MIKLÓS GIMES / JEAN PERRET

DIE KUNST DES DIALOGS — CUTTERINNEN UND CUTTER IN DER SCHWEIZ - EIN WERKSTATTGESPRÄCH

ESSAY

Am 26. Mai 1990 trafen sich - und diskutierten mit uns - fünf der meistbeschäftigten Cutter und Cutterinnen des aktuellen Schweizer Filmschaffens: Fee Liechti, Elisabeth Waelchli, Bernhard Lehner, Georges Janett und Laurent Uhler.

CINEMA Gibt es eine Handschrift der Cutterin oder zwingt das gegebene Material die Cutterin, auf eine Handschrift zu verzichten?

JANETT Ich habe eine These: Ein gegebenes Material X, ein Cutter Y und ein Regisseur Z ergeben ein bestimmtes Resultat. Wenn eine Komponente ausgewechselt wird, ändert sich das Resultat. Dies ist für mich ein klassischer feuilletonistischer Ansatz, denn man kann weitschweifig darüber reden, ohne dass etwas Konkretes dabei herauskommt. Diese Dinge können nicht abstrakt behandelt werden, es stecken zuviele Erfahrungswerte darin, und Erfahrung ist bekanntlich etwas, das sich schlecht mitteilen lässt. Eigentlich nur jemandem, der dieselbe Erfahrung gemacht hat. Ich lache immer über solche Sprüche, denn sie sind genau so wahr, wie sie falsch sind. Manchmal produziere ich auch welche und sage etwa: Das Drehen ist die Kritik des Drehbuchs, der Schnitt die Kritik am Gedrehten. Damit meine ich dasselbe, was Truffaut geschrieben hat, aber das ist alt und vergessen, damit mache ich niemandem etwas klar, der es nicht schon weiss. Ich kann nichts mehr zu dieser Frage sagen, höchstens: Ich glaube nicht, dass sich der Geschlechtsunterschied bemerkbar macht. Es gibt nur den Unterschied der Individualität der Cutter und den erwähnten in der Kombination Regie/Material/Schnitt.

LEHNER Ich denke auch, dass das Material nie neutral ist. Als Cutter kann man schon ein wenig Einfluss auf einen Stil ausüben, wenn man auch etwas sagen darf. Der eine ist vielleicht ein bisschen gröber, der andere feiner. Grundsätzlich ist es aber nicht der Cutter, der einen Film prägt.

WAELCHLI Ich habe an der Filmschule Berlin unterrichtet, da haben wir Übungsfilme gemacht, von denen jeweils drei oder vier Arbeitskopien erstellt wurden. Diese wurden dann von verschiedenen Studentengruppen geschnitten. Das Resultat war jedesmal anders, sowohl im Detail der Anschlüsse, als auch in der Konstruktion, als auch in der Abfolge der erzählten Geschichte. Es gibt wahrscheinlich Material, das mehr Anlass zum Diskutieren und Umbauen gibt und das verschiedene Konstruktionen erlaubt; und es gibt anderes Material, das in sich rigider ist.

CINEMA In der Schweiz schneiden alle Cutterinnen sowohl Spiel- als auch Dokumentarfilme.

JANETT Wir leben zum Teil auch davon, dass wir uns bei einem Dokumentarfilm von einem Spielfilm und bei einem Spielfilm von einem Dokumentarfilm erholen können. Es werden jeweils andere Anforderungen an uns gestellt. Ich möchte nie nur Spielfilme schneiden. Selbst wenn ein Film in lauter Plansequenzen gedreht wurde, die Arbeit des Cutters eher automatisch und reduziert zu sein scheint, kann es stundenlange Diskussionen darüber geben, welche Sequenzen weggelassen werden. Ein entscheidender Grund, warum es so schwierig ist, über die Montage zu reden, ist der, dass man das Beste, was der Cutter macht, nicht sieht. Denn das Beste, was der Cutter macht, ist, den Regisseur zu überzeugen, die und die Einstellung oder sogar die und die Sequenz wegzulassen, obwohl sie gedreht wurden. Das heisst für mich: für den Film arbeiten, und nicht, wie Truffaut es einmal definierte, gegen die Bilder arbeiten.

UHLER Der Cutter hat nicht einen Montagestil sondern einen Dialogstil. Man muss zu allem bereit sein, gegenüber dem Regisseur so gut wie gegenüber dem Material.

LIECHTI Ich habe am ehesten im Umgang mit den Regisseuren einen Stil entwickelt. Ich glaube dies ist eine der Hauptaufgaben der Cutterin, diese dazu zu bringen, mit ihrem Material richtig umzugehen. Und da meine ich im Gegensatz zu Georges, dass sich der Geschlechtsunterschied sehr wohl bemerkbar macht.

CINEMA Hängt es vom Regisseur ab, wie gross der Spielraum des Monteurs ist? Ich habe gehört, dass Fassbinder sich ab einer gewissen Phase in der Arbeit überhaupt nicht mehr darum kümmerte, wie geschnitten wurde, er war bereits beim nächsten Film. Von Chabrol sagt man ähnliches. Heisst das, die Cutterin kann machen, was sie will?

LIECHTI Hier in der Schweiz haben wir viele sogenannte Autorenfilmer. Wir haben oft mit Leuten zu tun, die ihren ersten oder zweiten Film machen, und die sind auch beim Schnitt dabei.

LEHNER Ich denke, der Spielraum liegt in der Diskussion, darin, wie du die Diskussion mit dem Regisseur gestalten kannst. Mir wurde in sogenannten Auftragsfilmen schon Material übergeben, als es den Regisseur bereits nicht mehr interessierte. Ich denke nicht, dass du in solchen Fällen freier bist. Du machst zwar alles allein, aber die Idee ist so starr, dass du weniger frei bist und einen kleineren Spielraum hast, als wenn du eine Diskussion mit dem Regisseur suchst und sie auch findest.

WAELCHLI Ich glaube, die Zeit, die man mit der Regisseurin verbringt, ist nicht unbedingt massgebend. Man kann die Regisseurin sehr wenig sehen, dafür in bestimmten und wichtigen Momenten und dann mit ihr über den Film diskutieren. Danach kann man alleine arbeiten. Nicht, ob sie dauernd am Schneidetisch sitzt, ist die Frage.

JANETT Also, Fassbinder hat extrem wenig gedreht. Mehr als zweimal hat er eine Szene nie gedreht, Überlappungen gab es bei ihm wenig. Die Auswahl, welche der Cutter am Schneidetisch in solchen Fällen erhält, ist also relativ begrenzt. Das Problem besteht dann nur darin, z.B. zu entscheiden, in welchem Moment in die Grossaufnahme gewechselt wird. Ohne Vertrauen in seine Mitarbeiter und ohne einen grossen Mitarbeiterstab, hätte ein Regisseur wie Fassbinder seine Produktion gar nicht in diesem verrückten Rhythmus durchziehen können. Einen solchen Menschen gibt es bei uns wahrscheinlich überhaupt nicht. Weder jemanden, der so dreht, noch jemanden, der diese Art von Vertrauen in die Mitarbeiter hat und diese bis zu einem gewissen Grad gewähren lässt. Chabrol dreht wahrscheinlich mehr, aber auch nicht übermässig, wie etwa gewisse amerikanische Fernsehregisseure, die irgend eine Szene aus allen vier Ecken, in der Totalen und in sämtlichen Grossaufnahmen abdrehen, das alles dem Cutter auf den Tisch knallen und sagen: Mach was damit. Da kommt jeder ein bisschen ins Rudern. Aber das ist auch eine Form von Drehen, die nichts mit der Sprache des Films zu tun hat, sondern mit dem Ablichten von inszenierten Situationen. Also, Drehen wie im Hollywood- System der vierziger und fünfziger Jahre, das gibt es bei uns, mit Ausnahme der Fernsehserien, eigentlich nicht.

CINEMA Kann man einen Film durch den Schnitt retten?

UHLER Es wird kein guter Film, er wird immer das Resultat eines Kompromisses sein. Filme werden von Anfang an konstruiert. Ich glaube nicht, dass die Montage da viel ändern kann. Man gibt den Leuten vom Schnitt oft Material, das von Anfang an schlecht durchdacht war, schlecht aufgenommen wurde. Der Rahmen, den der Cutter hat, ist nicht gross; man muss auch an die finanziellen Möglichkeiten der Regisseure denken.

CINEMA Wie ist es, wenn ihr das Material zusammen mit der Regisseurin anschaut und die Ideen zum ersten Mal einander gegenüberstehen? Ist es vorgekommen, dass ihr das Gefühl hattet, hier stossen zwei ganz verschiedene Temperamente aufeinander, da sind bei euch ganz andere Visionen vorhanden als bei der Regisseurin? Oder ist es eher so, dass es mehr oder weniger um Nuancen geht, die ausgeglichen werden können. Gibt es den Fall, dass ihr von völlig extremen Positionen herkommt, dass ihr alles ganz anders seht als die Regisseurin?

JANETT Im Normalfall hat man ja das Drehbuch gelesen und kennt den Menschen auch schon, mit dem man es zu tun haben wird. Ich würde das Problem darauf reduzieren, dass es Dinge gibt, bei denen man vielleicht sogar relativ schnell darin übereinkommt, dass sie einfach völlig daneben gegangen sind. Nachdrehen liegt bei uns in der Regel nicht drin, weder bei einem Spiel- noch bei einem Dokumentarfilm. Wie retten wir uns also aus der Situation? Wir versuchen, ein Optimum aus dem zu herauszuholen, was da ist. Ich bin einverstanden mit Laurent, wenn er sagt, vermutlich wird man es immer irgendwie merken, wenn etwas nicht ganz rund gelaufen ist, weil ein Film wirklich schon bei der Planung anfängt. Aber er sagt gleichzeitig, das wird kein sehr guter Film. Da frage ich: Wieviele sehr gute Filme haben wir schon gemacht? Wir können uns nicht an den Idealmassstäben messen, wir leben mit unserer Praxis. Wir würden ja vermutlich je nach persönlichem Temperament auch lieber mit Orson Welles, Truffaut oder Kurosawa arbeiten. Wir arbeiten aber hier, und wir machen selten sehr gute Filme, so oder so.

LEHNER Ich bin nicht die Instanz, die entscheidet: Das Material muss gerettet werden. Ich versuche immer, das Material kennenzulernen. Oft steckt etwas anderes drin, als der Regisseur reinlegen wollte, manchmal lässt sich das beim Schneiden rausholen. Aber ich glaube nicht, dass man mit schlechtem Material einen guten Film machen kann. Mit Umstellen kann man einem Film eine neue Richtung geben, aber es ist unmöglich, einen Film mit dem Schnitt zu retten.

CINEMA Im Schweizer Film kommt es vor, dass die Schauspieler kompetenter sind als die Regisseure. Habt ihr auch dieses Gefühl, dass ihr zu gut ausgebildet seid für gewisse, wahrscheinlich jüngere, Regisseure, die in der Schweiz tätig sind?

JANETT Das Problem ist nicht der Mangel an Kompetenz. Wir haben überhaupt keine in allen Bereichen kompetente Regisseure in der Schweiz. Ich denke, das Problem hat eher mit der Dialogfähigkeit, der Intelligenz des Regisseurs zu tun. Man kann durchaus, im Rahmen des Gegebenen, ein gutes Produkt hinkriegen, wenn man mit dem Regisseur reden kann, wenn er zuhört, die nötige Bescheidenheit hat und den Schneideraum nicht für den Ort hält, an dem er seine Frustrationen vom Drehen loswerden kann. Es sind viele psychologische Faktoren im Spiel.

UHLER Wir sind wieder bei der Frage der Beziehung. Oft fühlt sich der Regisseur bedrängt, ja sogar terrorisiert durch den Cutter; er hat Angst, dass man ihm seinen Film klaut. Er meint, die Schere sei da, um den Film zu kastrieren, womöglich ihn selber. Jeder Film braucht ein spezielles Klima, eine spezielle Art der Auseinandersetzung. Es besteht durchaus manchmal die Gefahr, dass ein Cutter mit seiner dogmatischen Methode oder mit einer klaren Grammatik ein Klima des Terrors schafft.

LIECHTI Im Film Von ZeitZeit von Clemens Steiger hat die Zusammenarbeit gut funktioniert. Es war ein Erstlingsfilm. Wie gesagt, es kommt nicht so sehr auf die Kompetenz an, darauf, ob ein Regisseur in den Schneideraum kommt und genau weiss, wie er alles haben will oder wie es richtig ist. Es kommt auf seine Bereitschaft an, sich mit dem Material und mit der Cutterin auseinanderzusetzen, die vielleicht mehr Erfahrung und einen andern Zugang zu der ganzen Sache hat.

CINEMA Was ist eurer Meinung nach die ideale Situation? Wenn beide Seiten gleich stark sind - oder seid ihr lieber Pädagogen oder Lehrlinge?

LEHNER Bei dem Film Reise ins Landesinnere hatte der Regisseur, Matthias von Gunten, sich das Material selbst sehr gründlich angeschaut, denn er wollte es ursprünglich auch selbst schneiden. Dadurch hatte er sich schon vom Material distanziert und eine unheimliche Offenheit erworben. Er erwartete von mir nichts anderes als eine Diskussion, dass ich ihm Widerstand biete. Es war sehr schön, mit ihm zu arbeiten. Ich glaube, am interessantesten ist es, wenn sowohl Regisseur als auch Cutter versuchen, sich eine gewisse Offenheit zu erhalten und eine Lust, Verschiedenes auszuprobieren, und nicht nach der ersten Visionierung sagen, so und so läuft es.

WAELCHLI Ich arbeite sehr gerne mit Jean-François Amiguet zusammen, weil ich ihn für einen Regisseur halte, der in jedem Stadium der Arbeit bereit ist, sich in Frage zu stellen, und der auch dem Material kritisch gegenübersteht. Es gab Zeiten, da sahen wir uns selten, und es gab Zeiten sehr intensiver Zusammenarbeit, z.B. wenn wir die rushs anschauten. Dafür hab ich den Rohschnitt von La Méridienne allein gemacht. Das hatte den Vorteil, dass er sich nicht an sein Material klammern konnte.

CINEMA Sind die Leute eher selbstkritisch oder nicht?

WAELCHLI Ich war an der Werkschau in Solothurn und war entsetzt, wieviele Filme dem Drehbuch viel zu ähnlich sind. Die Drehbücher kannte ich zum Teil, weil ich als Mitglied einer Kommission Drehbücher lese. Man hat das Gefühl, es gibt kaum Kritik an den Drehbüchern, kaum Raum für Änderungen.

JANETT Ich habe den Idealfall noch nicht erlebt. Aber alle fünf Jahre — und das hält mich in diesem schrecklichen Beruf - einen annähernd idealen. Der erste solche quasi-Idealfall war die Zusammenarbeit mit Kurt Früh beim Film Dällebach Kari, meinem ersten Langfilm. Früh besass eine gewisse Souveränität und in einem gewissen Mass durchaus auch Selbstkritik. Im selben begrenzten Mass besassen auch die Regisseure, mit denen ich danach arbeitete, die Fähigkeit zur Selbstkritik. Was zum Idealfall fehlte, war Zeit. Wir mussten unter enormem Zeitdruck arbeiten. Etwa fünf Jahre später dann Der Gehülfe von Thomas Koerfer. Damals war Koerfer noch ernstzunehmen, denn er nahm seine Arbeit auch noch ernst. Der Film war völlig verschieden, praktisch ein Plansequenzen-Film, mit nur zwei oder drei Montagesequenzen. Die Arbeit, die Auseinandersetzung darüber, wo geschnitten werden soll, wie aneinandergereiht usw., war sehr intensiv. Es war vor allem eine interessante Tonarbeit, Bildarbeit war ja eher wenig. Der dritte „Fall“ war Lyssy und sein Film Die Schweizermacher. Ich will mich nicht rühmen - ich hatte ja am Drehbuch und als Regieassistent mitgearbeitet aber ich wusste schon von der Lektüre des Drehbuches an, was auf mich zukam. Ich wusste haargenau, dass und wie man den Film im ersten Drittel umstellen musste, er war viel zu schematisch gedacht. Mit Lyssy nun, auch er hat ein gewisses Mass an Grosszügigkeit, lässt sich nicht schlecht arbeiten. Was dabei herauskommt, ist vielleicht eine andere Frage, aber rein von der Methodik her, ist er angenehm. Er dreht ja relativ klassisch, er kann auch mal etwas weglassen und man hat doch einen Spielraum als Cutter. Das vierte Beispiel sind die zwei Filme, die ich mit Richard Dindo gemacht habe. Da kam ich eigentlich ziemlich auf meine Rechnung, denn Dindo ist ein Mensch, der gut diskutieren kann, er hat etwas von einem Intellektuellen. Das liegt mir, ich bin nicht jemand, der primär über Schwingungen und Wellen und was weiss ich, das Subkutane, funktioniert. Ich habe schon manchmal das Bedürfnis, die Dinge auf den Begriff zu bringen, mich verbal mit ihnen auseinanderzusetzen, da komme ich mit einem wie Dindo eben gut aus. Was bei ihm zum Idealfall fehlt, ist, dass er sich nichts vorstellen kann. Es ist für einen Cutter doch frustrierend, etwas machen zu müssen, von dem er weiss, das geht so nicht, bloss weil der Regisseur es erst glaubt, wenn er es gesehen hat.

LEHNER Ich möchte noch etwas zu den Regisseuren mit einem „gewissen Mass“ an Kritikbereitschaft sagen. Nicht das Mass ist das Problem, es wäre nur wichtig, dass jeder versucht, dieses Mass auszuschöpfen, bis an seine Grenzen zu gehen, an diesen Grenzen zu arbeiten. Nicht nur der Regisseur, auch ich versuche, das zu tun. Dann kann es eine gute Arbeit geben.

LIECHTI Ich habe oft die Arbeit als befriedigend erlebt, obwohl die Filme dann nicht sehr gut geworden sind. Es war eben die Zusammenarbeit, die Möglichkeit zur Auseinandersetzung, aus relativ schlechten Startbedingungen doch noch etwas zu machen, das war es, was dann befriedigte. Ideal wäre, wenn dann auch noch ein guter Film dabei herauskommen würde. Ein relativ gutes Resultat ist etwa der Dokumentarfilm Andreas von Patrick Lindenmaier. In letzter Zeit arbeite ich viel lieber mit jüngeren Regisseuren, eher Anfängern, bei denen dieser Prozess noch möglich ist.

CINEMA Woran liegt es, dass eine Regisseurin nicht zu dieser so gefragten Offenheit fähig ist? Liegt es am Charakter oder an der mangelnden Erfahrung?

LIECHTI Ich würde sagen, es liegt nicht an der Erfahrung, die kann gemacht werden.

JANETT Ich würde es so formulieren: Man muss froh sein, dass Alain Tanner wenigstens der bleibt, der er ist. Die Regisseure entwickeln sich nicht, die regredieren eher. Bei der überwiegenden Mehrheit ist es doch so, dass jeder Film schwächer ist als der vorhergehende.

LEHNER Ich denke, diese Offenheit ist immer ein Stück Arbeit. Man ist nicht einfach offen. Ich habe erlebt, dass man die Arbeit auf sich genommen hat.

JANETT Dies setzt etwas Bescheidenheit voraus, die sich aber in unseren Kreisen nicht so häufig finden lässt. Die Selbstüberschätzung ist häufiger, sie wird allerdings auch gefördert von einem System, das immer noch vorgibt, ein Film werde von einem Regisseur, und nur von ihm, gemacht.

UHLER: Die Frage ist, wie geht einer mit seiner Erfahrung um? Es kann einer zehn Filme gemacht haben und nicht mehr aufnahmefähig sein, während ein Junger sehr offen sein kann. Er kann aber auch sehr verschlossen sein, aus Angst sich aufzugeben.

WAELCHLI Vielleicht hängt es mit der Motivation der Regisseure zusammen, überhaupt einen Film zu machen. Der offenste Regisseur, den ich getroffen habe, war Güney, als ich Yol schnitt. Ein Beispiel: Der Film dauerte am Ende zwei Stunden — wir hätten mit dem Material, das da war, einen vierstündigen Film machen können. Aber Güney hat den Film nicht für sich selber gemacht, der Film war kein Selbstzweck. Der Film als solcher und die Funktion, die er haben sollte, waren ihm sehr wichtig. Vielleicht sind viele Regisseure einfach egoistisch. Ich würde sagen, bei Dokumentarfilmen sind die Regisseure offener als bei Spielfilmen. Allein wegen der Tatsache, dass sie einen Dokumentarfilm machen und sich für ganz konkrete Leute interessieren. Die Arbeit kann völlig zum Stillstand kommen, wenn die Cutterin den Film ganz in die Hand nehmen will, wenn sie also nicht respektiert, dass sich ein anderer etwas ausgedacht hat, das alles der Traum eines andern ist. Es ist wichtig zu wissen, wie weit man gehen kann.

CINEMA Kann jemand von euch die verschiedenen Stufen der Arbeit beschreiben, hat sich das Metier entwickelt, gibt es neue Methoden, Techniken? Arbeitet ihr mit Videos? Welches sind die guten Eigenschaften einer Cutterin?

J ANETT Ich rühre kein Video an. Mir fehlt etwas, wenn ich das Material nicht mehr zwischen den Fingern habe. Die nackte Abstraktion des elektronisch erzeugten Bildes reicht mir nicht, da wird Montage zu concept art. Ich will das Zeugs auch spüren, mit den Händen greifen können und daran herumbasteln. Ich möchte nicht als reines Cerebralwesen herumlaufen. Die Hände denken eben auch, solange ich mit ihnen arbeite. Wenn ich mit den Händen nichts mehr mache, ausser Knöpfchen drücken, dann denken sie auch nicht mehr. Der Arbeitsablauf beim Video zwingt in gewisser Weise zu linearem Denken. Man muss eigentlich die Konzepte im Kopf haben und dann die verschiedenen Kassetten der Reihe nach abrufen, um dieses Zeugs aneinanderzuhängen. Sobald man anfängt, umzustellen, kreuz und quer zu denken, wird es mühsam, viel mühsamer als beim Film. Ich glaube aber gerade, dass die Fähigkeit, in Zusammenhängen, vernetzt zu denken, eine entscheidende Voraussetzung für diesen Beruf ist.

UHLER Ich frage mich oft, woher dieser regressive Aspekt bei der Arbeit mit Video kommt. Ich bin nicht gegen neue Techniken, wenn sie nicht mit Rückschritt verbunden sind.

LEHNER Ich denke, es ist ein praktisches Problem, dass man beim Video jetzt noch nicht schnell umstellen kann wie beim Film. Es wird lange dauern, es ist ein langer Prozess, hier etwas zu verändern. Da hindert die Technik noch am freien Denken. Ich denke aber auch, dass die Entwicklung dahin gehen wird, dass in absehbarer Zeit die Generationen keine Rolle mehr spielen werden und ein vernetztes Denken wieder möglich sein wird.

WAELCHLI Beim Filmeschneiden ist der Ton immer getrennt vom Bild, das heisst, man ist auch gedanklich viel mobiler. Man kann den Ton parallel zum Bild halten, ihn vor- oder nachziehen. Beim Video sind Bild und Ton physisch zusammen, immer auf gleicher Höhe, das macht Spielereien kompliziert.

LEHNER Man muss beim Video der Technik mehr Widerstand leisten, man muss Kraft und Willen investieren, dann ist so etwas auch möglich. Doch es ist klar, dass die Technik einem ein bestimmtes Denken aufzwingt.

LIECHTI Ich wäre da vorsichtiger, denn ich denke, wir, die wir vom Film kommen, haben gelernt so, das heisst mit den Händen, zu arbeiten und zu denken. Ich bin dem Video gegenüber ziemlich hilflos. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass diejenigen, die mit Video anfangen, anders damit umgehen können.

LEHNER Man darf die Arbeit mit den Händen auch nicht mystifizieren. Das Essentielle ist, beim Film wie beim Video, die Arbeit mit Bildern. Ich denke, es ist vor allem eine Arbeit des Kopfes und des Gefühls.

JANETT Da denke ich anders darüber. Aber ist es nicht so, dass beim Video Unsummen verdreht werden und - wie wählt man dann aus? Die Unsummen werden da durchgelassen, und man holt einfach die Höhepunkte raus. Prompt steht man vor dem Problem, und das spüre ich praktisch bei jedem Videofilm: Was macht man mit aneinandergehängten Höhepunkten? Es gibt keinen Film nur aus aneinandergehängten Höhepunkten. Das wäre eine Rückkehr zum Primitivkino, welches selbst allerdings raffinierter geworden ist, durch die bewusstere Verwendung, zum Beispiel, vom Plansequenzprinzip. Aber auch da gilt, ein Film kann nicht nur aus aneinandergereihten Plansequenzen bestehen. Und beim Video besteht die Gefahr, dass man immer genau da landet.

WAELCHLI Ein anderer technischer Vorgang, der sich verändert hat, ist der Stereoton. Ich schneide gerade zum ersten Mal einen Film mit Dolby-Stereoton und merke: Ein grosser Teil der Arbeit verlagert sich vom Schneideraum ins Tonstudio. Man kann den Ton nicht mehr so schneiden, wie bisher, weil das Phasenverschiebungen gäbe. Man muss also immer mehr Bänder machen, und wenn man Teile aus einem Ton rausnehmen will, muss man das im Studio machen. Es wird alles sehr technisch. Ich fürchte, da ist ein Prozess im Gang, in welchem der Tonschnitt immer uninteressanter wird.

CINEMA Bei den neuen Filmen von Godard und Lynch ist der Ton sehr dominant, dank den neuen Verfahren und den modernen Einrichtungen der Kinos. Vor allem bei Godard hat man das Gefühl, in einer Oper zu sitzen und die Leinwand sei ein Guckkasten. Wie verändert sich die Arbeit der Cutterinnen? Ist sie betroffen von diesem technischen Veränderungsprozess, gibt es neue Spezialistinnen?

WAELCHLI Ich glaube Godard und Lynch kann man nicht vergleichen. Godard hat sein Tonstudio beim Schneidetisch zu Hause und bastelt da am Ton. Das sind seine Arbeitsbedingungen. Es werden aber auch schon mal Arbeiten weggenommen, die wir Cutterinnen sonst gemacht haben.

LEHNER Es ist doch, quasi rückwirkend, auch ein Problem für die Komposition des Films, wenn grosse Teile des Tons weggenommen werden. Es wird alles viel vager auf dem Bildschirm. Ich kann keinen Film ohne den Ton schneiden.

CINEMA Wenn es so ist, dass ein Teil der Tonarbeit im Studio gemacht wird und damit für euch nicht mehr kontrollierbar ist, dann heisst das doch, dass diese Dimension eurer Arbeit abgeht.

WAELCHLI Natürlich bin ich dabei im Tonstudio. Aber es ist mühsam und in einer bestimmten Weise abstrakt, wenn man die Arbeit nicht mehr selbst macht.

UHLER Es ist gefährlich, wenn die Arbeit mit dem Ton den Spezialisten überlassen wird. Die fangen dann plötzlich an, Sachen zu machen, die mit den Absichten der Montage nicht übereinstimmen.

JANETT Den Ton mitdenken muss man ohnehin immer, unabhängig davon, welcher Ton es ist. Ich habe die neuen Filme von Godard und Lynch nicht gesehen, aber ich glaube schon, dass wir jetzt immer mehr mit dem Problem der Effekthascherei auf der Tonebene zu kämpfen haben werden. Und wenn ich da an eine unserer schweizerischen Erfahrungen denke, an Derborance von Francis Reusser, dann lache ich mich ja zu Tode: Was soll das ganze Affentheater, nur damit das Cheminéefeuer von der linken auf die rechte Seite der Leinwand springt.

CINEMA Ist der Schneideraum eine Kammer, wo alles explodieren kann.

LIECHTI Im Gegensatz zu den Dreharbeiten, die öffentlich sind, an denen viele beteiligt sind und bei denen unter extrem hohem Zeitdruck gearbeitet wird, ist der Schneideraum ein geschützter Ort. Durchhaltevermögen würde ich als eine der wichtigen Eigenschaften der Cutterin bezeichnen.

UHLER Ich frage mich oft, warum die Schneideräume in Kellern untergebracht sind, finster und ungemütlich und isoliert vom Rest der Welt. Man fühlt sich manchmal gar nicht wohl. Vielleicht hat das mit der Idee zu tun, es handle sich beim Schneiden um eine mysteriöse, alchimistische Tätigkeit. Was die Eigenschaften des Cutters betrifft: Er muss intuitiv sein. Man sagt, der Cutter sei der erste Zuschauer. Das ist falsch, denn der Film ist ja noch gar nicht fertig. Es ist nicht einfach, sich in die Lage des naiven Zuschauers zu versetzen, sich jedesmal von neuem vom Material überraschen zu lassen.

JANETT Das scheint mit fast das Wichtigste zu sein, und es ist nur schwer durchzuhalten, kontrollierter Abstand beziehungsweise kontrollierte Nähe. Sich immer noch überraschen lassen können, aber trotzdem analytisch zu denken, auch im Hinblick auf das, was noch dazukommt. Beim Spielfilm, zum Beispiel, der Ton, die Musik. Das Durchhalten wird nicht erleichtert durch die räumliche Lage der Schneideräume, welche meiner Meinung nach wirklich die allgemeine Einschätzung unserer Tätigkeit reflektiert, dass es sich eben um etwas Dunkles, Halbalchimistisches handelt. Daraus entnehme ich, dass wir tatsächlich ein bisschen Alchimisten sind, halb Intuition, halb Intellekt, halb Dialogfähigkeit, halb Gespür. Der Kopf und der Bauch sind eben nicht voneinander zu trennen.

LEHNER Ich denke auch, man muss als Cutter sehen und hören und mit dem Gesehenen und Gehörten schaffen können, sinnstiftend damit umgehen, ein Gespür entwickeln für mögliche Verbindungen. Der Schneideraum ist für mich ein privilegierter Ort in dem Sinn, dass man nicht dem gleichen sozialen und ökonomischen Druck unterworfen ist, wie er bei den Dreharbeiten herrscht. Im Gegenteil, es entsteht eine intensive Beziehung zwischen Regisseur und Cutter, aus der auch psychologisch schwierige Situationen hervorgehen können.

WAELCHLI Der Schneideraum ist der Ort, wo man zum Ende der Arbeit am Film kommt. Der Regisseur muss dazu stehen, und dies ist zum Teil auch mit Angst verbunden. Ich finde nicht, dass der Schneideraum ein privilegierter Ort ist. Ein Privileg ist vielleicht, dass man eine andere Beziehung zum Regisseur hat, als wenn man zu einer dreissigköpfigen Equipe gehört.

CINEMA Man kann sagen, es gibt zwei Arten zu schneiden: den sichtbaren und den unsichtbaren Schnitt. Wie arbeitet ihr?

LEHNER Die sogenannte nicht sichtbare oder weiche Montage gehört zu einem ganz bestimmten Film, nämlich zum erzählenden Film. Da soll der Schnitt die erzählte Geschichte möglichst unterstützen. Er funktioniert vor allem über die Handlung. Bei der andern Form soll mit dem Schnitt selbst eine Aussage gemacht werden. Ich glaube, die erste Form funktioniert, ob die zweite funktioniert, ob ein Schnitt wirklich eine Aussage machen kann, muss noch bewiesen werden. Ich weiss auch gar nicht, ob das nötig ist. Ich liebe Schnitte, die man sieht, aber ich finde auch, dass Schnitte eine gewisse Zweideutigkeit haben sollten. Eisenstein sagt, das Zusammenbringen von zwei Einstellungen soll zu einem Begriff explodieren, das heisst, der Schnitt soll ein bestimmtes Bewusstsein schaffen. Das meine ich nicht, vielmehr: Das glaube ich nicht. Es wäre schön, wenn es das gäbe, aber ich habe es noch nie erlebt. Mit den Schnitten, die wir sichtbar machen, können wir schon ein wenig lenken, aber es bleibt eine Zweideutigkeit. Der unsichtbare Schnitt hingegen will gar nichts sagen, der will sich ja verstecken. Bei den Arbeiten, die ich gemacht habe, ist nie versucht worden, den Schnitt zu verstecken. Wir haben eher versucht, mit dem Schnitt sehr verschiedene Momente zu verbinden. Das war dann oft ein sehr harter Schnitt. Die Frage, was kommt zusammen, war wichtiger als die Frage, wie kommt es zusammen.

LIECHTI Es gibt beide Arten des Schneidens. Welche verwendet wird, hängt vom Inhalt ab, davon, was ausgesagt und welche Gefühle erzeugt werden sollen. Weder soll der Schnitt versteckt werden, noch sagt er für sich genommen etwas aus. Er steht im Dienst der Sache.

JANETT Um die Aussage von Truffaut noch einmal aufzunehmen: Ich glaube nicht, dass man gegen den Film schneiden kann. Das hiesse ja, den Regisseur en course de route umzubringen und den Produzenten dazu und alle, die das Drehbuch kennen. Eisenstein hat seine Filme selber geschnitten oder mit dem Herrn Tissé oder dem Herrn Alexandrov neben ihm. Aber von Anfang an bestand dieses Konzept von den zwei Zeichen, die zusammen einen dritten Sinn ergeben. Das muss man von Anfang an wollen, das kann nicht im nachhinein durch den Schnitt hergestellt werden. Es ist ja auch bezeichnend, dass Eisenstein seine Theorie in dem Moment änderte, als er über Ton verfügte. Dann sagte er zum Teil das Gegenteil von dem, was er vorher behauptet hatte, nur die Betonung der einzelnen Einstellung blieb - im Gegensatz zum narrativen amerikanischen Stil, in dem die einzelne Einstellung keine Rolle mehr spielt, da kommt alles darauf an, die Geschichte vorwärts zu treiben. Man ist erstaunt, wenn ein John Ford mit Plansequenzen ein epischeres Element einführt, und vermutet, das sei wohl auf den Kameramann zurückzuführen. Ich denke, man darf nicht von dem konkreten Dreieck Regisseur/Cutter/Material abstrahieren. Wenn man von dem ausgeht, stellt sich bei jedem Film und praktisch bei jeder Sequenz die Frage neu und anders. Beni Lehner sprach von Reise ins Landesinnere, das ist ein Film mit einem durchaus intellektuellen Konzept, in dem verschiedene Figuren analytisch nebeneinander gestellt werden und sich die Synthese erst im Kopf des Zuschauers ergibt. Das ist einer der Filme, die sich für sichtbare Schnitte anbieten. An welchem Punkt steige ich bei der einen Figur aus und gehe - mit welchem Ansatzpunkt - zur nächsten. Ich kann den Schnitt auch mit dem Ton akzentuieren, wie Tanner das häufig macht. Die Frage nach der Art des Schnitts lässt sich anhand der Filme, mit denen wir konfrontiert werden, gar nicht allgemeingültig beantworten, man kann nur pragmatisch Vorgehen.

CINEMA Arbeitet ihr eher mit Leuten, die der einzelnen Einstellung „vertrauen“, wie Bazin sagt? Oder sind sie eher von der Sorge getrieben, ihre Geschichte zu erzählen, und wollen kurze Schnitte?

JANETT Hat dir je ein Schweizer Film den Eindruck gemacht, er sei kurz geschnitten? [Lachen]

CINEMA Gibt es eine schweizerische Art zu erzählen?

UHLER Es gibt durchaus eine helvetische Dramaturgie und Ästhetik. Die Frage ist nur, ob sie ihre Ursache in dieser ängstlichen Kultur haben oder ob es ökonomische Zwänge sind, die hinter der Langsamkeit stehen. Mit jeder Einstellung steigen die Kosten.

WAELCHLI Dieser Stil ist mit dem Autorenfilm eng verbunden, in welchem gern Plansequenzen gedreht werden. Und der Schnitt entspricht der Dreharbeit: Wenn die Einstellungen nicht länger sind, kann man sie auf dem Schneidetisch nicht verlängern.

JANETT Es gibt einen schweizerischen Erzählstil. Ich würde sagen, er ist geprägt von der Angst vor Emotionen. Ein Amerikaner wird sich immer überlegen, welche Handlung bringt die Sache rüber. Ein Schweizer wird zwei Menschen an einen Tisch setzen und darüber reden lassen. Die Angst vor Emotionen bringt auch Positives, nämlich den Verzicht auf billige Effekte, von denen das gegenwärtige Kino voll ist. Aber sie hat den Nachteil, dass man, wenn jemand zu weinen anfängt, eben nicht in die Grossaufnahme geht. Man bleibt scheu in der Distanz der Halbtotalen. Da fangen aber die Probleme für den Cutter an. Ich hab nur das distanzierte Weinen, das „moderato cantabile“, das alle unsere Filme auszeichnet, und dem ich in beschränktem Rahmen entgegensteuern kann, indem ich wenigstens die paar Akzente bevorzugt behandle, die vom Drehen gegeben sind. Ich kann das am Schneidepult nur durch Schneiden des Überflüssigen erreichen. Das ist auch so ein Merkmal unserer Filmerei, das allzu Explizite. Mit andern Worten: Ein zwar erklärbares - die meisten von uns kommen vom Dokumentarfilm - aber unnötiges Verhaftetsein an den realen Abläufen, ein Mangel an Mut filmisch zu kompensieren, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Es kommt noch die Bedächtigkeit der Sprache hinzu, die auch wiederum bei einem decoupierten Film - bei Dokumentarfilmen fällt es besonders auf - Auswirkungen auf den Rhythmus hat.

LEHNER Ein Wesensmerkmal unseres Erzählens ist die Beharrlichkeit. Es kann eine Qualität sein, vor allem im Dokumentarfilm, aber im Spielfilm geht halt oft die Leichtigkeit dadurch verloren. Es ist schwierig, mit dem Schnitt Leichtigkeit in eine Geschichte zu bringen. Nicht nur, weil sie im Material fehlt, sondern weil jede Einstellung eine eigene Bewegung, einen inneren Rhythmus hat. Überlängen, die in der Geschichte angelegt sind, kann die Montage nur selten korrigieren. Das Ganze hat, denke ich, schon mit unseren Emotionen und unserer Distanziertheit zu tun.

JANETT Die Regisseure überlegen nicht genug. Thomas Koerfer, zum Beispiel, dreht immer enorme Auftritte und Abgänge, aber zwischendrin, in der eigentlichen Szene, geschieht nicht viel. Da landet die Hälfte im Papierkorb. Er wird es nie mehr lernen, er macht nach wie vor grosse Auftritte, grosse Abgänge, und um die Mitte foutiert er sich. Nehmen wir Rolf Lyssy. Nichts ist schwieriger im timing als eine Komödie. Ich gucke mir amerikanische Komödien von Meistern wie Billy Wilder an. Da, wo es wirklich kritisch wird, wo alles vom exakten timing abhängt, sehe ich bei ihm: Schnitt - Gegenschnitt, ganz klassisch. Lyssy hingegen dreht so eine Szene mit zwei Leuten in einer Totalen durch und wundert sich, wenn die Zuschauer nicht lachen. Er setzt die Pointe falsch. Das kann alles passieren, aber deswegen schneidet man ja auch solche Sachen.

CINEMA Dieses Schweizerische gab es ja schon vor zwanzig Jahren. Hat sich denn nichts geändert?

JANETT Meiner Ansicht nach gibt es eine zunehmende Verflachung.

UHLER Ich glaube nicht, dass sich etwas geändert hat. Es gibt immer noch dieses Schwere, diese Langsamkeit, die mit der Angst vor Emotionen zu tun hat. Daneben gibt es wohl eine neue Generation, die unbedingt neues Kino machen will, die aber nicht glaubwürdig ist. Die Geschäftigkeit der Bilder ist eine Fassade, hinter welcher die Gefühle immer noch fehlen.

WAELCHLI Selbst wenn bei uns ein action-Film gemacht wird, geschieht es auf eine theoretische Art. Man will etwas anderes machen, als den üblichen Schweizer Film - aber es ist kein Inhalt da.

LEHNER Der Film Filou von Samir, zum Beispiel, ist sehr kurz geschnitten, trotzdem ist er kein schneller Film. Die Geschwindigkeit, der Rhythmus oder die Bewegung muss schon in der Einstellung drin sein.

UHLER Heutzutage haben alle ein schlechtes Gewissen, wenn sie à la Suisse drehen, also mit der dazugehörenden Langsamkeit. Sie machen sich ein schnelles Tempo zum Gebot und merken gar nicht, dass ihre action-Szenen nicht wie in amerikanischen Filmen wirken. Die amerikanischen Bilder - das sind Bilder einer bestimmten Kultur, einer bestimmten Weitsicht.

CINEMA Kann man die Bedächtigkeit nicht auch als Markenzeichen des Schweizer Films bezeichnen? Oder anders gefragt: Steckt sie in unserer Kultur, dass sich da nichts oder nur schwer etwas ändert?

JANETT Es lässt sich schon was ändern, Körfer ist ein wunderbares Beispiel dafür. Er produziert heute einfach Filme im gängigen Fernsehrhythmus, um es einmal vornehm auszudrücken. Er hat früher anderes gemacht. Es gibt aber auch Unterschiede zwischen den Generationen. Leute, die mit Videoclips aufwachsen, haben notgedrungen ein anderes Verhältnis zum Tempo.

UHLER Filme mit langen Einstellungen sind schwieriger zu schneiden. Das gilt auch für Einstellungen, in denen wenig los ist, die wenige dramaturgische Höhepunkte haben. Als ich aus England zurückkam, wo ich gelernt hatte, kurz zu schneiden, weil die Filme dort handlungsreich waren, sagten mir die Leute vom „Filmkollektiv“, man müsse den Einstellungen Zeit lassen, die Szenen müssten atmen können, der Zuschauer brauche Zeit, um sich in eine Situation hineinversetzen zu können. Wo liegt die Wahrheit? Ich glaube, das kulturelle Umfeld bestimmt hier die Antwort.

JANETT Es gibt einen schönen amerikanischen Film, von dem derselbe Regisseur nach drei Jahren ein remake machte, ich meine Ball of Fire von Howard Hawks. Die erste Fassung, schwarzweiss, drehte er mit Barbara Stanwick und Gary Cooper; die zweite in Farbe mit Virginia Mayo und Danny Kaye. Die Geschichte handelt von einem Kollegium von älteren Professoren. Nur einer ist etwas jünger, und der verliebt sich in die Dame. Die Szene, an die ich denke, ist die Quasi-Verlobung der beiden, welche die älteren Herren veranlasst, an ihre erste Liebe oder Ehefrau zu denken. Schliesslich fangen sie an, gemeinsam ein Lied zu singen. Diese sehr lange Szene ist in der älteren Fassung in einer einzigen Einstellung durchgezogen. Man muss sich das vorstellen: es ist ein ungeheuer bewegender, aber auch komischer Anblick, die älteren Herren, die zusammen ein Lied singen. Die Einstellung dauert drei bis vier Minuten. In der zweiten Fassung hat Hawks die Szene decoupiert. Eine Grossaufnahme für jede Figur und ihren Spruch, sogar das Lied ist, wenn ich mich richtig erinnere, decoupiert. Aber das Ganze wirkt viel schwächer. Es ist eine Szene, die eine Weile braucht, bis sich ihr Klima installieren kann. Sie enthält einen Stimmungsumbruch, der nicht durch Schnitt evoziert werden kann. An diesem Beispiel sieht man die Limiten der Montage, oder positiv ausgedrückt, wieviel Vorentscheidungen beim Drehen getroffen werden. Gleichzeitig ist in dem Film eine action-Sequenz, die sehr kurz geschnitten ist. Wir in der Schweiz scheuen uns vor Extremen. Die Längen pendeln in einem Mittelbereich, wie die Filme selber immer irgendwo im Mittelbereich schweben.

CINEMA Wäre es sinnvoll, den Cutter, die Cutterin in einem früheren Stadium schon beizuziehen?

JANETT Das hätte Vor- und Nachteile. Man muss sich dann auch wieder von der Vorlage trennen können und das Material mit neuen Augen ansehen. Ich habe bei einigen Filmen am Drehbuch mitgeschrieben, Regieassistenz geführt und den Schnitt besorgt. Ich habe selbstverständlich davon profitiert und den Regisseur auf gewisse Dinge aufmerksam gemacht, die hinterher Probleme machen könnten. Eigentlich genügt eine Mitarbeit beim Drehbuch. Wenn man da die richtigen Fragen stellt, den richtigen Diskurs führt, zum Beispiel über die Sprache des Films. Aber wieviele Regisseure gibt es, mit denen man das tun kann.

LEHNER Gerade im Dokumentarfilm ist es gut, wenn du jemanden hast, und sei es der Cutter, der alles nochmal anschaut. Der Autor kommt mit einem Bild und all den Gefühlen, die er beim Drehen in dieses Bild hineingepackt hat, und du sitzt da und guckst und spürst von all dem nichts. Dann ist es natürlich von Vorteil, wenn du leer daherkommst und es eben auch sagen kannst: Ich sehe das alles nicht.

WAELCHLI Ich seh das anders. Ich habe schon viele Filme geschnitten, und die waren alle verschieden. Ich kann dem nicht zustimmen, dass Bilder keinen Inhalt haben. Man muss doch immer den ganzen Film im Kopf haben, ich kann doch nicht von Einstellung zu Einstellung, nicht einmal von Sequenz zu Sequenz arbeiten. Manchmal braucht es auch ein leeres Bild, eines, das weniger inhaltsschwer ist. Den amerikanische Dokumentarfilm Roger and Me, zum Beispiel, find ich zu schnell geschnitten. Es gab Momente, da hätte ich gerne etwas für mich überlegen wollen, es ging aber nicht, der Film war immer schon wieder weiter. Ich musste den Film völlig über mich ergehen lassen. Das war zwischendurch sehr frustrierend.

CINEMA Lassen sich bei eurer Arbeit im Laufe der Zeit gewisse Tendenzen herausdestillieren? Zum Beispiel, dass man mehr Schnitte macht: Wo man früher vielleicht zwei oder drei gemacht hätte, macht man heute zehn, oder dass man anders mit dem Ton arbeitet?

WAELCHLI Ich kann nur wiederholen, nicht wir am Schneidetisch bestimmen die Sprache des Films. Es ist immer eine Form der Zusammenarbeit. Das hängt nicht zuletzt von den Schweizer Produktionsbedingungen ab. Man muss sich den Rhythmus einmal anschauen, in welchem hier Filme gemacht werden. Marcel Schüpbach etwa macht alle fünf oder sechs Jahre einen. Zwischen dem ersten und dem zweiten Spielfilm von Jean-François Amiguet liegen auch fünf, sechs Jahre. Tanner und Goretta sind Ausnahmen. Es ist also schwierig in dem Sinne von Erfahrungen zu sprechen.

LEHNER Ich habe Freude an Bildern, die Zusammenkommen, obwohl sie auf den ersten Blick nicht zusammengehören. Also versuche ich, die Regisseure umzustimmen. Es ist ein Spiel, das ich gerne betreibe, weil es mir Lust macht, Bilder zu konfrontieren.

JANETT Ich möchte etwas anfügen, was ich am ehesten sagen kann, weil ich der älteste bin: die nicht eben angenehme Erfahrung des sich Auseinanderentwickelns. Für mich heisst das, es gibt einige Leute, mit denen ich früher gearbeitet habe, mit denen ich heute nicht mehr Zusammenarbeiten könnte. Einfach deshalb, weil sie die Dinge, die mir wichtig an ihnen waren, en course de route verloren haben. Ich mag zum Beispiel keine linkshändische Routinearbeit von einem Regisseur akzeptieren. Ich gebe mir ja auch Mühe, nicht so zu arbeiten. Das hat für mich etwas mit Berufsethos zu tun.

CINEMA Gibt es eine Art Grammatik oder gibt es Regeln, die der Cutter kennen muss?

JANETT Einer der peinlichsten Momente in meinem Leben war, als ich in einem Cutterseminar Altmeister Henri Colpi aufforderte, zehn Regeln für den Cutter aufzuzählen und er das tat. Es war zu dumm, ich wollte ihn provozieren und dachte, er würde sich weigern. Es gibt keine Regeln. Es gibt ein paar Erfahrungsweisheiten. Ein raccord, das kann man am Fernsehen sehen, besonders bei Fussballübertragungen, stimmt nie, wenn er in der Mitte ist. Wenn man mitten in einer Bewegung von der Totalen in eine Nahaufnahme springt, wirkt es falsch, wie verzogen.

LEEINER Eine Grammatik, losgelöst von einem bestimmten Konzept, gibt es nicht. Ich lese gerne irgendwelche Theorien über den Schnitt und finde sie teilweise bestätigt, teilweise falsch. Sie stimmen nur in einem konkreten Moment. Damit meine ich, es gibt kein System von Regeln, die immer wieder übertragen werden können.

JANETT Aber es gibt ein fixes Regelwerk, wenn man sich auf den amerikanischen narrativen Film der klassischen Periode einlässt. Da gibt es bestimmte Dinge, die kann man, und bestimmte Dinge, die kann man nicht machen. Heute ist die Freiheit grösser geworden, zum Teil sehr gross.

LEHNER Wobei dieses Regelwerk nicht nur für den Schnitt, sondern ebenso für die Kamera und das Drehen gilt. Eine Grammatik gibt es schon deshalb nicht, weil Film keine Sprache ist. Weil Film in diesem Sinne keine Eindeutigkeit anstrebt. Insofern ist das Schneiden für mich eine intuitive Tätigkeit. Es gibt sicher ein, zwei Sachen, die man einem, der zum ersten Mal schneidet, sagen kann, wenn man schon etwas Erfahrung hat. Aber ich glaube nicht, das das mehr als Vorschläge sind.

LIECHTI Das ist eine Frage der Person. Jeder und jede von uns hat seine persönlichen Vorlieben. Soetwas leitet sich eher aus der Erfahrung als aus der Theorie ab. Ich, zum Beispiel, schneide lieber in der Bewegung als vorher oder nachher. Aber auch das kann ich nicht immer und überall tun, ich könnte dies also nicht als Regel verkaufen.

CINEMA Ein guter Film, sagt man, ist einer, in den man sofort einsteigt. Ist es deshalb besonders schwierig, den Anfang eines Films zu schneiden?

JANETT Ich habe da keine Probleme. Wenn mir bei einem Spielfilm der Anfang nicht ganz geheuer ist, fange ich irgendwo an. Bei den Dokumentarfilmen habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Anfangssequenz am Ende die letzte ist und was ursprünglich als Ende gedacht war, kommt als Anfang. Beim Dokumentarfilm wird grundsätzlich mehr am Schneidetisch gebaut als beim Spielfilm.

LEHNER Ich habe nur Erfahrungen mit Dokumentarfilmen. Ich habe eher Mühe mit dem Schluss als mit dem Anfang. Anfänge schneiden ist nicht schwierig, man will etwas erfahren. Aber oft sind die Dokumentarfilme so gedreht, dass das Material weder einen Schluss noch einen Anfang hergibt, also muss man etwas konstruieren.

LIECHTI Für mich ist auch der Schluss schwieriger. Ich habe schon öfter umgebaut, erfunden und zum Teil nachdrehen lassen, um einen Schluss zu bekommen. Der Schluss wird schon beim Drehbuch unterschätzt. Der Autor konzentriert sich eher darauf, die Sache in Gang zu setzen als sie zu einem Ende zu bringen.

WAELCHLI Mit Umstellen und Umbauen sind wir alle konfrontiert. Aber für mich ist es nicht wie für Beni eine Freude am Bilder-Zusammenfügen. Es muss für mich immer einen Inhalt und einen Zusammenhang ergeben, dann habe ich allerdings auch keine Hemmungen, ein Bild aus einer völlig anderen Sequenz zu verwenden. Ich muss wissen, warum ich die Sachen mache, dann kann ich eigentlich alles machen.

LEHNER Ich verstehe unter Schnitt zweierlei: Was die Kamera macht, der Ausschnitt, ist auch schon eine Art Schnitt. Und wie der Kameramann, so macht der Cutter Ausschnitte, nur auf einer anderen Ebene. Das grosse Problem ist, dass beide Arten in einem Verhältnis zueinander stehen oder stehen sollten. Mir gefällt es, wenn ich mit dem Schnitt einen Ausschnitt des Kameramannes noch unterstützen kann. Das heisst, ich schneide so, wie der Film im Rahmen geschnitten ist. Das Aufeinanderprallen von Bildwelten, wo durch die Konfrontation etwas passiert, ist etwas anderes. Auch für mich ist das nicht nur Freude an zwei Bildern, ich möchte schon auch Sinn produzieren. Mir gefallen viele Konfrontationen, von denen mancher Cutter sagen würde, da springt doch was.

CINEMA Huges Ryffel erzählte, dass Tanner praktisch mit der Kamera schneidet, das heisst, er nimmt schon viel vorweg, was später den Schnitt bestimmen wird.

UHLER Das stimmt — leider. Die Kamera bleibt oft zu früh stehen. Eine Einstellung hat einen inneren Rhythmus, der sich einem erst am Schneidetisch offenbart. Wenn man mit der Kamera „schneidet“, lässt man diesem Rhythmus keinen Raum.

CINEMA Ihr beachtet den Rhythmus jeder einzelnen Einstellung sehr stark.

WAELCHLI Deswegen kann man eben nicht gegen die Bilder schneiden. Wenn ein Bild einen Rhythmus von der Kamera, vom Schauspieler, den Bewegungen her hat, dann hat es keinen Sinn, mit dem Schnitt etwas anderes zu machen, dem entgegen zu arbeiten, in der Hoffnung, dass das ganze dann schneller geht.

UHLER Über den Rhythmus kursieren im allgemeinen falsche Vorstellungen. Ein schneller Rhythmus hat nichts mit der Geschwindigkeit der Schnitte zu tun, sondern mit den Ereignissen, mit den dramaturgischen Höhepunkten.

CINEMA Ihr seid alle an anderen Arbeitsgebieten des Films interessiert und bereitet zum Teil eigene Filme vor. Habt ihr Projekte, um euch vom Schneiden zu erholen? Oder führt das Schneiden zur Regie?

JANETT Ich muss anfangen, etwas anderes zu machen, wenn ich die Lust am Beruf behalten will. Nachdem ich mich in einer privilegierten Situation befinde, weil ich früh angefangen und die interessanten Anfänge des Neuen Schweizer Films zu einem guten Teil mitbekommen habe, wird nun die Arbeit in dem Masse lustloser, in dem diese Art von Filmen seltener wird. Gleichzeitig gibt es immer mehr Cutter, das heisst, das, was an Interessantem bleibt, verteilt sich auf mehr Leute.

LEHNER Ich wollte das Schneiden eigentlich nie zu meinem Beruf machen. Ich komme von der Photographie. Ich will auch nicht einfach Filme produzieren, was mich interessiert, sind Bilduntersuchungen. Wie wirken Bilder? Was für Hintergründe stehen hinter Bildern?

LIECHTI Ich arbeite an Drehbüchern mit. Das kommt davon, dass ich als Cutterin immer die Letzte bin - da bekommt man mit der Zeit Lust zu wissen, wie es ist, wenn man von Anfang an dabei ist. Ich habe in letzter Zeit viel Energie in Dinge gesteckt, von denen ich nicht weiss, ob es sich gelohnt hat.

CINEMA Die handwerkliche Struktur des Schweizer Films - ist die etwas, das ihr liebt oder beklagt?

WAELCHLI Das hängt mit der Frage zusammen, warum wir etwas anderes machen. Mir fehlt oft die Kontinuität der Arbeit, es wird zu wenig produziert, vor allem bei uns in der Westschweiz. Man kriegt das Gefühl, man müsse mit jedem Regisseur von vorne anfangen. Wenn ich in Frankreich oder in Deutschland wäre, käme ich vielleicht nicht auf die Idee, einen eigenen Film zu machen, da wäre ich wohl genug beschäftigt mit dem, was produziert wird.

JANETT In den letzten zwanzig Jahren, seit ich den ersten Langfilm geschnitten habe, hätte ich vom Schneiden alleine nicht leben können. Aber was dieses handwerkliche System an Vorteilen bietet, möchte ich nicht missen. Auch wenn ich meine diversen Limiten habe, ich möchte nicht darauf verzichten, alles, von vorne bis hinten, in den Fingern zu haben. Ich fluche natürlich, wenn ich nicht genug Zeit für den Ton habe. Da beneide ich die Amerikaner, die, wenn es darum geht, Schritte nachzusynchronisieren, original aufgenommene Schritte Schritt für Schritt anlegen und am Ende einen schönen Schritt haben. Wir dagegen gehen ins Studio, wo zwei Geräuschemacher ein bisschen so machen, und genau so tönt es dann auch. Wir pendeln auch da, in der Produktion, in einem Zwischenbereich. Halb ist es noch handwerklich, im falschen Moment aber ist es schon industriell gedacht, zum Beispiel, was die Termine angeht.

WAELCHLI Ein anderer Vorteil des Handwerklichen ist die Möglichkeit, Dokumentarfilme, Spielfilme, Kurzfilme schneiden zu können. In andern Ländern in denen die Filmindustrie entwickelter ist, sind dies alles getrennte Bereiche.

CINEMA Auf Französisch sagt man „montage“, auf Englisch „editing“ und auf Deutsch „Schnitt“. Da kommen drei verschiedene Konzepte zum Ausdruck, die ideologisch und historisch erklärbar sind. Jeder Ausdruck trifft einen Teilbereich, keiner das Ganze. Wir danken für das Gespräch.

GEORGES JANETT, geb. 1937, ab 1961 in verschiedenen Funktionen im „alten Schweizer Film“ tätig (u.a. bei Kurt Früh, Franz Schnyder, Alfred Rasser, Erwin Leiser), seit 1971 als allrounder (Buchmitarbeit, Produktionsleiter, Regieassistent, Kleindarsteller, Script, Cutter) im „neuen Schweizer Film“, zudem verschiedene kultur- und filmpolitische Aktivitäten. Filme (Auswahl): Dällebach Kan (Früh 1970), Freut euch des Lebens (Höllenstein 1974), Die Schweizermacher (Lyssy 1978), Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S. (Dindo 1976), Der Gehülfe (Koerfer 1976), Dani, Michi, Renato und Max (Dindo 1987).

BERNHARD LEHNER, geb. 1953, 1970-1973 Berufslehre als Photograph, seit 1979 freischaffender Filmtechniker in verschiedenen Funktionen (Kamera, Regieassistenz, Schnitt). Filme (Auswahl): Die sinkende Arche (Regie zusammen mit K. Wittmer 1986), Point de vue (Regie zusammen mit A. Pfäffli 1990), Lieber Vater (Bütler 1984), Reisen ins Landesinnere (von Gunten 1988), Ein anderes Leben (Wildbolz 1988), Grauholz (Iseli 1990).

FEE LIECHTI, geb. 1947, von 1967 bis 1975 Assistentin, ab 1976 freiberufliche Cutterin. Filme (Auswahl): Das Unglück (Radanowicz 1976), Kleine Freiheit (Schlumpf 1978), Das gefrorene Herz (Koller 1979), O wie Oblomov (Schroeder), Trans-Atlantique (Schlumpf 1982), Der Gemeindepräsident (Giger 1983), Akropolis (H. Liechti 1984), Der schwarze Tanner (Koller 1985), Andreas (Lindenmeier 1987), Macao (Klopfenstein 1988), Von Zeit zu Zeit (Steiger 1988), Dreissig Jahre (Schaub 1989). Preise: Qualitätsprämie EDI für O wie Oblomov (1982), Filmpreis der Stadt Zürich (1983).

LAURENT UHLER, geb. 1950, 1970-1973 Studium an der London Film School, seit der Rückkehr in die Schweiz (1974) als freiberuflicher Cutter tätig. Filme (Auswahl): Une Dionée (Rodde 1976), Schnittassistenz unter Brigitte Sousselier bei Messidor und Light Years Away (Tanner 1978/1981), Le voyage de Noémie (Rodde 1985), Les visteur du soir (Soutter 1986), Une flamme dans mon coeur (Tanner 1986), La vallee fantôme (Tanner 1987), La femme de Rose Hill (Tanner 1989).

ELISABETH WAELCHLI, geb. 1948, Studium der Soziologie in Lausanne, nach dem Abschluss Wechsel an die Deutsche Film und Fernsehakademie Berlin (1973-1976), seit 1976 freiberufliche Cutterin. Filme (Auswahl): San Gottardo (Hermann 1976), Raimon (Dindo 1977), La Jacinthe d'eau (Amiguet 1978), Yol (Güney 1982), L’allègement (Schüpbach 1983), Genesis (Mrnal Sen 1986), La Méridienne (Amiguet 1987), La nuit de L’éclusier (Rickenbach 1988). Unterrichtstätigkeit an der ESAV in Genf, am DAVI in Lausanne und an der DFFB in Berlin. Elisabeth Waelchli bereitet einen eigenen Dokumentarfilm vor (Les artisans du rêve).

Miklós Gimes
ist Mitglied des Filmkritiker-Teams des Zürcher Tages-Anzeigers.
(Stand: 2019)
Jean Perret
Jean Perret, geboren 1952 in Paris, in Genf etabliert, ist als Autor von zahlreichen Publikationen bekannt, gibt Seminare und Kurse sowohl in der Schweiz wie im Ausland über Semiotik, Ästhetik, Gesellschaft und "cinéma et photographie du réel". Leitet 16 Jahre das Festival „Visions du Réel“ in Nyon, dann ab 2010 das Département Cinéma / cinéma du réel in der Haute École d'Art et de Design in Genf. Heute Mitglied der Redaktionen der online Filmzeitschrift www.filmexplorer.ch und des Kulturmagazins La Couleur des Jours (www.lacouleurdesjours.ch ).
(Stand: 2019)
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