VALÉRIE PÉRILLARD

ZIMMER 36 (MARKUS FISCHER)

SELECTION CINEMA

Die Motive der sadistisch-masochistischen Mutter-Tochter-Beziehung hat schon Elfriede Jelinek in ihrem Roman Die Klavierspielerin aufgearbeitet. Markus Fischer reichert sie in Zimmer 36 mit einer Krimihandlung an, die er in bläulichem Schwarzweiss verfilmt.

Eine Mutter tyrannisiert ihre erwachsene Tochter. Da die ringhörigen Wohnungen der beiden Frauen übereinander liegen, kann die Mutter das Leben ihrer Tochter Hanna Böhm bis in die kleinsten alltäglichen Details kontrollieren. Eines Tages aber dringt ein Fremder, der Kriminalbeamte Fred Milo, in die symbiotische Beziehung der beiden Frauen ein, hellhörig geworden durch ein Drama, das sich kurz zuvor abgespielt hat: Der Ehemann von Hanna hat sich in einem abgelegenen Landgasthof das Leben genommen.

Fred Milo will der Sache auf den Grund gehen und mietet sich im ehemaligen Gasthauszimmer des toten Böhm ein. Bald merkt er, dass sich die seltsame Tochter hier des öftern mit einem alten sadistischen Lüstling trifft. Sein männlicher Stolz erwacht, er will die Harfenspielerin Hanna aus den Klauen des bösen Mannes retten und verliebt sich gleich in sie. Fred Milo tritt in die Stapfen des toten Böhm und wird beinahe wie sein Vorgänger vom Wüstling umgebracht. Doch die Liebe zu Fred Milo reisst Hanna im entscheidenden Moment aus ihrer Passivität: Sie sticht den Angreifer, ihren Unterdrücker, nieder und rettet so ihren Beschützer.

In der Zwischenzeit haben wir in gelblich eingefärbten Rückblenden die horrende Vorgeschichte erfahren: Hanna hatte als Mädchen ihre Mutter und den Wüstling beim Vögeln erwischt. In ihrer Wut stach sie schon damals zu, allerdings nur auf die Hand des fremden Mannes. Später zahlte dieser für sie Wohnung und Ausbildung, als Gegenleistung musste sie ihm jedoch ein Jahr ihres Lebens versprechen, abzuzahlen in jährlichen Zweiwochenraten.

Wieso ging Hanna Böhm dieses erniedrigende Verhältnis ein? Wollte sie sich dadurch an ihrer Mutter rächen? Die pseudo-psychoanalytischen Ansätze vermögen die Abhängigkeiten von Hanna und die daraus resultierenden Verstrickungen nicht schlüssig erklären. So bleibt dieser Psychothriller in unstimmigen Klischees verfangen, welche die anfängliche Spannung schnell abflauen lassen.

Valérie Périllard
ist Volkskundlerin und Regieassistentin in Zürich.
(Stand: 2019)
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