PIPILOTTI RIST

TITEL

ESSAY

Ich weiss, dass wenn ich auf PLAY drücke, das Band zu drehen beginnt. Nach rechts oder links, je nachdem auf welcher Seite des Geräts ich stehe. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich Pornos produzieren, da ich mich aber als 27jährige Menschmaus selber an mir aufgeilen kann oder mir die Geilheit freihaus auf den Tisch kommt, gerate ich in den Bereich, einen Schritt weiter gehen zu können. Die Hand greift in den BH. Meine Position ist der BH. Die Hand motiviert sich selber. Mir bliebe noch zu sagen, wie fein sich das anfühlt. Also weiter.

Ich will ein Bodybuilder sein.

Komm, lass uns zusammen essen heute. Komm, lass uns zusammen essen morgen. Tatsächlich habe ich heute, dem 5. Juli 1989 am Lindenberg 23 auf der Strasse vor dem Hirscheneck gegessen. D.h. ich habe von meiner Freundin Fränzi Franztanz (170 cm) 2 Calamares gepickt. Rechts von mir sass Jazzy (180 cm), die in letzter Zeit diese grundlosen Ängste immer mehr verliert. Rechts von ihr Muda (160 cm), die mich in unserer Freundschaft viel lehrt. Wir dinieren nicht nur, sondern arbeiten auch zusammen. Sie weiss, was REW heisst und vieles mehr. An der Hauswand, am Tisch, der richtig aufgestellt war, so dass sie ihren Curryhuhnsalat draufstellen konnte, sass Teresa (170 cm). Soviel ich mich erinnern kann, ass sie kein Brot dazu. Nach dem Zahlen gingen wir in die Beiz ins Haus hinein und hinauf und spielten Musik. Wir kreierten ein neues Lied. Teresa bestimmte einen 16er Part und ich startete und schoss REC auf dem Sequenzer. Es war wie ein Bossanova, es ist unser Betty Bosso Song.

Mit Freunden Zusammenarbeiten, ist das Beste (das sagt auch Samir). Das Zugeständnis der eigenen Inkompetenz muss der Tatsache der gegebenen physischen Hindernisse die Waage halten, ich meine, was bringen zwei stempelnde Technikerlnnen, zwischen denen Spannungen herrschen, schon zustande?

Kunst kommt sehr wohl von Können - das Leben meistern können mit offenen Augen. Und die Probleme, die mann sich selber stellt. Die Probleme - die sich von selber stellen - sind die Würze (ich zitiere Muda, obwohl sie es bestreitet).

Meine Augen (türkis) sind 2 blutgetriebene Kameras. Je offener und knallharter ich den andern Menschen in ihre Augen schaue, desto brillanter werden die Bilder. Das Lächeln hält das Gesehene mit dem Rest des Körpers zusammen, der 52 kg wiegt. Je fremder meine Objekte, je länger ich den Blick - die Aufzeichnung - nicht abwende, desto mehr Superbonus krieg ich. Das Band, auf dem die Informationen gespeichert sind, aus denen sich ein Bild aufbaut, ist mein Knie, mein Colon und mein Herz. Die Arbeit ist mir wichtiger als die Liebe. I guess, es geht auf der linken Seite der Treppe weiter, sie führt hoch und dann geht’s gleich rechts runter weiter.

Unser Auge ist bekanntlich zu träge, um den Aufbau der 50 Videobilder pro sec. mitverfolgen zu können; aber spürbar ist er. Ich liebe die Nervosität des Videos, weil meine dagegen so klitzeklein erscheint.

Der Schnee isst die Bildfläche. Kommen Sie und geben Sie mir einen Kuss.

Im Osten geht die Sonne auf (gescheit!) und im Westen fährt sie Rollschuh hinter den Berg hinunter. Turn on - 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 - turn off. Morgen hol ich die bestellte schwarze Bettwäsche. Was nützt eine Videokünstlerin, die nie duscht? Jesus besass im Gegensatz zu mir einen Sony-Watchman (die Firma soll Stroemfeld/Roter Stern was zahlen), der ihm aber im Kopenhagener Hafen ins Meer fiel. Dann schenkte ihm eine Freundin einen andern.

Da die Konsumentin laufender Bilder gezwungen ist, sich eine bestimmte Zeit mit der Stimme der Produzentin zu beschäftigen, ist es besser, sie mag ihren Ausdruck. Es bleibt zu hoffen, die Videastin spricht in der Stimmlage, die ihrem Kehlkopf und ihr selbst am idealsten entspricht. Wenn sie trotzdem laut schreit, darf die Leichtigkeit nicht weit sein.

Während dem Sex fällt es mir schwer, etwas zu flüstern oder zu brummeln, obwohl ich mit Thomas, meinem ersten richtigen Liebhaber, so gerne geflüstert habe: Ich sehe unendliche Hügel, weiter, flieg weiter bis auf den Meeresgrund (in Schweizerdeutsch).

Es war sehr sexuell, überall, unter dem Baum, unter dem Tisch, unter einem weissen Tuch, das aus vielen zusammengenähten weissen Tüchern bestand, immer ohne Coitus. Bei den nachfolgenden Zungentieren gewöhnte ich mir das Reden im Bett ab. Thomas ist jetzt workoholischer Art Director (Cocacola, Kaffee, seidene Pyjamas, excellentes Essen). Ich werde die Sprache schon wieder finden. Es kann nicht mehr passieren, als dass sie den Strom abstellen.

Der Stromgott weiss, 2 Rosen können sich gegenseitig nicht aufessen.

Aber es besteht immer wieder das Bedürfnis, eine Kamerafahrt ins Innere der Blüte zu machen, und immer weiter, bis in die Zellen der Blütenblätter, bis in die molekularen Strukturen der Zellsäfte, und weiter, bis ins grosse Nichts. Ein Amerikaner hat so was ähnliches gemacht, ich glaube, er heisst Eams.

Die V8-Kassetten stehle ich in der Migros, obwohl ihre Kulturförderungsabteilung von einem regiesierenden Kameramann (kamerierenden Regisseur) immer noch wissen will, warum er jetzt auf Betacam und nicht auf Film drehen wolle. Ob

Migros oder Coop, wollen tun sie alle dasselbe, aber geben tun sie ganz verschiedene Geschäftsbeleuchtungen, ich meine, der Stich ist mal bläulich, mal grünlich.

Ich beschäftige mich mit Viodeobildern, die durch Synchronisationsfehler, durch Synchronisationsverschiebungen, wie zu schnelle oder zu langsame Bildinformation in einer bestimmten Zeiteinheit, entstehen. Was wirft die Videomaschine (der Player, der Rekorder, der TimebaseKorrektor oder die Kamera) auf den Monitor, wenn ich zuviel oder zuwenig von ihr will?

Mich interessieren Bilder, wie sie sich durch die Verschiebung des RGB (rot-grün-blau) Signals - z.B. durch Vershifting der drei Kameraröhren oder Übersteuerung der verschiedenen Signalwerte — ergeben. Mit welchen zufälligen Bildern und Rhythmen rettet sich ein Videoinstrument aus einer Überforderung? So interessieren mich auch Rückkoppelungen und Generationenverluste, wie Colornoise und Ausblutungen.

Bei meinen Experimenten mit dem Medium Video musste ich einsehen, wie sehr diese zufälligen, vermeintlich gestörten Bilder frappant denjenigen meines Unterbewusstseins ähneln. Daher bezeichne ich diese Bilder, die sich dem Diktat des „guten“ Durchschnittsimages entziehen, als das Unterbewusste der Videomaschinen.

Diese „miesen“ Bilder sind verwandt mit denen, welche sich im Moment des Betrachtens von etwas Realem - aus unbekannten Ebenen schiessend - zwischen meine Optik mischen. Sie ähneln den Bildern, die sich beim Einschlafen, beim Augenzudrücken, beim Geblendetwerden und beim Träumen in schlafendem oder wachem Zustand einstellen. Ich finde mein Unterbewusstes im Unterbewussten der Maschine materialisiert. Die gestörten Bilder machen Verborgenes sichtbar. Es sind (auch) diese Bilder, vor denen sich die Videotechniker in der Industrie oder in den Fernsehanstalten grausen, oder die sie, wenn sie auf den Mattscheiben erscheinen, schlichtweg ignorieren. Es gibt noch viele andere, die sich mit Schmuddel beschäftigen. Wir huldigen so hinter unseren Maschinen, über die ganze Welt verteilt, den Toten, die diese Geräte erfunden haben.

Experimentelle oder poetische Videos produzieren heisst, eine Familientherapie machen, und der Fernseher ist sozusagen ein Familienmitglied. Ist meine Arbeit zugleich noch intensiv, ehrlich und gut, ist dieser therapeutische Zweck auch meine gesellschaftliche Relevanz. Glauben sie an die pränatale Prägung?

Pipilotti Rist
geb. 1962, aufgewachsen im Rheintal, macht Video (u.a. Sexy Sad I, 1987; Japsen, 1989, zusammen mit Muda Mathis), Grafik, Installation und Musik, lebt in Basel.
(Stand: 2019)
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