CAROLA FISCHER

KLASSEZÄMEKUNFT (WALTER DEUBER, PETER STIERLIN)

SELECTION CINEMA

Dieser Kriminalfilm war eine der aufwendigsten Produktionen des Schweizer Kinojahres 1989. Der grosse Medienrummel im Vorfeld, die vielen Drehberichte und vor allem das stolze Aufgebot schweizerischer Kino- und Theaterstars waren geeignet, Erwartungen zu wecken. Spannung und Unterhaltung sollte durch diese Namen allemal garantiert sein.

Der Film geht dann so: Senta, gespielt von Anne-Marie Blanc, verschickt Einladungen an ihre ehemaligen Klassenkameraden. Runde fünfzig Jahre ist es her, seit sie gemeinsam ihre Matura absolviert haben. Acht Gäste treffen in der imposanten Villa der Gastgeberin ein, die diese nach dem Tod ihres Ehemannes offenbar allein bewohnt. Was für Senta ein Wiedersehen mit alten Freunden, ist für den Zuschauer im Kinosaal die Wiederbegegnung mit Grössen des alten Schweizer Films, wie Hannes Schmidhauser und Paul Hubschmid, mit geschätzten Theaterschauspielern wie Ruedi Walter und Lukas Ammann. Die gegenseitige Begrüssung der ehemaligen Freunde wirkt eher gezwungen denn herzlich. Bald einmal wird deutlich, dass es in der Vergangenheit der Clique einen dunklen Punkt gibt. Ebenso lässt das seltsame Gebaren der Hausherrin früh auf dunkle Absichten schliessen. Die Geladenen versuchen tapfer gegen ihr schleichendes Unbehagen anzukämpfen, indem sie gemeinsam im Park Tontauben schiessen und sich im Gespräch der alten, fröhlichen Zeiten erinnern. Gleichwohl können sie nicht verhindern, dass sie immer wieder bei dem gleichen unangenehmen Thema landen: der gemeinsamen Maturareise an den Rheinfall von Schaffhausen. Auf diesem Ausflug hat sich offenbar ein Unglücksfall ereignet, der einen ihrer Gefährten das Leben gekostet hat. Während sich nach und nach herauskristallisiert, dass der sogenannte Unfall gar kein solcher gewesen ist, hebt gleichzeitig in der Runde ein seltsames Sterben an. Mag der erste Tod noch als ein zufälliger, durch Herzversagen verursachter, erscheinen, so wird bei den weiteren Sterbefällen klar, dass sie von Menschenhand herbeigeführt worden sind. Die Opfer werden im Swimmingpool ertränkt (eine prachtvolle Gelegenheit für Ursi National im Badedress zu erscheinen), im Gewächshaus vergiftet, durchs Fenster erschossen. Zwischen dem ersten Gang des Festmahls und dem Dessert wird die Gästeschar drastisch dezimiert, die Übriggebliebenen geraten zunehmend in Panik. Bald einmal ist allen klar, dass die Urheberin aller Morde Senta ist, die ihren ermordeten Geliebten, nach fünfzig Jahren im Wohlstand, unerbittlich rächt. Sie ist nämlich im Besitz eines Films, auf dem die Ereignisse am Rheinfall festgehalten sind und worauf deutlich erkennbar ist, dass der junge Mann gestossen worden ist. Der Täter ist notabene eben der Rechtsanwalt, der das Beweisstück all die Jahre in seinem Safe für sie aufbewahrt hat. Die geheimnisvolle Kellnerin, die während des Dinners serviert hat, entpuppt sich gar als die uneheliche Tochter des weiland Ermordeten, die Senta im Ausland auf die Welt gebracht hat. Gemeinsam vollenden Mutter und Tochter ihr düsteres Werk der Rache.

Die Ähnlichkeit des Plots mit Agatha Christies Zehn kleine Negerlein ist für Krimiliebhaber evident. Aber das ist eigentlich schon alles, was dieser Film mit anderen seines Genres gemeinsam hat. Obwohl er mit grossem Aufwand und auch Sorgfalt hergestellt ist, ein prächtiger Schauplatz zur Verfügung steht, mit der Musik und den Geräuschen versucht wird, Spannung und eine bedrohliche Atmosphäre herzustellen, funktioniert der Film nicht. Es will sich keine rechte Spannung einstellen. Allzu rasch ist die Handlung durchschaubar. Alle Figuren sind viel zu oberflächlich und eindimensional, um das Interesse des Zuschauers zu wecken. Keine Sekunde kann man vergessen, dass man Schauspieler vor sich hat. Da es sich um Schauspieler von Format handelt, muss das eine Schwäche des Drehbuchs sein. Das einzige Gefühl, das sich mit der Zeit einstellt, ist ein gewisses Mitleid mit den Akteuren, nicht etwa weil sie vor unseren Augen zu Tode kommen, sondern weil sie so hölzern im Dekors herumstehen müssen, so dass sie auf eigenartig bestürzende Weise wie Gespenster aus der Vergangenheit wirken und nicht wie Menschen aus Fleisch und Blut. In dem Moment aber, wo sich der Zuschauer mit keiner der handelnden Personen identifizieren kann, stirbt der Krimi an der Gleichgültigkeit, die sich im Betrachter breit macht.

Carola Fischer
geb. 1949, cinephile Germanistin, arbeitet in der Dokumentation „Wort“ des Schweizer Fernsehens DRS.
(Stand: 2019)
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