CATHERINE SILBERSCHMIDT

DIE WAHL (TOBIAS WYSS)

SELECTION CINEMA

Im Frühjahr 1986 wurde im Kanton Bern nach 140 Jahren bürgerlicher Mehrheit eine rot-grüne Regierung gewählt, der - auch das eine Premiere - eine Frau, Leni Robert, angehörte. Eine kurze Episode, denn vier Jahre später ist der rot-grüne Traum aus: Im April 1990 wählt das Berner Volk wieder klar bürgerlich. Auf der Strecke bleibt auch die grüne Regierungsrätin Robert. Tobias Wyss hat sie während des Wahlkampfs bis ins hinterste Dorf Simmental in sämtliche Hochburgen der SVP begleitet.

Die Gegenwart — eine schmierige Politkomödie - konfrontiert Wyss mit einem spannenden Einblick in die Geschichte der Gnädigen Herren zu Bern. Den ebenso witzigen wie aufschlußreichen Kommentar des Films hat der Journalist Heinz Däpp geschrieben. Leider ist dieser brillante Text zu dicht für ein Filmdokument, das den Anspruch hat, eine Politikerin zu porträtieren.

In mehreren Gesprächen versucht Tobias Wyss, sich seiner Protagonistin anzunähern, was ihm allerdings nur ansatzweise gelingt, denn die Politikerin ist im Ausweichen geübt. So bleiben spannende Fragen, wie etwa die nach dem Verhältnis zur Macht, nur oberflächlich beantwortet: „Macht korrumpiert, basta.“

Aufschlußreich ist Die Wahl in erster Linie dort, wo Parteirituale und „Schlammschlachten“ dokumentiert werden. Am prächtigsten stellt sich selbstredend die patriotisch triefende SVP dar - sie hat eine gründliche Imagepflege auch dringend nötig -, daneben wirken die „Dissidenten“ (Sozialdemokraten und Grüne) bleich und unbeholfen. Alles in allem gibt Die Wahl den Blick frei auf ein Stück schweizerische Politkultur, deren Niveau nicht unbedingt zum Ruhm unserer Demokratie gereicht.

Catherine Silberschmidt
ist freie Journalistin in Zürich.
(Stand: 2019)
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