JULIE PHILLIPS

DIE WAFFE (IN DER HAND) DER FRAUEN

FILMBRIEF

Eine Frau begibt sich mit einer anderen, ihrer besten Freundin, auf einen Camping-Ausflug. Ein leichtes Unbehagen - sie hat so etwas noch nie gemacht - veranlaßt sie, die Pistole ihres Gatten in die Handtasche zu stecken. Eine andere Frau bricht aus einer psychiatrischen Klinik aus und begibt sich in ein Haus in der Wüste, wo sie ein ganzes Waffenarsenal gehortet hat. Die eine Frau wird die Waffe benutzen, um einen Mann zu töten. Die andere, um die Welt zu retten.

Die derzeitige Debatte um Ridley Scotts im US-amerikanischen Südwesten angesiedelten Roadmovie Thelma and Louise und James Camerons Folge-Thriller Terminator 2 konzentriert sich auf die Frage von Frau und Gewalt im Kino, auf das Recht der Hollywood-Frau, Waffen zu tragen. Frauen sollten keine Waffen benutzen, sollten sich nicht am großen Hollywood-Töten beteiligen, argumentieren einige Kritiker und Kritikerinnen. Sie haben so unrecht nicht. Es macht Spaß, meinen dagegen manche Feministinnen, zu sehen, wie die Frau die Kontrolle übernimmt und endlich im Actionfilm-Genre den ihr gebührenden Platz einnimmt. Im Prinzip haben auch sie recht. Doch all diese Argumente laufen letztlich ins Leere, denn keiner der beiden Filme richtete sich nach diesen Überlegungen. Die beiden Thriller sind die neueste Variante jener Hollywoodschen Verlockung, die eine Möglichkeit eröffnet (sagen die einen) oder mit ihr droht (sagen die anderen), nur um diese letztlich in einem (ambivalent-glücklichen) Ende zu neutralisieren.

Die Romanze war einst die hauptsächlich verwendete Taktik des narrativen Abschlußverfahrens, sie war der Köder, mit dem das Publikum in den Film gelockt wurde. Zwei gänzlich verschiedene Figuren - ein Society Girl und ein Clochard, eine Mondäne und ein Paläontologe, ein Professor und eine Gangsterbraut - wurden durch eine unerklärliche, aber nichtsdestoweniger unausweichliche gegenseitige Anziehung zusammengeführt, während wir ihnen als unendlich mitfühlende Beobachter ins Zelluloid-Reich der Harmonie, der Verheißung und des garantierten Happy-Ends folgten. Der Geschlechterunterschied wurde, wie auch alle anderen Differenzen, negiert: Alle hatten wir einander lieb, einträchtig starrten wir vereint auf die Leinwand. Das Genre erforderte zwei Protagonisten, einen männlichen und einen weiblichen.

Doch inzwischen haben wir aufgehört, an die Unausweichlichkeit, an die Transparenz der Liebe zu glauben. Wir lasen Bücher, die uns über „Beziehungen“ aufklärten, wir wurden uns der Ungleichheiten in der Liebe schmerzhaft bewußt. Lovestorys machten uns mißtrauisch, befangen, brachten uns in die Defensive. Und so wurden im Hollywood der 80er Jahre die Liebesgeschichten (mit Ausnahme einiger phantastischer Fabeln wie Ghost, bei welchen die Romanze als Teil unserer allgemein verminderten Ungläubigkeit akzeptabel ist) abgeschafft und durch den Buddy-Film, den Kumpel-Film ersetzt. Ein Buddy- Film handelt fast immer von zwei Männern von äußerst schematisch gehandhabter Verschiedenheit hinsichtlich Klasse, Rasse oder Alter, welche jedoch bloß das grundlegende Gegensatzpaar tight/loose (angespannt/entspannt), wie es einmal jemand nannte, kaschiert. Einer ist schüchtern oder unterdrückt, verhärtet oder in Abwehrhaltung; der andere - der neue, geschlechtslose Verführer - ist unbekümmert, großzügig, liebevoll, offenherzig. Der Naive lehrt den Zyniker, sich zu entspannen, der Veteran lernt seinen Job vom Anfänger noch einmal neu. Die Entfaltung und Auflösung der Geschichte, d. h. das Verfolgen des (willkürlich gewählten) gemeinsamen Zieles, welches sie in erster Instanz zusammenführte, ist für das Publikum ebenso mitreißend wie eine entstehende Liebesgeschichte. Dieses Genre erfordert zwei Protagonisten, beide männlich. Geschlechterunterschiede sind hier völlig irrelevant.

Wohin führt dies in einem Film, in welchem beide Protagonisten weiblichen Geschlechts sind, wie in Thelma and Louise? Meine Hoffnung war, daß diese Konstellation das falsche Versprechen des Buddy-Films, seine erzwungene, klaustrophobische Vermählung von Gegensätzen, sein beharrliches Verleugnen aller Unterschiede exponieren würde. Doch nach Thelma and Louise geht es uns in fast jeder Hinsicht so schlecht wie zuvor. Da ist erneut dieses alte (falsche) Gefühl von Befreiung, als die beiden Freundinnen mit dem Auto losfahren. Der Schluß mag etwas düsterer sein als gewöhnlich, doch enthält auch er die müde Verheißung von im letzten Moment zum Standbild gefrorener Bewegung, in welcher die beiden nicht sterben, doch für immer gefangen sind im fragwürdigen Paradies der ewigen statischen Vereinigung. Gewiß, daß das Publikum sich mit einem Frauenpaar identifizieren soll, ist bereits eine kühne Forderung. Und die Tatsache, daß zwei Frauen in einem Leinwandthriller existieren dürfen, ohne sich gegenseitig aufzuheben und annullieren zu müssen (so wie in Total Recall die Gattin des Revoluzers die Spiongattin niederknallen muß - was das Publikum, zumindest bei meinem Kinobesuch, mit heftigem Beifall quittierte), ist ebenfalls abenteuerlich zu nennen. Doch bleiben sie innerhalb der eng gesteckten Grenzen des Buddy-Films, sind Gefangene eines nicht hinterfragten und letztlich infantilen Zusammenschlusses. Die Gewalttätigkeit im Film ist keineswegs exzessiv - ein paar Autozusammenstöße, ein Mord, eine zünftige Explosion. Das Innovative freilich des Films, das eine Element, worin er sich von all seinen Vorgängern unterscheidet, ist der Umstand, daß die blutrünstigen Sequenzen eine Identifikation eher erschweren denn fördern. Thelma and Louise ist einer der seltenen Buddy-Filme der letzten zwei Jahrzehnte, in welchem das Leinwandgemetzel verstörend wirkt.

Weil der Freundschaft gemeinhin die kinematographische Stoßkraft einer sexuellen Konnotation der gegenseitigen Attraktion fehlt, wird den Buddy-Filmen zur Kompensation, will heißen zwecks höherer Zuschauerzahlen, öfter Gewalt beigemischt: Sie ist eine Art psychischer Dosenöffner, der dem Publikum Emotionen aus der Kon- resp. Reserve entlocken soll. Doch die Spielregeln des Genres erfordern, daß die Kumpel Gewalt nur im Dienst eines höheren Ideals, wie flau und trügerisch dieses auch immer sein mag (z.B. Recht und Ordnung, Antikommunismus) anwenden. Nicht zur Verteidigung der Freien Welt, des Staats oder einer Busladung voll herziger Kinder töten Thelma (Geena Davis) und Louise (Susan Sarandon), attackieren sie Polizisten und jagen einen Tankwagen in die Luft, sondern aus Stolz, zur Erhöhung ihres Selbstwertgefühls. (Feminismus wird nicht als Anliegen im üblichen Sinn betrachtet, er ist kein kämpferisches Ideal wie etwa Demokratie, welche immerhin den Armen und Unterprivilegierten zugute kommt, während Feminismus, so lautet der Konsens, bloß seinen Verfechterinnen nützt.) Je entschlossener, ingrimmiger und wilder die beiden Vorgehen, je verschreckter auch und um sich selber anzutörnen, desto besser fühlen sie sich. (Auch wenn Ridley Scott brav genregetreu vorgeht, nimmt sich Wild at Heart im Vergleich dazu direkt moribund aus, ist doch Scotts Amerika der Landstraße mit seinen gigantischen Camionhaltestellen und anonymen Motels so viel eindrücklicher und akkurater als Lynchs selbstgefälliger Roadmovie-Verschnitt.)

So kann man den beiden Frauen vorwerfen, daß sie Gewalt strikt um ihrer selbst willen, zum eigenen Vergnügen verherrlichen. Dies stellt die Umkehrung der üblichen Gewaltanwendung dar - nicht so sehr die Waffe per se in Frauenhand, sondern was sie damit anstellt, ist es, was unsere Identifizierung in Frage stellt. Dennoch: Der Schluß - zu sehr inkriminiert, zu sehr „Outlaws“, um weiterleben zu können, fahren sie mit ihrem Thunderbird-Kabriolett ganz im Stil von Butch-und-Sundance über eine Felsklippe - negiert alles Vorhergehende und straft sie nicht mit dem Tod, sondern mit der Rückkehr in die ewige gesichtslose Einheit der Überblendung in letzter Minute. Die Bedürfnisse der Frauen entsprechen nicht den Anforderungen des Genres.

In James Camerons Fortsetzung von The Terminator beendet Arnold Schwarzenegger seine beunruhigende Karriere-Flugbahn, die sich von der teutonischen Roboter-Bedrohung zur republikanischen Vaterfigur, „Beendiger“ Numero zwo, erstreckt. Nach der ödipalen Lesart von Terminator 2: Jugdement Day ist er der gute Vater geworden. Doch auch die Mutterfigur hat eine Veränderung durchgemacht. In der ersten Szene läßt Sarah Connor (Linda Hamilton), die im ersten Teil kleinmädchenhaft und verwirrt wirkte, ihre eindrücklichen Trizeps-Muskeln spielen und macht in der Gefängniszelle heftig Körpertraining. Sie, der im ersten Teil ganz biblisch als Kellnerin in Los Angeles vom Erzengel Gabriel die Geburt eines politischen Messias verkündet wurde, ist nun Mutter, freilich eine rächende Mutter - nicht länger die Verfolgte, sondern die Verfolgerin.

Weil der gute Terminator angewiesen wurde, nicht mehr zu töten, legt er nun seine Opfer mit einem Schuß in die Kniescheibe lahm. Filmisch ist dies einiges ergiebiger, weil das Publikum das ganze aufregende Prozedere - der Schuß aus der Schnellfeuerwaffe, der Aufprall der Kugel und dann der in Agonie zusammensinkende Getroffene - serviert bekommt und gleichzeitig weiß, daß diese Gewalttätigkeit eine gute ist, absolut in Ordnung und, im Kontext des Films, noch nicht einmal real. (Da der böse Terminator unzerstörbar ist, kann er noch und noch in die Eingeweide getroffen werden; wie eine Comicfigur schnellt er immer wieder hoch.) Auch Sarahs Abgebrühtheit ist nur zur Hälfte real: einerseits Anspielung auf die Wahrheit, andererseits filmische Illusion. So wie Schwarzeneggers „Helden“ einen Bubentraum verkörpern, lebt sie eine Mädchenphantasie aus: Sie ist stark, schön, kompetent, kleidet sich in Schwarz, weiß mit einer Waffe umzugehen und kann sogar Bomben basteln und ist dennoch, wie alle wahren Helden, ein wenig verletzlich. Kurz: Sie ist die Frau, die ich immer sein wollte. Doch da sie zur Verteidigung ihres Sohnes kämpft, schießt sie nicht, um die Welt für Supergirls sicher zu machen, sondern für Muttis. In ihren Alpträumen ist der Ort der atomaren Vernichtung - das Armageddon, das nur sie verhindern kann - ein Spielplatz voller Kinder und Mütter inkl. eine unschuldigere Ausgabe ihrer selbst, der bis zur Unkenntlichkeit verbrannt wird. Und da sie nicht für sich selber kämpft, besitzt sie das lange, harte Ding, das Thelma und Louise fehlt: Sie hat ein Ideal, ein Motiv, das Recht auf ihrer Seite.

In gewisser Weise sind Thelma und Louise und Sarah Connor die perfekten Frauen für die 80er/90er Jahre: Die ersten zwei finden Befriedigung, indem sie in traditionelle Männerrollen schlüpfen, die dritte verbindet Mutterschaft und Karriere. Die Waffe ist Bestandteil der vorgetäuschten Chancengleichheit oder kaschiert andere, frühere Gleichheitsformeln. Egoistische Schießereien und Schlägereien ängstigen uns, sie sind schlecht. Doch Schießereien und Schlägereien zugunsten anderer oder anderem, dies schweißt uns zusammen, vereint uns in einem einzigen, emphatischen Adrenalinstoß - ein Gefühl beinahe, aber nicht ganz, wie Liebe.

(Aus dem Amerikanischen von Corinne Scheiben)

Julie Phillips
geb. 1965, Filmkritikerin in New York, u. a. für The Village Voice und Interview.
(Stand: 2019)
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