NIKLAUS OBERHOLZER

VERHÄNGT — INEINANDER — DIE GLIEDER — DIE BLEICHEN (RAINER TRINKLER)

SELECTION CINEMA

Rainer Trinkler hat in zahlreichen Filmen von Schweizer Autoren (Murer, Dindo, Hermann) mitgearbeitet und nun mit Verhängt — Ineinander— die Glieder — die Bleichen einen ersten Film realisiert (mit Unterstützung der SRG und des EDI), der ein beachtliches handwerkliches Können des Autors verrät und einen klaren Gestaltungswillen.

Eine junge Frau kommt in eine fremde Stadt, in der sie einen Bekannten — einen früheren Liebhaber? — zu suchen scheint. Sie wird gezeigt im Bahnhof, in Passagen, in nächtlichen Strassen, in eleganten Geschäften, im Treppenhaus eines Bürogebäudes, in einem Park. Überall steigen Erinnerungen oder Traume auf, die die Frau bedrängen und erregen, die in ihr Hoffnungen und Ängste wecken. Trinklers Augenmerk richtet sich zum einen auf diese junge Frau in elegantem weissen Kleid und feinen Riemchen-Schuhen, deren Bewegungen und Gehabe er geschickt optisch umzusetzen weiss, zum anderen auf die Atmosphäre der Stadt, die Hast und Eile, die Anonymität, die vielen undefinierbaren und sich überlagernden Geräusche, die tausend visuellen Reize. Der Autor arbeitet mit Wiederholungen, mit Rückgriffen auf bereits Gesehenes und auf gleiche Situationen, mit sparsam eingesetzten Akzenten. Er versteht den Einsatz der Sprache von Bildern und Gegenbildern und evoziert damit und mit dem oft stakkatohaften Rhythmus die Stimmung einer kaum mehr zu lösenden und damit auch vieldeutigen Verwirrung.

Das lockere, bis in die Augensprache hinein überlegte Spiel von Ulrike Willenbacher sowie die gewandte und gepflegte Kameraführung von Lukas Strebel heben den Film über blosse Fingerübung hinaus. Dass das hohe Formbewusstsein, das den Film prägt, nicht immer zu einer wirklich stringenten inhaltlichen Stossrichtung führt und damit einiges etwas steril bleibt, sei nicht übersehen. Möglich, dass dies hätte vermieden werden können durch eine die Wirkung steigernde ironische Brechung oder eine Verdichtung der formalen Konzeption, die dem Ganzen einen Zug zum Gespenstischen und Unheimlichen geben würde.

Niklaus Oberholzer
*1940, studierte Kunst- und deutsche Literaturgeschichte. 1974 wurde er Leiter des Kulturressorts des Vaterland, der Luzerner Zeitung und der Neuen Luzerner Zeitung. Er war Mitglied des Stiftungsrates von Pro Helvetia. Für seine Arbeit als Kunstvermittler wurde Oberholzer 1996 mit dem Anerkennungspreis des Eidgenössischen Departements des Inneren ausgezeichnet. Als freier Publizist schreibt er für Medien und Verlage.
(Stand: 2019)
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