnen kein Bedürfnis haben, männliche Stereotypisierungen zu wiederholen, und daß ihre kindlichen Figuren weniger „Weiblichkeit“, weniger frühreife Sexualität und statt dessen mehr Autonomie, Individualität, Bewegungsfreiheit an den Tag legen: eine Bewegungsfreiheit, die mehr ist als gefährdetes Unbeaufsichtigtsein und zu mehr führt als zu erotischen Verstrickungen.

Die Regisseurin Jane Campion beginnt ihre filmische Biografie An Angel at my Takle (Neuseeland 1990) mit der Jugend der Schriftstellerin Janet Frame. Als Eröffnung erscheinen zunächst kurze Einstellungen, die Mutter und Kleinkind zeigen und liebevoll die ersten Schritte auf krummen Beinen durchs Gras beobachten. Dann begegnen wir Janet im Alter von etwa sechs Jahren. Schon in der Besetzung der Rolle drückt sich eine dezidierte Abkehr von jeder Konformität aus: Das Mädchen hat leuchtend rotes struppiges Haar und deutliches Übergewicht, einen großen Kopf auf dem vierschrötigen ungraziösen Körper und ein verschlossenes, unglückliches Gesicht. Manches davon war durch die Autobiografie Janet Frames vorgegeben, hätte jedoch in Richtung herrschender Schönheitsvorstellungen abgemildert werden können. Aber Jane Campion bezieht gerade aus der abweichenden Physis ihrer Protagonistin besonderen Sinn, deren Kampf mit dem eigenen Körper und deren Scheu, sich zu exponieren, den Minderwertigkeitsgefühlen vieler Mädchen entspricht.

Eigentliches Thema ist die Selbstfindung in einer Welt, die keine für Janet brauchbare Orientierungshilfe gibt. Dieser Zustand, und mit ihm die autonome Entschlossenheit der Heldin, ist gleich zu Beginn symbolisiert: Wir sehen das kleine Mädchen aus großer Entfernung auf einer schnurgeraden Landstraße, die durch die Einöde auf die Kamera zu führt. Rechts und links glatte, uferlose grüne Flächen, dahinter Hügelketten. Das Mädchen ist ganz allein in diesem Panorama. Sie wandert zielbewußt durch die Weite, auch wenn sie für die Größenordnung der Landschaft viel zu klein ist.

Als Janet die Kamera fast erreicht hat, hält sie jedoch inne, faßt sich unentschlossen ans Kleid - wir sehen ihre dicke kleine Hand, die hilfesuchend den Stoff befingert, in Großaufnahme. Dann wendet sie sich in plötzlicher Verstörtheit um und galoppiert zurück. Gleichzeitig zieht ein Wolkenschatten über die Landschaft, der die Hügelketten verdunkelt und den weiteren Weg des Mädchens in düsteres Licht taucht. Freiheit und Verlassenheit, Selbstbestimmtheit und Rückzug, Mut und Panik mischen sich auf ambivalente Weise in dieser Anfangssequenz. - Auch spätere Szenen zielen darauf ab, die Unangepaßtheit und zugleich die innere Sicherheit der Protagonistin zu erforschen. Zeitweilig wird sie scheitern, zeitweilig sogar im Irrenhaus gefangengehalten, bis sie sich als eigenständige Dichterin behaupten kann.

Der bisherige Überblick über verschiedene filmische Varianten kleiner Mädchen sollte durch wenigstens ein Beispiel ergänzt werden, in dem ein männlicher Regisseur seine Protagonistin nicht als Püppchen, Sexualobjekt, Evastochter oder dergleichen präsentiert, sondern ebenfalls als autonomes, komplexes Individuum. Denn die Polarisierung der Geschlechter ist in unserer Kultur nicht so festgefahren, daß eine solche Darstellung unmöglich wäre.

In Vincente Minnellis Film von 1944, Meet Me in St. Louis, begegnen wir der jungen Margaret O’Brien - einem Hollywood-Kinderstar wie Shirley Temple, wenn auch weniger prominent. Margaret O’Brien besitzt weder Shirley Temples Schönheit noch deren sexuelle Ausstrahlung, obwohl sie ein hübsches, sympathisches Kind ist; ihr Markenzeichen war eher eine schelmische Naivität, verbunden mit einem gewissen Draufgängertum und Wortwitz. Sie ließ sich in Richtung „niedliches kleines Ding“ gut in Nebenrollen einsetzen, eignete sich aber wegen ihrer großen schauspielerischen Begabung auch für komplexe Hauptrollen mit schillerndem Gefühlsregister.

In Meet Me in St. Louis verkörpert Margaret O’Brien Tootie, das jüngste Kind einer großen Familie mit vielen heranwachsenden Töchtern. Während die älteren Schwestern mehr oder weniger fest im Netz der Konventionen stecken (der Film spielt zu Beginn des Jahrhunderts) und bei ihrer Bemühung, attraktive Männer zu finden, dauernd durch mangelnde Bewegungsfreiheit behindert werden, darf sich die jüngste Schwester noch frei entfalten. Sie wird, wohl aus diesem Grund, von ihren Geschwistern besonders geliebt und respektiert.

Zu Halloween, dem amerikanischen Kinderfest, an dem man böse Geister vertreibt, wird Tootie mit einer Clownsmaske und der traditionellen Tüte Mehl ausgestattet, die man den Gespenstern ins Gesicht wirft, wenn man Mut genug aufbringt, sich mit ihnen anzulegen. Üblich ist, bei unbeliebten Nachbarn zu klingeln, die man als Geister entlarvt hat, und sie mit dem Mehl unschädlich zu machen. Tootie, das kleinste einer Gruppe von Kindern, die sich um ein abendliches Halloween-Feuer versammelt haben, wird zunächst von niemandem ernst genommen. Erst als sie sich entschließt, den gefürchteten Mr. Brockhoff zu übernehmen, horchen die übrigen Kinder auf. Tootie schreitet tatsächlich allein durch die Dunkelheit, mit steifem Rücken und viel zu großer Clownsnase auf dem kleinen ernsten Gesicht, erfüllt ihre Mission und kehrt mit erhobenem Kopf und atemlos vor Angst ans Feuer zurück. Die Mutprobe wird honoriert, Tootie als „the most horrible“, die Schrecklichste von allen, gefeiert.

In dieser Weise nacherzählt, klingt die Episode rührend und erinnert an unzählige Mutproben aus Kinderbüchern und Kinderfilmen. Doch in der behutsamen, lang gehaltenen, düsteren, angsterfüllten Inszenierung Minnellis11 und dem subtilen Spiel Margaret O’Briens teilt sich die Überwindung der Angst in ihrer triumphalen Bedeutung als echte Grenzüberschreitung mit. Daß ein kleines Mädchen einer solchen Grenzüberschreitung gewürdigt und damit als entwicklungsfähiges Subjekt anerkannt wird, unterscheidet Meet Me in St. Louis von den meisten Mädchendarstellungen seiner und anderer Epochen.

In der Auswahl meiner Beispiele mußten verschiedene Facetten der Darstellung kleiner Mädchen unberücksichtigt bleiben, teils weil kein Anschauungsmaterial zur Verfügung stand, teils weil kein Raum mehr blieb. So wäre es noch interessant gewesen, das kriminelle Kind, die kleine Mörderin, einzubeziehen (z.B. in Mervyn LeRoys The Bad Seed, 1956). Ihr zur Seite hätte man die vom Teufel Besessenen stellen können (in Tobe Hoopers Poltergeist von 1982 oder Gertrud Pinkus’ Anna Göldin von 1991). In beiden Fällen ist die Tendenz zu verzeichnen, mit besonders zarten, lieblichen, engelhaften Geschöpfen zu arbeiten. Interessant wäre es auch, Geschwisterpaare zu betrachten, zum Beispiel in Hinblick darauf, ob der Bruder oder die Schwester älter ist und ob die Entscheidung für einen bestimmten Mädchentypus mit dem Altersgefälle korreliert. Ein weiteres Projekt könnte darin bestehen, das kleine Mädchen im faschistischen Film zu analysieren, mit der gleichzeitigen Darstellung kleiner Jungen oder mit Beispielen aus anderen Ländern zu vergleichen. Auch der Kinderfilm, der sich an ein ausschließlich kindliches Publikum richtet, bildet ein lohnendes Untersuchungsobjekt. Ich habe ihn jedoch mit Absicht ausgegrenzt, weil er nach anderen Kriterien und Prinzipien funktioniert als der Spielfilm für Erwachsene.

Ein vorzüglicher Überblick über die feministische Filmtheorie läßt sich aus der Zeitschrift Frauen und Film gewinnen, die 1974 in Berlin von Heike Sander gegründet wurde und inzwischen von Heide Schüpmann und Gertrud Koch in Frankfurt am Main herausgegeben wird. Die Zeitschrift erscheint zweimal jährlich im Verlag Stroemfeld/Roter Stern. Ihr amerikanisches Gegenstück ist Camera Obscura: A Journal of Feminist and Film Theory; aber auch in vielen anderen Film Zeitschriften des angelsächsischen Sprachraums erscheinen regelmäßig feministischtheoretische Aufsätze, wie der feministische Diskurs aus der neueren Filmtheorie ohnehin nicht mehr wegzudenken ist.

Vgl. Simone de Beauvoir, Brigitte Bardot and the Lolita Syndrome, 1960 (leider liegt mir nur die englische Übersetzung vor). Brigitte Bardot war zwar über das klassische Lolita-Alter schon hinaus, Simone de Beauvoir hat jedoch auf wegweisende Art versucht, die Charakteristika der Kindfrau zu bestimmen. Ein späteres Buch, Marianne Sinclairs Hollywood Lolita: The Ny mph et Syndrome in the Movies, 1988, setzt bei einer jüngeren Altersstufe ein und verfolgt die Nymphe aus dem Stummfilm bis zu Jodie Foster und Brooke Shields. Sinclair berührt zwar viel interessantes Material, begnügt sich jedoch mit einer sensationsheischenden, journalistischen Darstellung.

Vgl. Lewis Carrolls Briefe an kleine Mädchen in der Ausgabe von Klaus Reichert, die 30 Photographien des Autors enthält.

Zur gegenwärtigen Lage in der BRD vgl. den Bericht der Sachverständigenkommission, 1988, von Helga Krüger u.a.; eine Studie über italienische Mädchenerziehung hat Elena Gianni Belotti 1973 vorgelegt.

Norman J. Zierold beschreibt in The Child Stars, 1965, anhand vieler Beispiele, welche Anforderungen in Hollywood an Kinderschauspieler gestellt und aus welcher Masse von Kandidatinnen der einzelne Star ausgelesen wurde. Vgl. auch Marianne Sinclair, Hollywood Lolita, S. 44ff, die insbesondere darauf eingeht, in welchem Maße weibliche Kinderstars in den 30er Jahren dem erotischen Geschmack der Erwachsenen entsprechen mußten. - Der italienische Regisseur Luchino Visconti hat das Phänomen des Kinderstars in Bellissima, 1951, zum Thema eines Films gemacht.

Zum Phänomen Shirley Temple vgl. Norman Zierold, S. 56ff; Marianne Sinclair, S. 42 ff; und Charles Eckert, 1974, passim, der am überzeugendsten herausarbeitet, worin Shirleys immense Attraktivität während der Depressionsjahre bestand: „One opens one’s heart [...], and the most implacable realities alter or disperse“ (S.67) und „Shirley’s capacity for love drew her into a small, warm ball, curled her hair, dimpled her cheeks and knees and set her in perpetual motion - dancing, strutting, beaming, wheedling, chiding, radiating, kissing. And since her love was indiscriminate, extending to pinched misers or to common hobos, it was a social, even a political, force on a par with the idea of democracy or the constitution“ (S. 68).

Die Kritik - zu Wee Willie Winkle - war 1937 in dem Londoner Magazin Night and Day erschienen und brachte Shirley Temple innerhalb einer Spalte gründlich und gehässig auf den Punkt. Vgl. z.B. „Adult emotions of love and grief glissade across the mask of childhood, a childhood skin-deep“ oder „the sight of her well-shaped and desirable little body, packed with enormous vitality”.

In den gesammelten Filmkritiken Greenes, The Pleasure Dome, 1972, findet sich auf S. 92 jedoch eine Art Vorstufe zu dem verbotenen Artikel - eine Kritik des Shirley-Temple- Films Captain January von 1936 - sowie ein Appendix mit Materialien zu dem Verleumdungsprozeß, S. 276f.

9 Alice in Wonderland ist seit den Anfängen der Filmgeschichte immer wieder verfilmt worden. Die bekanntesten Versionen sind diejenige von Norman Z. McLeod, USA 1977, von Dallas Bower, England 1950, von Clyde Geronimo, USA 1951, und von Walt Disney, dessen Zeichentrickfilm im gleichen Jahr herauskam.

„Visuelle Fragmentierung“ ist ein wichtiger Begriff der feministischen Filmtheorie, der sich auf die fetischisierende Zerlegung und damit den Objektcharakter des weiblichen Körpers im von Männern und für Männer gedrehten Film bezieht. In Laura Mulveys bahnbrechendem Artikel von 1973, „Visual Pleasure and Narrative Cinema“, wurden die psychoanalytischen Hintergründe solcher sexistischer Bildgestaltung erstmals skizziert.

Vgl. Robin Wood, „Images of Child hood“, 1976, der die Mischung der Halloween- Sequenz aus Horror- und Märchenfilmelementen hervorhebt. Wood interessiert sich vor allem für die Familienproblematik und deutet die Tat Tooties in diesem Zusammenhang als symbolischen Vatermord (S. 164ff).

Literatur

Simone de Beauvoir, Brigitte Bardot and the Lolita Syndrome (1959), London 1960.

Elena Gianni Belotti, geschieht mit kleinen Mädchen? Über die zwangsweise Herausbildung der weiblichen Rolle in den ersten Lebensjahren durch die Gesellschaft (Mailand 1973), München 1975.

Lewis Caroll, Briefe an kleine Mädchen, hg. und übersetzt von Klaus Reichert, mit 30 Photographien Carrolls, Frankfurt am Main 1976.

Graham Greene, „The Films: Wee Willie Winkie - The Life of Emile Zola“, in: Night and Day (28.10.1937).

The Pleasure Dome: The Collected Film Criticism 1935-40, London 1972.

Charles Eckert, „Shirley Temple and the House of Rockefeller“, in: Christine Gledhill (Hg.), Stardom: Industry of Desire, London / New York 1991.

Helga Krüger / Gerhild Frasch u.a. (Hgg.), Alltag und Biografie von Mädchen, Sechster Jugendbericht der Sachverständigenkommission, Opladen 1988.

Laura Mulvey, „Visual Pleasure and Narrative Cinema“ (1973), in: dies., Visual and Other Pleasures, London 1989; dt. Übersetzung von Karola Gramann, in: Gislind Nabakowski ! Heike Sander / Peter Gorsen (Hgg.), Frauen in der Kunst, 1. Band, Frankfurt am Main 1980 (= edition suhrkamp 952), S. 30-46.

Marianne Sinclair, Hollywood Lolita: The Nymph et Syndrome in the Movies, London 1988; dt., München 1989.

Rohin Wood, „Images of Childhood“, in: ders., Personal Views: Explorations in Film, London 1976.

Norman J. Zierold, The Child Stars, London 1965.

Der vorliegende Text basiert auf einem Vortrag im Rahmen der Vorlesungsreihe „Feministische Perspektiven in der Wissenschaft“, die im Winter 1991/92 an der Universität und ETH Zürich stattfand. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Herausgeberinnen des daraus erwachsenen gleichnamigen Sammelbandes, Lynn Blattmann, Annette Kreis und Brigitte Liebig (= Zürcher Hochschulforum 21, Verlag der Fachvereine, Zürich 1992).

Für Anregungen und Beratung danke ich Han na Gagel, Eva Warth, Mariann Lewinsky und Cecilia Hausheer, für die findige Beschaffung der Graham-Greene-Materialien Jörg Magener und für Hilfe bei den Videoprints Beat Funk.

Christine Noll Brinckmann
geb. 1937 in China, seit 1989 Ordinaria für Filmwissenschaft an der Universität Zürich. Sie gab, zusammen mit Mo Beyerle, das Buch Der amerikanische Dokumentarfilm der 60er Jahre (Frankfurt am Main 1991) heraus; ihre Aufsatzsammlung Die anthropomorphe Kamera erschien 1997 in Zürich.
(Stand: 1998)
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