HEINI ALPER

PESTALOZZIS BERG (PETER VON GUNTEN)

SELECTION CINEMA

Der Film basiert auf dem Roman gleichen Titels von Lukas Hartmann und nimmt sich aus Pestalozzis Biografie eine Epoche vor, über deren Verlauf objektiv wenig bekannt ist. Im Sommer 1799, kurz nachdem er sein Waisenhaus in Stans schliessen musste, zieht Pestalozzi, soviel ist belegt, auf Einladung des ihm befreundeten dortigen Kurwirts Zehender für einige Wochen nach dem damals mondänen Gurnigelbad im Bernbiet. Tür an Tür mit der sich dort kurierenden und verlustierenden guten Gesellschaft quält der Film-Pestalozzi sich durch dessen Lebenskrise, sinnierend und verzweifelnd, dann wieder provozierend und aufbrausend inmitten der feinen Herrschaften, die ihn interessant oder unmöglich finden, und die er unverkennbar hasst, wir können es ihm nachfühlen. Zehender versucht immer wieder wortreich, ihn zur Vernunft zu bringen, sei es, um dem Freund zu helfen, sei es, um seiner düpierten Gäste willen, denen er ja andererseits den doch berühmten Pestalozzi nicht vorenthalten will.

In Rückblenden erfahren wir von den Schwierigkeiten und vom letztlichen Scheitern des Experiments in Stans, wo Pestalozzi den Waisenkindern für kaum fünf Monate ein Heim und eine Erziehung bieten konnte - Kindern übrigens, die im Film als seltsam anonyme Schar, beinahe als schiere Statisterie auftreten. Aber auch die Hauptfiguren bleiben über weite Strecken merkwürdig lebensfern, irgendwie blutleer. Dabei vermag - wie kaum anders vorstellbar - Gian Maria Volonte, der den Pestalozzi spielt, durchaus eindrücklich zu überzeugen; aber eben als Volonte und nicht als Pestalozzi. Und auch Rolf Hoppe als

Zehender entfaltet an sich eine starke Wirkung; man spürt den Schauspieler von Format, jedoch scheint auch ihm (wie allen) bei der Verwirklichung seiner Rolle irgend etwas im Weg zu stehen.

Immerhin, ganz ohne Verdienst ist dieser „doch beachtliche Versuch einer Wiedererweckung“ (Pestalozzi-Biograf P. Stadler in der NZZ) nicht. Mindestens wird erahnbar, dass der Pestalozzi, wie er auf Denkmalsockeln steht und in Lehrerzimmern hängt, ein anderer gewesen sein muss, einer, den heute in seinem Wesen und Wirken zu begreifen sich schon lohnen könnte.

Heini Alper
geb. 1946, Mitglied der S-8 Gruppe Zürich und Mitarbeiter verschiedener Filmprojekte, arbeitet in der Dokumentation „Wort“ des Schweizer Fernsehens DRS.
(Stand: 2019)
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