Dialog am Nebentisch:
„Säg nüät ..
. Ehrewort?“
„Säg nüüt.“
Wortkargheit hat bei uns einen höheren Stellenwert als Gesprächigkeit, weder die Kunst der Konversation noch die Lust am Kamingeplauder gehören zu den Schweizer Nationaltugenden. Auch der Film hat hierzulande manchmal seine liebe Müh, selbst die erfundenen Figuren zum Sprechen zu bringen.
Wenn man bei uns einen Film plant: welche Sprache soll man wählen? Nimmt man den Dialekt, werden sich die Zuschauer dem Film zwar schneller nähern, er wird dann „einer von uns“. Aber Dialektfilme sind auf dem europäischen Markt weniger leicht unterzubringen. Andererseits das komische Gefühl, wenn man in der Schweiz einen Film auf Hochdeutsch dreht: wie es dann eine „fremde Fötzel“-Geschichte wird. Unser Verhältnis zur Sprache ist irgendwie kompliziert.
Darüber hinaus sind wir gestraft damit, dass durch die Topographie des Landes die einzelnen Dialekte eine sehr geringe geographische Ausbreitung haben.
Das kann grosse Probleme geben, wenn Du Rollen von Geschwistern oder Verwandten besetzen musst, weil die Auswahl an Schauspielern mit genau gleichem Dialekt dann schon sehr eingeengt ist.
Es gibt im Dialekt wenig Bühnenliteratur, mit der man arbeiten kann, an der man vielleicht etwas ändern oder erneuern möchte.
Wir haben in den Schweizer Dialekten überhaupt kaum Literatur. Das wenige, was es gibt, existiert wie zum Trotz oder wird künstlich beatmet.
Es gibt im Dialekt keine Sprachkultur des Schreibens. 700 Jahre Eidgenossenschaft ...
„Vielleicht ist es die Bodenhaftigkeit.“
„Das versteh ich nicht."
„Bodenhaftigkeit vom Dialekt, das verstehst du sicher.“
Es gibt keine Aufklärungsliteratur in Mundart. Ich behaupte, unsere Sprache sei nicht soweit entwickelt, dass es sie als Sprache der Vernunft jemals gegeben hätte. Es gibt für uns die Sprache nicht als schriftlichen Ausdruck der Vernunft.
Wenn das stimmt, dann gibt es einen merkwürdigen Zusammenhang mit dem Problem des Mundart-Dialoges im Schweizer-Film:
Die Dialoge wirken ja häufig, gerade weil sie so vernünftig und im banalen Sinne wahr sind, so falsch. So eine Umdrehung ...
Die Verwechslung von Realismus mit Naturalismus. Das Medium ist eine künstliche Form. Wenn du dort nicht alles künstlich gestaltest, sondern mit etwas „Echtem“ durcheinander bringst, dann wirkt das Echte im Rahmen des Mediums schnell falsch oder flach.
Ein Beispiel in der Umkehrung: wie oft hörst du im Zug, in einer Beiz oder sonstwo zufällig ein Gespräch mit und weisst, in keinem Filmdialog könnte man das so schreiben, kein Mensch würde Dir glauben.
Oft hat man das Gefühl, dass das Echte, Unverfälschte in der Künstlichkeit der Fiktion stört, vielleicht auch bloss, weil es sich dort in der Minderheit befindet. Kamera und Licht teilen den Raum künstlich auf, die Szenen werden nicht in der natürlichen Abfolge gedreht: Raum und Zeit sind manipuliert. Echt ist Nichts.
Sicher erwartet auch der Zuschauer von der Leinwand nicht unbedingt die Wirklichkeit. Er erwartet vielleicht eine Wahrheit. Aber er erwartet nicht, dass das, was er sieht, echt ist.
Ich glaube das ist so ein Unterschied, den man viel zu wenig macht. Oft wird gesagt: wenn es nicht wirklich ist, dann ist es gelogen.
Wir verwenden den Dialekt fast wie einen Gebrauchsgegenstand und verlieren so ein mächtiges Instrument, nämlich dass wir nicht damit spielen können.
Der Dialekt unterscheidet ja beim Begriff „phantasieren“ in der Bedeutung und eigentlich auch in der moralischen Wertung kaum zwischen „erfinden“ und „lügen“.
Er ist schon sehr bodenhaftig, indem er unsere direkten Äusserungen ermöglicht - wir können uns im täglichen Leben sehr genau ausdrücken. Wenn aber einer etwas Wichtiges und allgemein Gültiges sagen will, dann wechselt er doch schnell einmal ins schweizerische Hochdeutsch. Aber für käche Sprüche sind wir dann jedesmal wieder froh um den Dialekt.
Im Dialekt ist die stilisierte Ebene viel schwieriger zu erreichen. Er steht uns zu nah.
„Das ist die gerechte Strafe.“
„Wofür?“
„Das ist einfach die Rache des Mediums, gewissermassen.“
Die Schwierigkeit fängt bei der Übersetzung in die Kunstsprache des Filmdialogs an.
Wir verlieren die Durchbrüche des Irrationalen in der Sprache, weil wir das Rationale in der Sprache nicht etabliert haben: wenn durch das Gerüst der Grammatik und der Vernunft, die sich dieser Grammatik bedient, das Irrationale hindurchdringt, beginnen die Figuren im Sprechen etwas über ihr Inneres zu offenbaren. Wenn das fehlt, beginnt ihre Sprache flach zu werden. Ich glaube, dass uns im Dialekt weniger klar ist, wie wir Sprache in dieser Weise als Werkzeug verwenden können.
Wir finden Dialoge dann besonders gut, wenn sie uns überraschen. Wenn sie die seelische Verfassung der Figur ausdrücken, ohne sie tatsächlich zu nennen. Am schönsten sind die Überraschungen wahrscheinlich, wenn die Distanz zwischen dem was gesagt wird und dem was gemeint ist, dem subcode, unerwartet gewechselt wird.
Ich habe den Ausdruck subcode nicht so gern. Er behauptet, dass unter dem gesprochenen Wort parallel immer noch ein Gedankenfluss läuft, ob bewusst oder nicht. Daran passt mir nicht, dass man das Gefühl bekommt, dieser subcode sei kontinuierlich. Mich dünkt, dass die Assoziationswelt sich auf eine unregelmässige Art entwickelt und so auch zum Ausdruck kommt.
In der Realität kann es zum Beispiel in einem Gesprächszusammenhang oder durch die Konstellation der Anwesenden verboten oder unmöglich sein, bestimmte Assoziationen sprachlich zu äussern, so dass der Ausdruck sich vielleicht andere Wege sucht. Häufig spricht man ja auch ohne jegliche Hintergedanken und Assoziationen.
Der subcode ist nur ein Instrument unter anderen, wenn auch sicher ein ganz wichtiges, beim Gestalten eines Dialoges und bei der Darstellung einer Figur. Es ist eine raffinierte Kunst, die nicht viele Leute beherrschen.
Es gibt sicher keine Technik; du kannst nicht in regelmässigen Intervallen oder vielleicht nach einer Zufallskurve irgendwelche Assoziationswellen erzeugen. Der subcode zeigt auf das Innenleben der Charaktere und ist damit auch ein Teil ihrer Erfindung. Man kann nur auf seine Möglichkeiten zeigen.
- „Es ist genau wie beim Rechnen ... Was du so tagein, tagaus brauchst, um auf den Bus zu kommen, ist nicht das, was mit Mathematik etwas zu tun hat.“
Es gibt genug Beispiele von Kindern, die zu Hause eine fremde Sprache sprechen und diese während der Schulzeit im Konflikt zwischen Hochdeutsch und Dialekt wieder verlieren. Mir ist aufgefallen, dass sich die Muttersprache eher behaupten kann, wenn sie zu Hause nicht nur gesprochen, sondern auch gelesen wird. Ich glaube, dass die Auseinandersetzung mit dem geschriebenen Wort, die vielleicht auch die schwierigere ist, einen tieferen Zugang zur Sprache eröffnet. Das Geschriebene ist eine konzentrierte Form, nicht einfach eine Transkription von Gesprochenem. Ähnlich wie der Übergang vom Abzählen beim Versteckspielen zur Mathematik in der Schule. Dies ist ein qualitativer Unterschied.
Um auf den Filmdialog zurückzukommen: dort hast du es mit einem Artefakt zu tun, er ist ein Kunstprodukt, und unterscheidet sich von der gesprochenen Sprache so sehr, wie sich jedes Buch von der gesprochenen Sprache unterscheidet. Darum glaube ich, ist es beim Erfinden von Filmdialog mindestens sehr hilfreich, die Spannung zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort zu kennen. Die Frage stellt sich: kann man die Erfahrung mit dem geschriebenen Dialekt, die uns ja fehlt, irgendwie ersetzen?
„Ich glaube, dass die Schweizer zur Sprache ein ähnliches Verhältnis haben wie zur Sünde.“
„Nämlich ... ?“
„Man bedient sich ihrer schlechten Gewissens und so ungeschickt wie möglich.“
Filmdialog ist zwangsläufig eine Kunstsprache, ob man will oder nicht. Es ist besser, wenn man sich das bewusst macht und auch entsprechend damit umgeht.
Die künstlich manipulierte Sprache fügt sich schon deshalb in den Film gut ein, weil der Film an sich ein Artefakt ist.
Mir fällt auf, dass schweizerdeutsche Dialoge oft auf eine sehr primäre Art authentisch sind. Sie sagen in einer gewissen Treuherzigkeit das, was gemeint ist, und wirken auf uns deshalb überschaubar und leer.
Kann es sein, dass das Englische oder das Französische, beides Sprachen, die wir oft im Kino hören, sich besser für Filmdialoge eignen - oder sind die Schweizer einfach miesere Dialogschreiber?
Es ist möglich, dass die gleichen Inhalte in der eigenen Sprache unerträglich banal wirken, während sie in der Übersetzung in eine andere Sprache durch die Entfremdung, durch die leichte Distanz, plötzlich ein wenig abstrakter und damit tragbarer werden.
Tatsächlich gibt es nicht viele Filme, die in der Schweiz und im Dialekt gemacht worden sind, die man mit denselben Massstäben anschauen kann, wie einen ausländischen Film, der uns vom Dialog her gefallen hat. Da den gleichen Massstab anzulegen, das empfinden wir fast schon als unfair. Es spielen sicher qualitative Fragen auch mit.
Natürlich gibt es auch viele ausländische Filme, die in der Sprache ganz entsetzlich sind. Der ungeschickte Umgang mit der Improvisation zum Beispiel hat viele Filme mit ganz miesem Dialog produziert. Weil man sich aus einem Bedürfnis nach Authentizität davor gescheut hat, Sprache als Artefakt zu behandeln: wahrscheinlich aus moralischen Gründen.
Man kann behaupten, dass gute Dialoge das Resultat einer Stilisierung sind, eines gezielten formalen Eingriffes in den gesprochenen Text. Erst im filmischen Kontext wirken sie dann wieder „authentisch“, das heisst „richtig“ aus der Figur heraus gesprochen. Es ist merkwürdig, dass schweizerdeutsche Dialoge nur ganz selten so werden. Kann es sein, dass sich das Schweizerdeutsche der Stilisierung widersetzt?
Wir haben über das unreflektierte Verhältnis zum Dialekt und die Schwierigkeiten mit dem abstrakten Umgang damit gesprochen. Die Schwierigkeiten beim Stilisieren hängen damit direkt zusammen, so gesehen erschwert der Dialekt etwas, was in einer fremden Sprache einfacher wäre.
Die Gestaltung des Filmdialoges als Artefakt soll im Normalfall so sein, dass die Sprache vom Zuschauer nicht als künstlich empfunden wird ...
Es geht um den geglückten Betrug. Der Dialog soll dem Zuschauer völlig natürlich erscheinen, er soll das Gefühl haben, „Ja, so ist es wirklich“. Erst wenn du versuchst, den gleichen Text selbst zu formulieren, merkst du, dass man normalerweise gar nicht so spricht.
Ganz zentral bei der Fiktion ist der Umgang mit der Lüge, mit der Nicht-Wahrheit. Das erschwert sicher vielen Filmemachern den Zugang zur Fiktion, zum Erfinden. Das heisst ja aktiv lügen, auch wenn dies nicht unbedingt einem schlechten Zweck dient. Kommt nicht von da her der Drang vieler Schweizer Filmer zum Dokumentieren?
„Ich bin überzeugt, dass man auf Schweizerdeutsch gute Dialoge machen kann.“
„…könnte?“
„Ja, aber ich kann es nicht beweisen.“
Jedesmal, wenn man einen Film im Dialekt anfängt, hat man wieder keinen Ausgangspunkt. Man muss ihn immer neu erfinden, weil es keine Kultur der Hochsprache gibt, auf die man sich beziehen kann. Das finde ich schwerwiegend, weil es einen Teil des Amüsements ausmacht, innerhalb dieser Bezüge zu sprechen oder Sprache herzustellen. Wenn Zitätchen einfliessen oder Gegenbezüge zu Dingen, die dem Zuschauer auf die eine oder andere Art bekannt sind. Ich würde mich nicht wundern, wenn viele französische Filme randvoll wären mit Wechselbezügen und Zitaten, die wir gar nie verstehen.
Godard hat für Nouvelle vague nach seinen eigenen Aussagen keinen einzigen Dialog erfunden, sondern alles von irgendwoher entlehnt und dann kompiliert.
Man kann sagen, dass ein guter Dialog seinen inhaltlichen Kern umkreist: in unterschiedlichen Distanzen und in unterschiedlichen assoziativen Bezügen- ...
Ist es dann nicht so, dass für die Erzeugung der assoziativen Felder, die für den Film wesentlich sind, weil sie helfen, Emotionalität zu erzeugen, ein hochsprachliches Referenz-System im Kopf des Dialogschreibers ganz wichtig ist?
Wenn du dich im Hochdeutschen mit Schreiben beschäftigst und nicht genau weisst, wie du schreiben möchtest, kannst du dich an der bestehenden Literatur orientieren, schauen, wer wie geschrieben hat. Das kann ein Schweizer im Dialekt nicht.
Bedeutet das, dass es für einen Schweizer Dialogschreiber von Vorteil ist, wenn er sich auf das Hochdeutsche verlegt?
Sich also eine Hochsprache adoptiert - immer unter der Hypothese, dass es für einen reichen Dialog die Reibung mit einer Konstanten braucht?
Dies wäre die Improvisationsbreite um die Hochsprache herum, welche Spannung erzeugen könnte: eine Spielregel. Die Distanz zu ihr zu kennen, sie stellenweise voll in Anspruch zu nehmen, über sie zu grinsen, sie total zu verweigern etc. - also ständig in einem aktiven Verhältnis zu ihr zu stehen. Das ist ein kommunikativer Vorgang, denn die Hochsprache ist selbst kein statischer Körper, sondern das Produkt menschlicher Arbeit. Sie reflektiert die Verhältnisse in ihrem Kulturraum.
In der Literatur siehst du, dass Schriftsteller, die aus der Schweiz kommen und hier schreiben, oft ihre eigene Hochsprache erzeugen. Sie haben auch noch im geschriebenen Wort einen ganz eigenen Sprachklang. Das, habe ich den Eindruck, ist das Resultat von sehr viel Arbeit.
Es ist erstaunlich, wie man beim Lesen immer noch den Dialekt spürt, manchmal nur schwach, aber oft an den stärksten Stellen, wie er innerhalb dieser Hochsprache zu einer Stärke wird.
Ich glaube nur nicht, dass das geschenkt kommt.
Vielleicht könnte man das auch auf den Filmdialog anwenden. Ich halte es auf jeden Fall für möglich, dass ein Deutschschweizer einen guten hochdeutschen Dialog schreibt, der gerade wegen seiner Herkunft aus dem Dialekt Stärken enthält.
Man könnte sagen, dass sich da eine Methode andeutet: im Vermengen und Durchwirken des eigenen Dialekts mit der Technik des Hochdeutschen.
Oft entscheidet man sich in der Schweiz natürlich bloss aus wirtschaftlichen Gründen gegen den Dialekt und stürzt sich dann Hals über Kopf in ein steriles Serien-Deutsch.
Ich sehe jetzt zwei Möglichkeiten: Ein Schweizer schreibt einen hochdeutschen Dialog ohne seinen Dialekt zu verleugnen. Er profitiert vom Zwang, seine eigene Hochsprache zu schaffen. Wie aber verhält er sich zur Hochsprache, wenn er seinen Dialog im Dialekt schreiben will?
Warum schreibt er ihn nicht zuerst in einer Hochsprache? - Und zwar nur als ersten Schritt, um dann eine Rückübersetzung zu versuchen, indem er all das, was er in der Auseinandersetzung dabei gewonnen hat, in geeigneter Form in den Dialekt herüber zieht.
Ein Weg dahin wäre, Dialektfassungen von bestehenden Theaterstücken zu machen, was ja für die Bühne hin und wieder versucht wurde. Wenn es gelingt, zum Beispiel Pinter so in den Dialekt zu übersetzen, dass seine Komplexität erhalten bleibt, dann ist das doch ein Hinweis, dass auf diesem Weg auch Filmdialoge im Dialekt geschrieben werden können.
Es kann schon sein, dass man als Schreibender den Umweg über eine Fremdsprache nehmen muss, um seine eigene Dialektform zu finden.