MIKLÓS GIMES / FRIEDA GRAFE

TOMATEN AUF DEN AUGEN — DIE GESCHICHTE DES FARBFILMS IST DIE GESCHICHTE EINER VERDRÄNGUNG

ESSAY

MIKLÓS GIMES Sie wollten das Gespräch mit einer persönlichen Bemerkung beginnen, erklären, warum sie sich für Farbe im Film interessieren, ohne „Expertin“ zu sein.

FRIEDA GRAFE Ich habe keine neuen Einsichten zu bieten zum Thema Farbe und Farbfilm und keine Lösungen für die Probleme, die die Farbe der Wissenschaft, der Malerei und der ästhetischen Theorie immer gemacht hat. Ich bin nur Amateur.

Sie ist ein protheanisches Medium, hat Rudolf Arnheim gesagt, und er spielte dabei auf den Umstand an, dass auch auf einem restaurierten Gemälde wir nicht die Farben sehen, die anfangs da waren. Die Farben so zu halten, wie der Künstler sie konzipierte, ist nicht erst ein Problem, seit Filme auf Farbmaterial gedreht werden.

Der Anstoss, mich intensiver mit Farbe im Film zu beschäftigen, war die simple Feststellung, dass sie ein so entscheidender Faktor beim Filmesehen ist, im Schreiben über Film aber nur einen geringen Raum einnimmt. Ich habe mich gefragt, ob es mit meiner Neigung zu tun hat, mich für frivole Probleme zu interessieren, oder aber ob die anderen anders sehen als ich.

Ich habe angefangen aufzupassen, wie Filme mit bewusster Farbgebung aufgenommen wurden.

Farbe hat nie im Vordergrund von Filmanalysen gestanden. Selbst in Büchern, deren Sujet das Verhältnis von Malerei und Film ist - in Bonitzers Décadrages kommen gerade drei Sätze über Farbe vor. In einem kürzlich erschienenen Buch von Jacques Aumont gibt es zwar ein Farbkapitel, aber auch er beschäftigt sich in ihm lieber mit Licht als mit Farbe. Ich kritisiere das nicht, ich finde es nur symptomatisch. Formen - mise en scène, cadrage, point de vue - Inhalte, Ideologien lassen sich leichter beschreiben als Farbe und ihre Wirkungen. So ist sie immer zu kurz gekommen.

Auf Farbe im Film bin ich zwangsläufig immer wieder gestossen, weil ich mich für Mode im Film, für Dekor, für Filmarchitektur interessiert habe, lauter Aspekte, die im Verhältnis zur Farbe standen und darauf hinwiesen, dass von bestimmten Filmern Farbe angegangen wird wie von Malern, als Herausforderung der rationalen Norm.

Ich habe, als ich Goethes Farbenlehre mir wieder vorgenommen habe, ein Buch von Albrecht Schöne, dem Göttinger Germanisten dazugelesen, der die Auseinandersetzung zwischen Newton und Goethe völlig zugunsten Newtons entscheidet - sehr komisch, dass ein Germanist lieber den wissenschaftlichen Standpunkt Newtons rettet als den der Kunst.

Grundsätzlich ist Farbe in der Theorie immer einem Verdrängungsprozess unterlegen. Weshalb, wollte ich wissen. Weshalb das auch im Kino noch so weiterging.

Für mich ist Farbe nicht etwas, das äusserlich an den Objekten haftet. Farbe - ein Kleid, das rot ist bei Nicholas Ray, ein Technicolorblau am oberen Bildrand, wenn Fred Astaire somnambul auf einem Dachfirst tanzt bewusst eingesetzte, intensive Farbe ist eine Spur, die ins Innere der Filme führt und von der Erzähllinie ablenkt. Sie ist für farbbewusste Regisseure ein Sprengstoff, der momentan vom Zwang der geregelten Erzählung befreit. Schliesslich hat mich die Auseinandersetzung mit Farbe auch deshalb gereizt, weil in früheren Ansichten und Theorien, die sie verächtlich machen, sie oft mit Weiblichkeit in Zusammenhang gebracht wird. So pointiert wie bei dem Franzosen Charles Blanc, einem Zeitgenossen von Delacroix hat man es selten gehört: „... Farbe muss der Form untergeordnet bleiben [...] andernfalls [...] wird die Malerei ins Verderben geführt wie die Menschheit von Eva ... “ Von der Polemik abgesehen, was festzuhalten ist: Farbe ist äusserlich, sekundär, nie essentiell.

Der Umschlag kam dann im 19. Jahrhundert. Mit der modernen Malerei wurde die Farbe das Primäre („La couleur crée la forme“ - Cézanne).

In der Malerei und im Film impliziert die veränderte Vorstellung von Farbe eine Veränderung der Position des Zuschauers vor der Kunst. Dass er nicht mehr distanziert eine Szene sieht oder einer Erzählung folgt, sondern über seine Affekte - die Impressionisten sagten Sensationen - reingezogen wird in den Bildprozess.

Im Diskurs über Film und Malerei steht die Arbeit der Kameraleute im Vordergrund, also das Problem des Lichts.

Wenn über Kameraarbeit gesprochen wird, betrifft es ganz selten die Farbe. Die Kameraleute äussern sich wenig zur Farbe. Sie sprechen eher über Farbmaterial. Es gibt Äusserungen von Ghislain Cloquet, weshalb er mit Resnais für Nuit et brouillard sich für Eastman-Material entschied und gegen ein „östliches“, weil seine Farbigkeit mehr kontrastiere mit dem Geschehen in der Vergangenheit, mit der Grauenhaftigkeit der Vorgänge in dem Konzentrationslager, weil sie den Ort in seinen Naturzustand zurückverwandle. Solche Einblicke in die Vorentscheidungen, wie ein Film zu seiner Farbe kommt, sind selten.

Rohmer spricht über Licht und Farbe und über seine Arbeit mit Nestor Almendros bei Pauline d la plage. Dass er der Grün- und Weisstöne wegen, weil er milchige Helligkeit für die Herbstfarben in der Normandie wollte, sich für Fuji entschied, unter anderem auch, um Almendros’ Neigung zu Braun- und Rottönen zu unterlaufen, die er dessen spanische Palette nennt - Almendros ist Kubaner. Ausserdem habe er Almendros eine Reproduktion von Matisse’ „La Blouse roumaine“ gegeben, damit er sich eine Vorstellung mache von den Farben des Films.

Für ihn, sagt Rohmer in demselben Interview, seien Maler wichtigere Modelle als Filmer. Rohmer, der in den Fünfzigern die Cinephilie propagierte, sieht in ihr heute den Grund für die Verödung des Kinos. Das Kino könne seine Bilder nicht bloss aus Kino generieren. Er redet nicht einer Imitation von Malerei das Wort, er will keine malerischen Bilder. Er stellt sich eine Kombination aus Malerei- und Farbfilmerfahrung vor, um die stereotypen, reklamemässigen Kinobilder aufzubrechen.

Der ganze Godard nach 68 kreist um das Farbproblem und die Malerei. Natürlich La Passion, aber auch Sauve qui peut und vor allem auch Lettre à Freddy Buache. Das ist die neue Schweizer Landschaftsmalerei. Das hat nichts mehr mit der reproduktiven Farbe zu tun, die in den Hollywoodfilmen und denen, die sie mechanisch nachmachen, Glaubwürdigkeit und Wahrscheinlichkeit der Handlung unterstreichen. Farbe wird bei Godard in diesen Filmen autonom, oft ausdrücklich mit Bezug auf Maler. In dem Film über Lausanne wird Paul Klee zitiert. Und zwar nicht zitiert, wie Godard das sonst mit Schreibernamen machte. Über das Kleezitat wird der Blick des Filmzuschauers auf die Landschaft verändert. Die Farbe schafft das Filmbild.

Generell ist in den letzten Jahren ein wiedererwachtes Interesse an Farbe im Film festzustellen, das sich ausdrücklich auf Malerei bezieht. Zu Beginn des Farbfilms war das schon einmal so. Dreyer, der nie in Farbe gedreht hat, sah in ihr die Möglichkeit, das Kino vom reproduktiven Realismus loszulösen. Was er vorher mit Licht gemacht hatte, den Bereich zwischen den Bildern zu artikulieren, das Unsichtbare festzuhalten, dafür hielt er die Farbe in hohem Masse geeignet.

Eisenstein sah das ähnlich. Dazu sind einige von Aumonts Äusserungen aufschlussreich: Eisenstein habe zwar mit grosser Begeisterung versucht, Farbe in seine Filme hereinzubekommen, aber im Endeffekt sei es doch von einem kalkulierten Sinnsystem domestizierte Farbe. Daran sei aufschlussreich, dass wieder die Farbe, auch da, wo Eisenstein sie, wie er es versteht, ekstatisch einsetzt, zurückgebogen wird ins System. Und Eisenstein bleibt weiter der Champion der Montage, der mise en scène und des Kalküls. Es ist, mit Varianten, immer der gleiche Vorgang. Farbe ist gefährlich, weil antisystematisch und antirational. Solange sie nicht rückversichert zu beschreiben ist, lässt man besser die Finger davon.

Gleichzeitig mit dem neu erwachten Interesse der Filmer an Farbe - die bei Godard auch eine Reaktion auf die Bilderfeindlichkeit der politischen Jahre nach 68 ist, fiel mir in einer Sammelausstellung deutscher Maler, die in Amerika unter dem Titel „German Art of the Late ’80s“ gezeigt wird, auf, wie viel in deren Bildern vom Kino steckt. Die Maler sind sicher keine Cinephilen, über ihr Verhältnis zum Kino, Heinz Emigholz ausgenommen, weiss ich nichts.

Nicht nur die Filmer nähern sich der Malerei, in den Malerbildern ist eine neue Visualität, in die die Kinobilder eingegangen sind. Man braucht nicht Warhol zu zitieren zum Beweis. In den Bildern, die ich meine, ist es latenter, aber nicht zu übersehen.

Was sind Elemente, die Sie an das Kino erinnert haben bei diesen Künstlern?

Natürlich ist die Fotografie, schwarzweiss und in Farbe, die erste Verbindung, aber ausserdem sind auch Ausschnitt- und Bewegungstechniken kinomässig. Die monumentalen und zum Teil monochromen Installationen von Gerhard Merz wecken bei mir Assoziationen, die über die Monumentalfilme, aus Hollywood und aus Italien egal, in die Klassik führen. Die Sehrahmen dieser Artefakte haben nichts mehr zu tun mit der Begrenzung der Malerbilder. Sie gehen über in die Realität wie die Bilder des Kinos.

Die Farbe in ihnen ist nicht mehr bloss die alte Pigmentfarbe der Maler. Ihr Schwarz ist fast schon das Schwarzweiss vom Kino. Ich möchte sagen, die Technizität des Kinos ist in das Schauen der Maler eingegangen und hat die Natur ihrer Bilder verändert. Das alles sind nur Eindrücke, die nachzuprüfen sind.

Wie kann man heute noch Bilder machen? Wo beginnt eine Einstellung, wo hört sie auf? Filmbilder aus der Realität zu nehmen und zu begrenzen, ist inzwischen ein Problem geworden, das eine generelle Sichtbarkeit der Welt betrifft. Das Sehen hat sich verändert, sowohl das Sehen der Filmer, als auch das Sehen der Maler, und wo sich das Sehen zusammenschliesst, da ist ein Feld, das man erforschen kann, um zu wissen, wie wir mit Bildern leben und was die Bilder mit uns machen.

Film und die Künste - das und in beide Richtungen geschaut ist wichtig. In ihm liegt möglicherweise die Zukunft der neuen Bilder.

Der Film Der Neapelfries von Gaudenz Meili, der auch in CINEMA besprochen wird, ist ein Beispiel, das von der Filmerseite her kommt, wo einer versucht, sich in das Bild hineinzubegeben und nicht distanziert zu porträtieren, um mit den Elementen des Malers etwas Neues zu schaffen.

Die Fries-Form ist schon auf dem Weg zum Kino, sie beinhaltet eine bildliche Bewegung, visuelle Narrativität, Zeit im Bild.

Die frühen Kurzfilme von Resnais sind ein Versuch - wie der, den Sie mir bei Meili beschreiben - Malerei mit Filmformen zu erfassen. Paradoxerweise hat Resnais seinen Van Gogh, seinen Gauguin und Guernica auf Schwarzweiss gedreht. Sicher hatte das mit den Produktionsbedingungen bei Braunberger zu tun, aber es ist auch heute noch ein guter Anstoss zum Nachdenken über das Verhältnis des Kinos zur Farbe.

Es führt nicht sehr weit, zu sagen, die Farbe war der notwendige Fortschritt, vom ärmeren zum reicheren Ausdrucksmittel, und sie setzte sich durch, als die Industrie soweit war, sie profitabel zu nutzen.

Wann die Geschichte des Farbfilms anfängt? Man vergisst leicht, dass die ersten Filme farbig waren, die Stummfilme waren getont und gefärbt. Wenn man heute versucht, ihre Farben zu restaurieren, dann entspricht das dem Zustand, in dem sie konzipiert und gezeigt wurden. Wenn Eric Rohmer sich heute gegen die Farbrestaurierung von Stummfilmen ausspricht, dann spricht er sich dafür aus, sie mit der Patina zu sehen, die sie in den späten Vierzigern und zu Anfang der Fünfziger hatten. In den Zwanzigern waren sie bunt. Ob man die ursprünglichen Farben wieder erreichen kann, ist eine andere Frage. Meine ersten Reaktionen auf den farbigen Nosferatu waren auch negativ. Aber wenn man bedenkt, dass Murnau im Drehbuch zu Schloss Vogelöd ausdrücklich anmerkt, er wolle die Traumsequenzen in Schwarzweiss, dann bekommt man eine Idee davon, dass das Eingefärbte, Bunte damals das normale Äussere repräsentierte. Das Geisterhafte, Phantastische sah Murnau schwarzweiss.

Fritz Lang hat die Premiere von der Frau im Mond platzen lassen, weil er mit den Farben nicht zufrieden war. Sie waren also für die Filmer wichtig, sie bezogen sie in ihre Überlegungen ein. Aber in den Filmkritiken aus der Zeit ist nie von diesen Farben die Rede. Natürlich auch, weil es kodierte Farbe war, nur wenige und mehr oder weniger gleichbleibende Töne. Aber sie spielte eine Rolle, sie hatte, bei Murnau bestimmt, eine Funktion. Wenn das Bild rosa wurde, dann bedeutet das Dämmerung und die Ankündigung: jetzt beginnt die Zeit des Vampirs. Heute, in schwarzweiss, geht der Vampir in hellem Tageslicht spazieren. Da stimmt wirklich was nicht.

Auch bei Méliès, in Le voyage d travers l’impossible, war die böse, die gefrässige Sonne golden. In den Premierenkopien von Stroheims Greed waren Dinge, die mit der Geldgier zu tun hatten, von Hand koloriert in Gold, und wenn die Fahne in Eisensteins Potemkin hochging, war sie handkoloriert rot. Sonst hat es in der sowjetischen Kinematographie kein Tinten und Tonen gegeben.

Wann setzt der bewusste Gebrauch der Farbe ein?

Der bewusste Gebrauch von Farbe ist immer abhängig gewesen von einzelnen Autoren, obwohl es auch vom System, gewissermassen automatisch produzierte interessante Farbfilme gibt. Was es mit den Super-Cine-Western auf sich hat, das wäre schon interessant herauszufinden.

Ein farbbewusster Autor ist z.B. Mitchell Leisen und Lady in the Dark ein Musterbeispiel für das, was in Hollywood mit Farbe möglich war. Leisen benutzt Farbe monochrom in den Träumen, und setzt sie so gegen den realistischen Gebrauch in der Haupthandlung ab.

Renoir verwendet Farbe in The River, in La carosse d’or, in Elena et les hommes weder realistisch noch fiktionell in der üblichen Bedeutung dieser Unterscheidungen. Er selbst sagt, er verstehe sie realistisch, meint aber damit nicht: objektgebunden. Er lenkt mit ihr die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf Aspekte seiner Stoffe, seiner Sujets, die in der Farbe begründet sind. Gewisse Grün- und Blautöne in The River sind der Geschichte, die er erzählt, enger verbunden, haben direkter mit ihr zu tun, als Kameraarbeit oder Plotkonstruktion oder Schnitt ausdrücken könnten. Das hat wahrscheinlich mit der Wahrnehmung von Farbe, wie sie über den Apparat passiert, zu tun. Renoir war der Ansicht, man könne Farbe fotografieren, und das sei eine andere Farbe als die der Maler. Ich interpretiere ihn so: Dass Farbe in der Realität mit dem Apparat anders festzuhalten ist als mit dem menschlichen Auge direkt. Weil der Wahrnehmungsprozess übers Auge immer auch die Imagination des Schauenden aktiviert, was die Farbwahrnehmung verändert. Man kann in Filmen von Renoir Farbe sehen, ehe sie zum Attribut von Objekten wird.

Ich habe vor zwei Jahren in der New York Review of Books einen Bericht über einen Maler gelesen, der durch einen Unfall farbenblind wurde. Ich wusste bis dahin nicht, dass die Generierung von Farbvorstellung ein Vorgang in zwei Schritten ist. Einmal die Konstruktion von Farbe auf der Retina, die lichtabhängig ist. Aber dazukommt ein zweiter Farbgenerator im Gehirn. Im Fall dieses Malers hatte sich gezeigt, dass die Retinafunktionen normal waren, da war nichts beschädigt. Grauwerte konnte er bis in die differenziertesten Gradierungen beschreiben. Aber er sah die ganze Welt grau, ekelhaft mausgrau, dirty war sie für ihn geworden. Um solch ein Leben überhaupt ertragen zu können, begann er dann, ausschliesslich nachts zu leben - ob das nicht auch zu denken gibt, weshalb wir, wenn wir den Film im Kino lieben, so hängen am alten Schwarzweiss?

Was Schaden gelitten hatte bei dem Maler, war die Funktion im Gehirn, die, als individueller Erfahrungsprozess, als Imagination der zweite Schritt der Farbwahrnehmung ist.

Vor zwei Jahren haben Sie für Berlin eine Retrospektive des Farbfilms zusammengestellt. Was würden Sie neben Renoir und Leisen als typische Autorenmuster für den Umgang mit Farbe bezeichnen?

Antonioni hat Farbe immer als Mittel verstanden, um Innenbereiche zu beschreiben. Er hat allein in der Rigorosität Farbe nach aussen gekehrt, um Zustände zu beschreiben. Die Amerikaner haben Farbe eher gebraucht als Protest gegen die Realismusnormen der Studios, wo die Farbberater für dezente Glaubwürdigkeit sorgten. Bestimmte Farbkombinationen bei Nicholas Ray und bei Minnelli sehen ganz danach aus, dass die üblichen Studiofarben sie dazu inspirierten, ihre eigene Palette zu entwickeln. Natürlich ist das Gelb und Blau in Fords Kavallerie-Western zunächst realistisch, aber es wird auf eine solche Weise in positivem Sinn penetrant, dass Blaugelb im Endeffekt mindestens so wichtig ist wie, dass es eine Reihe von Kavalleriemännern ist, die am Horizont daherreitet. Das sind bei Ford die Nationalfarben, in denen ein amerikanisches Selbstverständnis sich ausdrückt.

Einen Sovcolorfilm aus den Fünfzigern, den könnte ich ohne jede andere Information sofort erkennen und bin mir schon bewusst, dass das russische Farbmaterial ein weiterentwickeltes Agfacolor ist. Farbe ist nur vorstellbar als Kontext. Eine Farbe pur gibt es nicht. Mit Farbenverhältnissen hat es zu tun, dass es nationales Farbempfinden und nationale Farbgebungen gibt. Um das zu verstehen, ist Rossellinis Viva l’Italia eine überzeugende Lektion. Aber auch die Sovcolor-Grüntöne haben mit der russischen Realität zu tun. Das Grün bei Boris Barnet in Ringer und Clown, der zum Teil in der Ukraine gedreht wurde, ist real ein anderes Grün als dasjenige, dessen Erfahrung Renoir festhalten wollte, als er The River drehte. Wenn Renoir sagt, „Wir haben das Grün in Indien noch angepinselt, damit es wirklich das Grün von Indien wurde“, meinte er ein Grün, das aus dem indischen Kontext kommt. Die weissen Zuckerbäckerschnörkel machen möglicherweise erst die Einmaligkeit des Mandelgrüns der Eremitage in Leningrad aus, aber auf dieses Grün hätte niemand in Westeuropa kommen können.

Während jemand wie Hawks den funktionalen Ablauf von Geschichten zur eigentlichen Domäne seines Filmens macht, machen Regisseure wie De Mille oder Leisen Dekor- und Farbzusammenhänge zum bevorzugten Mittel, ihre Handlungen zu artikulieren. Bis zu einem gewissen Grad hängt natürlich der look von De Mille-Filmen von den Leuten ab, die für ihn arbeiteten, und vom Studio. Aber die Paramount war eben ein Studio, für das Ausstattung, production values, genauso wichtig war wie für die Universal der Horror.

Wenn jemand wie Leisen, der Art-Director bei De Mille war, Regisseur wird — und er ist einer der wenigen, die aus diesem Bereich zur Regie überwechselten -, dann ist naheliegend, dass er seine Spezialität zum Gegenstand auch seiner Regie macht.

Generell ist Farbe meistens ein Sekundärbereich der Regie geblieben. Auffallend ist nur, dass homosexuelle Regisseure sie sehr ernst nehmen. Bei Murnau zum Beispiel ist das Interesse an allem, was Ausstattung und Bauten betrifft, sehr gross, weil er im Unterschied zum funktionalen Männerkino kein action-Kino macht. Weshalb zum Beispiel ist Farbe ein so wichtiges Ingredienz in Melos? Im action-Kino ist Farbe allenfalls funktional, der Bewegung, der motion untergeordnet. Emotion geht zusammen mit Farbe.

Eisenstein ist ja dann ganz anders an die Farbe herangegangen.

Farbe war für Eisenstein der Explosivstoff innerhalb seines sonst so kalkulierten Systems, das Unterschwellige, das er als Alternative sehr ernst nahm. Er fürchtete sie nicht für seine Rationalität, für ihn war die Farbe die Möglichkeit einer notwendigen Offenheit. Die Färbe im Iwan ist eine Befreiung.

Es ist auffallend - und wahrscheinlich hat es mit dem Krieg zu tun -, dass Eisenstein sich so ausführlich und intensiv mit Farbe in der Malerei auseinandergesetzt hat. Er musste sich Farbe mehr ausdenken, als dass er damit arbeiten konnte. Aber er gibt immer zu verstehen, dass sie für ihn das exzessive, ekstatische Mittel ist, ein absolut notwendiger Teil seiner Pathos-Theorie.

Inwiefern hatte Eisenstein psychologisches Wissen über Farben?

Dass seine Vorstellung von der Verwendung von Farbe oft etwas beschränkt psychologisierend wirkt und kinounspezifisch, kommt daher, dass seine Farbtheorien aus Büchern kommen und sich nur wieder in Texten niederschlagen konnten. Es macht schon skeptisch, dass er sich so detailliert auseinandersetzt mit Farbe bei El Greco oder den japanischen Holzschnittkünstlern, aber die modernen Maler ablehnt. Aber im Iwan funktioniert die Farbe revolutionärer, als er sie in seinen Theorien beschreibt. Die Zentrifugensequenz in der Generallinie ist auch ein Stück Farbfilm, das ist weiss in Fluss, bewegte Milch, die Dynamik, die das System sprengt. So sehe ich es, aber vielleicht ist das hineingesehen, Wunschdenken.

Gibt es Kitsch im Farbfilm? Sind solche Kategorien der Kunstkritik, wie „Kitsch“, überhaupt auf den Film anwendbar?

Das führt zu nichts. Den „guten Geschmack“, der in der Malerei der Massstab war, um Kitsch von Qualität zu unterscheiden, sollte der Film besser meiden. Ich habe kürzlich zwei Cleopatra-Filme gesehen, einen in Technicolor von Gabriel Pascal, ein Mann aus der Umgebung von Alexander Korda, und einen schwarzweissen von De Mille. Der De Mille ist für Leute mit gutem Geschmack brutal in seiner amerikanischen Art, Ägypten zu rekonstruieren. Dem englischen Film konnte man trotz des ägyptischen Äusseren sofort ansehen, dass es ein Farbfilm aus den fünfziger Jahren war. Aber die Farben waren nie vulgär oder krude wie bei Hawks oder Tashlin oder Jerry Lewis, bei denen amerikanische Farben immer durchschlagen. Alles war pastellfarben, gedämpft, eine Palette, dem guten Geschmack angepasst. Genau das war der Punkt, den ich an diesem Film als kitschig bezeichnen würde.

Kitsch im Kino hat nichts zu tun mit dem herrschenden guten Geschmack der anderen Künste. Aber ich bin mir auch nicht sicher, ob Kitsch überhaupt etwas mit Kunst zu tun hat, wenn er in seiner Definition so abhängig ist vom guten Geschmack.

Wenn ich Farbqualität im Film definieren müsste, würde ich sagen, dass sie am ehesten da anzutreffen ist, wo ein Autor innerhalb seines Vorstellungsprojekts rigoros das macht, was er will. Wenn bestimmte Filme von Minnelli sich in einem bestimmten Farbbereich bewegen, dann kann das, finde ich, keinen Kitsch ergeben, weil Minnelli weder Malerei noch guten Geschmack imitiert, sondern sein Farbsystem stringent durchzieht. Das ist eine Qualität dieser Filme.

Die wilden Farben bei Tashlin oder im Nutty Professor von Jerry Lewis sind nicht geschmackvoll. Aber was für Filme, um sich eine Vorstellung davon zu machen, was die Fünfziger waren! Jerry Lewis- und Tashlin-Filme demonstrieren die Farbrevolution, die sich in Amerika vollzog.

Was meinen Sie mit Farbrevolution?

Acryl kam an die Macht, Acrylfarben, Kaufhausfarben, die von den Malern erst zu ihren neuen Farben gemacht wurden. Heute kommen in den Malerbildern die Farben der fünfziger Jahre wieder, die auch über die Filme in die Realität eingegangen sind.

Schauen Sie sich an, wie Godard in Made in USA Primärfarben verwendet - Karinas grünes Kleid mit violetten Streifen -, noch vor dreissig Jahren hätte man sich nicht getraut, diese Farben zusammenzutun. Die passten nicht zueinander. Godard zeigt, wie diese unnatürlichen Farben unsere alltägliche Umgebung geworden sind. In Made in USA stehen in einer Garage nebeneinander knallblaue, rote und gelbe Kanister. Dazwischen montiert Godard ein Vorgärtchen mit Blumen. Damit begreift man, dass die Naturfarben, die durch Jahrhunderte unsere Vorstellung von Farbe prägten, heute keine Chance mehr haben. Godards konzentrierte Farben, seine Primärfarben zeigen, wie die Kunstfarben die natürlichen Nuancen ausschalten. In Weekend sieht man nicht mehr die Landschaft, sondern die Autos und Farbe, die von Bränden herrührt. Godard hat Farbe nie realistisch-mechanisch gebraucht, sondern immer selektiv wie ein Maler, mit einer bewusst reduzierten Palette.

Wie steht es bei Rohmer?

Rohmer war einer der ersten, der in den Cahiers über Farbfilm geschrieben und ihn verteidigt hat. Er hat gesehen, welche Rolle sie für Hitchcock spielte, in Under Capricorn zum Beispiel, zu einer Zeit, als andere über die schreienden Kinofarben nur die Nase rümpften. Heute, nachdem die perfektionierte Farbfotografie ein Standard geworden ist und die gelackten Publicityfotos die Blicke abgestumpft und eingefroren haben, dreht er von neuem auf 16 mm, weil es Nuancen und Differenzierungen erlaubt, die man mit 35 mm nicht mehr bekommt. Er sieht für sich auf 16 mm eine grössere Möglichkeit, sich das Stereotyp vom Leib zu halten. Für ihn sind nicht etwa die schmuddeligen 16 mm-Farben spontaner und näher an der Realität, sondern weiter weg vom Druck der gelackten Bilder.

Blue Velvet von David Lynch geht auch auf die Acrylwirklichkeit zurück, gebraucht Farbe differenziert, gebrochen, ironisiert.

David Lynch hat den Affektwert von Farbe für seine Art des Filmemachens entdeckt. Er verwendet Farbe nicht symbolisch, sondern wie Hitchcock zum Bangemachen oder auch, um Ekel zu produzieren. Er versucht, mit Farbe zu machen, was er vorher in Eraserhead mit Schwarzweiss probierte. Die Charge, die Farbe bei der Erzeugung von Gefühlen der Anomalität haben kann, hat er voll genutzt. Man weiss, dass es während der Dreharbeiten zu Mitchell Leisens Lady in the Dark Leuten schlecht wurde, wenn in der Mittagspause seine blauen Menschen in die Kantine zum Essen kamen. In den Zusammenhang gehört das Zitat von Philipp Otto Runge, das ich bei Wittgenstein gefunden habe: „Wenn man sich ein bläuliches Orange, ein rötliches Grün, oder ein gelbliches Violett enken will, wird einem so zu Muthe wie bei einem südwestlichen Nordwinde.“

Heute werden Schwarzweissfilme elektronisch kolorisiert. Bedeutet das eine Aktualisierung von Filmgeschichte?

Die Aktualisierung ist das Argument der Händler, der Verkäufer. Ich glaube einfach nicht, dass sich die Leute Casablanca im Fernsehen lieber eingefärbt anschauen als in Schwarzweiss. Sie sind an Bogart als den Helden in schwarzen Filmen gewöhnt. Man weiss, dass das Fernsehen der Anstoss war, der den Farbfilm in den Fünfzigern durchsetzte. Um mit dem farbigen Fernsehen weiterhin Geschäfte machen zu können, überlegten sich die Filmproduzenten, mussten sie auf Farbe drehen.

Die elektronisch eingefärbten Schwarzweissfilme mit ihren kadavermässigen, stichigen Farben wirken wie handkoloriert, wie früher die Aushangfotos in den Schaukästen der Kinos. Statt aktueller macht die Kolorierung die Filme älter.

Das Argument der Leute, die die Kolorisierung verteidigen, ist, dass die Realität doch farbig sei. Aber im Fernsehen wirken die kolorisierten Film wie ein neues Farbsystem und nicht wie das normale Farbfernsehen. Die Filme wirken jetzt noch geisterhafter, als sie in Schwarzweiss ohnehin sind. Wenn sich die Kolorisierung durchsetzt, dann wieder nur als Gewohnheit und nicht gerechtfertigt durch grössere Realitätsnähe.

Wollen die Zuschauer wirklich Farbe?

Da sind die Auskünfte widersprüchlich. Vom deutschen Fernsehen hört man, es gäbe keine Veranlassung zur Kolorisierung, bei Zuschauerumfragen habe es keine Äusserungen gegen Schwarzweissfilme gegeben. In Amerika dagegen sollen sich die Fernsehzuschauer für die Kolorisierung ausgesprochen haben.

Wie ist das zu interpretieren?

Möglicherweise weil der Raumverlust der Filme schon eine erste Banalisierung, eine Einebnung der Ausdrucksformen mit sich bringt. Diese Verluste summieren sich zu einer Plattheit, bei der zum Schluss nur noch die Story übrigbleibt, so dass es nicht mehr darauf ankommt, ob noch ein bisschen draufkoloriert wird. Von dem, was einmal die Besonderheit dieser Filme ausmachte, ist sowieso nicht einmal mehr die Hälfte zu sehen. Wen kümmern wirklich die Intentionen, mit denen etwa ein Huston — den erwähne ich, weil er vor dem Kongress gegen die Verschandelung protestiert hat - seine Filme konzipiert hat. Die Filme sind zuerst ein Konsumprodukt. Wir in Europa sind etwas altmodischer und sehen ein wenig mehr die Autoren hinter den Filmen. In Amerika gibt es keine Autorenrechte. Den Firmen gehört das autorenlose Massenprodukt, mit dem sie machen dürfen, was sie wollen. Aber selbst in Hollywood haben die einzelnen Macher die Massenprodukte auf ihre Weise geprägt. Jacques Aumont vertritt in seinem schon zitierten Buch die überlegenswerte These, dass das wiedererwachte Interesse der Filmer an der Malerei sich gegen das Fernsehen richte. Wenn Scorsese sagt, er wolle das Gewicht von Farbe auf der Leinwand darstellen, dann geht das in die Richtung. Er kann unmöglich den Fernsehschirm gemeint haben.

Godard hat gesagt, ihm sei es egal, seine schwarzweissen Filme so zu lassen, wie sie seien, oder sie einzufärben. Nur, er will sie selbst kolorisieren und es nicht einfach der Industrie überlassen. Genauso hat er reagiert in Bezug auf Reklame in seinen Filmen bei der Fernsehausstrahlung. Er überbietet die Vandalen: Er würde Reklame nicht nur an zwei Stellen haben wollen, sondern lieber gleich an fünf oder sechs.

Da macht er nur, was er schon immer getan hat: den jeweiligen kommerziellen Zustand des Kinos hernehmen und ihn individuell bearbeiten. Er würde seine Filme kolorisieren, wie er früher die Farben des amerikanischen Kinos in die Primärfarben seiner Filme umgeändert hat. Da ist seine Strategie, die aus seinem Verständnis von Kino folgt. Er nimmt dem Apparat die Sachen weg und funktioniert sie um. Er ist ein trickreicher Kompromissler: „Ihr wollt einen kleinen schwarzen Film? Gut, machen wir.“ Was dabei herauskommt, ist A bout de Souffle. Oder wenn grobkörnige Dokumentarfotografie verlangt wird, dann macht er Les carabiniers. Genau so verhält er sich der Kolorisierung gegenüber. Das war immer schon die Art, mit der die Künstler sich gegen den Druck des Massenhaften gewehrt haben.

So habe ich die Revolution der Acrylfarben gemeint. Als Kaufhausfarben waren sie uninteressant. Aber auf den Bildern der Maler lassen sie erkennen, wie unsere Gesellschaft, wie die Zeit denkt. Godards Beweglichkeit war immer bewundernswert. Ihm fällt ein, wie man sich wehren kann. Aber offensichtlich ist das heute nur noch für wenige wichtig. Bei uns kommen seine Filme nicht einmal mehr ins Kino.

Heute muss alles farbig sein, auch Tageszeitungen. Dadurch verflacht Farbe. Ist Farbe im Film nur ein weiteres Element des Kulturspektakels?

Wenn etwas Neues durchgesetzt, zur Konvention wird, ist es immer ein Verlust. Aber die durchgesetzte Farbigkeit bedeutet nicht, dass farbbewusste Autoren nicht neue, unerwartete Möglichkeiten zu ihrer Verwendung fänden. Farbe ist überhaupt nicht mehr, was sie im Anfang des Farbfilms war, der Luxus der Fantasie. Sie ist unspektakulär geworden, weil sie der Alltag ist. Die Augen sind durch den Überfluss an Farbe im Alltag blind für sie geworden. Aber das muss nicht so bleiben. Wenn die Verkaufsstrategen behaupten, dass immer alle alles farbig wollen, dann frage ich mich, woher es kommt, dass die bevorzugte Modefarbe der jungen Leute seit drei, vier Jahren schwarz ist.

Wie gehen die jungen Filmer damit um, dass die Farbe alltäglich ist, aufgehört hat, Farbe zu sein?

Im Augenblick, in dem ein Filmemacher sich der Konvention bewusst ist, hat er schon eine Möglichkeit sie zu überschreiten. Er kann sie sichtbar machen, und das fällt auf.

Wie ist es mit Scorsese?

Er hat grundsätzlich Farbe als ein Problem des Films immer mitreflektiert. Ausdrücklich zum Beispiel in den schwarzweissen Homemovies in Raging Bull. Da reflektiert er von innen, aus den Bildern heraus das Problem. Es gibt in seinen Filmen immer Momente, in denen Farbe sich unabhängig macht, ein Element für sich wird und nicht nur mit der Reproduktion der Realität zu tun hat. Farbe ist bei ihm die Domäne des Kinos, abgesetzt von der des Fernsehens - die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen, die falsche Intimität seiner Bilder, die zur Distanzlosigkeit führt, ist dann in King of Comedy ein ganzer Film geworden.

Nick Noltes schwerfällige Naivität und seine Schwermut summieren sich zu dem spezifischen Gewicht von Farbe, was Scorsese sich darzustellen vorgenommen hatte in New York Stories. Man kann sich den reinen Verlauf der Geschichte aber auch mit einem anderen Künstler vorstellen, aber Scorsese wollte die Schwierigkeit zu leben in Farbe darstellen. Man müsste sich die New York Stories einmal zusammen mit seinem Clip für Michael Jackson vorführen, um zu sehen, welche Farbe er mit dem Fernsehen verbindet. Er selbst sieht sich, glaube ich, als Malerfilmer.

Der Clip zeigt, wie die irren Videokamerabewegungen in After Hours, dass in unserer Visualität heute Video und Kino verbunden sind. Dass es notwendig ist, beide zu begreifen. Wenn Scorsese einen Clip macht, begibt er sich automatisch in den Bereich der Reklamebilder. Ob das auch gleich schon heisst, in den Bereich der utilitären Farbe im Unterschied zur autonomeren im Kino, das wäre zu untersuchen.

Filme aus den ägyptischen oder indischen Studios sind oft sehr bunt, grell, dick aufgetragen. Ist die europäische oder amerikanische Farbgebung ein Akkulturationseffekt oder das Resultat der Filmgeschichte? Oder kann man sagen, die Kinder und das Volk lieben es bunt?

Dann rechne ich mich auch zum Volk. Wenn mich irgend etwas langweilt, dann ist das der gezähmte Aspekt von Farbe. Als die Fauves angefangen haben, ihre wilden Farben zu verwenden, da war das eine Differenzierung gegen die herrschenden harmonisierten Farben. Zu Goethes Zeiten mag es richtig gewesen sein, zu sagen, das Volk hat es gern bunt. Heute neigt das Volk zu Ikeamöbeln, und die sind eben nicht bunt.

In Indien kaufen sich die Leute keine Ikeamöbel. Gibt es auf der Ebene der Filmgeschichte auch so einen Akkulturationseffekt, der vom Bunten zum „Stilvollen“ geht?

Das war nicht von vornherein Akkulturation, sondern zunächst einmal die Bewältigung eines technischen Problems. Nathalie Kalmus, die Frau des Technicolor-Erfinders, musste lange Zeit als Farbberaterin miteingekauft werden, wenn man Technicolor verwendete. Sie hatte genaue Vorstellungen, wie gewisse einfarbige Hintergründe geschaffen werden müssen, um den Buntheitseffekt zu verhindern. Das sind dann diese creme-rose-farbenen Hintergründe, Möbel und Gardinen. Wenn man die Stars optimal herausbringen wollte, war es nötig, dass man die Hintergründe dezent einfarbig hielt. In Hollywood wurde die Farbigkeit eingeengt, immer im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Handlung. Je bunter die Filme waren, desto mehr wurde das Auge von der Hauptsache abgelenkt, vom Ablauf der „realistischen“ Handlung.

Es gibt ein Handbuch der Filmindustrie aus den späten Fünfzigern, Elements of Colour in Motion Pictures. Daraus geht hervor, dass man sich bei historischen Filmen sehr genau über Farben und Formen der jeweiligen Epoche informiert hat. Aber mit Rücksicht auf die Zuschauer war die Farbpalette dieser Filme immer eine bewusste Annäherung an den Geschmack der fünfziger Jahre. Im Detail stimmen die Filme, aber im Gesamteindruck wirkt die Geschichte verschoben. Der Zuschauer soll bekommen, was er besser versteht.

In Filmen aus der Dritten Welt ist der Ablauf der Geschichte oft nicht das Entscheidende, sondern das Betrachtungs-, das Anschauungsmoment, die Augenweide. Wenn man das Auge aufhalten darf, dann mag das Auge auch in den Bildern promenieren.

Im Experimentalfilm ist unbestritten, dass Farbe ein autonomes Element sein kann. Vermutlich würde aber auch Hitchcock ärmer, wenn er nicht mit Farbe gearbeitet hätte.

Hitchcock würde nicht nur ärmer, sondern er hätte auch gewisse Sachen gar nicht gemacht, wenn das Inspirationsmoment für ihn nicht die Farbe gewesen wäre. Wenn er in Vertigo die Zigarette im Eigelb ausdrückt, ist das wirklich etwas anderes, als wenn Rebecca die Zigarette in etwas Weissem ausdrückt. Hitchcock will nicht nur die Personen definieren, wie z.B. in Vertigo: Grün ist die Farbe des Todes, also hat Kim Novak ein grünes Kleid an.

Er weiss, wie man den Zuschauer durch Farbinszenierung in bestimmte Richtungen bringen kann.

Wie war der Übergang bei Hitchcock von Schwarzweiss zu Farbe?

Sein erster Farbfilm war Rope, danach kam Under Capricorn mit wunderschön verrutschten Farben, in meiner Erinnerung vor allem rosarot mit einem kräftigen Blaustich. Sein Kameramann Jack Cardiff hat im American Cinematographer über die Dreharbeiten berichtet.

An Psycho ist der Umstand interessant, dass Hitchcock zu Truffaut gesagt hat, Psycho sei seine erste Auseinandersetzung mit dem Fernsehen gewesen.

In Bezug auf Horror hat er auf nichts verzichten müssen. Später hatte Hitchcock die Neigung zu gemalten Hintergründen, z.B. in Marnie, theatralische, völlig unrealistische Hintergründe, wie auch in The Rope. In Trouble with Harry zeigt sich, dass Hitchcock bewusst mit bestimmten Farbkontexten gearbeitet hat. Ohne das Gelb und Rötlichbraun der Herbstwälder von Vermont hätte er den Film nicht gemacht.

Edward Hopper ist der umgekehrte Fall des fast filmischen Malers.

Die Farbe bei Hopper ist genau so unrealistisch wie die Farbe im Film. Der Hyperrealismus von Hopper liegt in den Formen, aber nicht in der Farbe. Der Eindruck des wirklich Amerikanischen kommt nie aus der Farbe. Die Farbe ist genau so irreal wie im Kino.

Egal ob es um Horror geht, um Melo oder um Musicals: Die Filmer haben sich auf die Farbe gestürzt, um vom Realismus des Kinos wegzukommen, und nicht um ihn durch realitätsnahe Farben noch zu konsolidieren.

Das ist bei Antonioni oder bei Scorsese nicht anders. Wenn bei den Autoren ein Bewusstsein von Farbe da ist, wird sie sofort immer in Bezug auf den Zuschauer verwendet. Die Position des Zuschauers hat sich mit dem Bewusstsein der Farbe als Gestaltungsmittel verändert. Die bewussten Farbfilmer verwenden die Farbe in dem Punkt genau so wie die Maler. Die Farbe wird nicht der Geschichte entsprechend der Form in der Malerei untergeordnet.

Sie haben gesagt, die Farbe verlangsame den Ablauf.

Nicht den Ablauf, sondern die Narration. Es gibt Texte von Eisenstein über Cinematismus, wo er sagt, das Kino kann benutzt werden, um in die Immobilität der gemalten Bilder die Bewegung rein zu bringen. Bei Eisenstein war die Farbe im Kino die Möglichkeit der Darstellung von Prozessen. Nicht von Festlegung, sondern von Auflösung, im Unterschied zum Erzählfilm.

Eine Bewegung bleibt im Bild, aber wird durch eine ganz andere Zeitbegrenzung definiert. Es braucht keine Tiefe mehr, keine tiefenscharfen Bilder wie bei Orson Wehes. Im Augenblick, wo es flächiger wird, setzt beim Zuschauer grundsätzlich ein anderes Verhältnis zur Farbe ein. Dreyer hatte darüber sehr kuriose Ideen und Theorien. Endlich könne es im Kino wirklich zweidimensionale Bilder geben und nicht mehr Tiefenbilder. Keine Abbildung der Wirklichkeit mehr, sondern mentale Bilder, ohne die Tiefe der realen Repräsentation.

Heisst das, dass die Malerei über dem Film steht?

Nein. Die ersten Maler, welche die Perspektive entwickelt haben, im Zusammenhang mit den wissenschaftlichen Vorstellungen ihrer Zeit, haben von einer bestimmten Darstellbarkeit der Wirklichkeit ein neues Bild gehabt. Aber wenn die Perspektive in Bildern eine absolute Banalität wird, genau so wie die Farbe, dann haben wir wieder den Abnutzungseffekt, den Dreyer meint. Er will die Dinge zeigen, die nicht sichtbar sind in der Realität. Dreyer hat auch den Malern empfohlen, die japanischen Holzschnittkünstler sich anzuschauen, weil das eine Malerei ist, die sich in der Fläche bewegt.

Es kommt nur darauf an, den völlig versteinerten Gebrauch von Alltagsformen aufzubrechen, um auf etwas zu kommen, was Nichtgesehenes in der Realität zum Vorschein bringt.

Das bringt uns zur Frage des „Traumas der Cinematographie“, was ja die Kunstgeschichtler zu bewegen scheint. Hat Schwarzweiss nicht noch ein Minimum an Fiktion, das durch die Farbe zerstört wird?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Renoir geglaubt hat, dass die Cinematographie darunter leiden würde, mehr zeigen zu müssen als die Malerei, weil sie ein analoges oder reproduktives Medium ist. Ich denke, das ist eine Unterstellung von der anderen Seite. Diese Idee des „Traumas“ taucht immer wieder bei Autoren auf, die von anderen Künsten und Theorien voreingenommen sich dem Kino nähern, wie Roland Barthes oder Sartre. Aber das ist überhaupt nie das Problem der Cinematographie gewesen.

„Trauma der Cinematographie“, da höre ich immer ein Werturteil impliziert. Fiktion im Kino ist etwas anderes als in der Malerei. Renoir, der schon sehr früh, 1933, zum Farbfilm Stellung nahm, war sowohl dagegen, die Malerei zu imitieren, als auch gegen die exakte Wiedergabe der Farben der Realität. „Tout est fiction“, sagte er. Das klingt, vor allem bei einem Regisseur, der zu den Realisten des Kinos gerechnet wird, nicht nach Trauma. Er weiss, dass im reproduktiven, fotografischen Medium die Fiktion woanders sitzt.

Dass dem Zuschauer im Farbfilm nichts zu tun übrigbliebe, ist ein hirnrissiges Klischee. Man muss schon blind sein, wenn man Robert Mitchum in Home from the Hill in seinem dicken roten Ledersessel sitzen sieht und das einem nicht die Fantasie beflügelt. Das schafft die ganze Figur. Das funktioniert über das Rot wie ein Logo. Barthes wollte wissen, was durch die technischen Medien sich in der Kunst verändert hatte. Die primäre Eigenschaft der reproduktiven Künste ist die Analogie. Die Analogie hat man in der klassischen Ästhetik verachtet. Nachmachen, imitieren, das kann jeder. Aber man kann auch mit Realitätsstücken Artefakte machen. Die Kinofarbe ist nicht Natur, sondern Chemie.

Kino ist trotz Reproduktion ein Artefakt. Manche Leute haben eine Vorstellung von Abstraktion im Kopf als der letzten, notwendigen Weihe aller wahren Kunst. Sie hebt die Kunst erst auf den Sockel. Aber wenn im Kino das Licht ausgeht und die Bilder auf der Leinwand sich zu bewegen beginnen, ist diese Art von Theoretikern nicht mehr in der Lage, eine Totale im Unterschied zu einer Halbnahen wahrzunehmen. Sie sehen die Fiktion, die Inszenierung nicht. Aber das ist nicht das Manko des Films.

Schwarzweiss ist wieder schick, cinephil. Was ist mit Schwarzweiss möglich, was Farbe nicht leisten kann?

Man muss sich fragen, warum gewisse Autoren heute lieber schwarzweiss drehen. Es ist eine verständliche Reaktion, Hinsehen zu stimulieren, Wahrnehmung anzustacheln, nachdem die zur Konvention gewordene Farbe alles eingeebnet hat.

Ich denke mir, dass Wim Wenders mit dem Kameramann Henri Alekan arbeitet, weil er anknüpfen möchte an einer bestimmten europäischen Tradition. Alekan war Assistent bei Carné, der europäische Film Noir ist von diesem Schwarzweiss ausgegangen, und Alekan hat auch schon für Ophüls die Geister in den Kronleuchtern über den Hochzeitsgästen fotografiert. Aber er hat auch Farbfilmerfahrung, über die er in seinem Buch sehr reflektiert berichtet. Sein Schwarzweiss heute ist eines, das durch die Farbe hindurchgegangen ist wie Wim durch seine amerikanische Erfahrung.

Jim Jarmusch macht New Yorker Kino, und in Schwarzweiss zu drehen, ist, sich dem Hollywoodkino zu widersetzen. Wenn in Schwarzweiss zu drehen nur Attitüde ist und keine Entscheidung, dann funktioniert es für die Filme wie Farbe.

Jarmusch und Wenders machen ja fast „malerisches“ Schwarzweiss.

Aber es ist ein anderes malerisches Schwarzweiss als das der Stummfilmregisseure, das wie das Schwarzweiss der grossen Kameraleute des Film Noir eine Lichtgeschichte ist. Bei Jarmusch ist es Post-Farbe. Die jungen Kameraleute machen heute Farb-Schwarzweiss.

Was meinen Sie mit Licht-Schwarzweiss?

Dass es in seinen Differenzierungen aus dem Mangel an Farbe entstanden ist. Das Farb-Schwarzweiss artikuliert das Trauma der Cinematographie, es ist eine Abstraktion.

Miklós Gimes
ist Mitglied des Filmkritiker-Teams des Zürcher Tages-Anzeigers.
(Stand: 2019)
Frieda Grafe
geb. 1934, ist Filmkritikerin in München (Filmkritik, Die Zeit, Süddeutsche Zeitung). Ihre Arbeiten liegen in zwei Anthologien vor: Im Off (1974) und Beschriebener Film (1985).
(Stand: 2019)
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