MONICA NESTLER

ALPENGLÜHN (SILVIA HORISBERGER, NORBERT WIEDMER)

SELECTION CINEMA

„Wo man singt“, hiess der Arbeitstitel dieses „Heimatfilms“, der den Umgang mit kulturellen Werten wie Jodeln, Alphornblasen, Fahnenschwingen und postkartenschöner Bergwelt übt.

Christine Lauterburg, Schauspielerin und Künstlerin, hatte auf einem Spaziergang in ihrer geliebten Bergwelt jemanden jodeln gehört und will es nun auch lernen, so gut lernen, dass sie beim grossen Jodlerfest teilnehmen und sich im Wettbewerb messen kann. Unbekümmert bereitet sie sich auf den Anlass vor, übt mit ihrer Lehrerin und geniesst mit dem Freund Max die ländliche Atmosphäre. Fasziniert und euphorisch im „eine andere Welt Erleben“ glaubt sie, mit dem Jodeln ihre Frusts, ihre Probleme heraussingen zu können: „Weisst du, wenn du zum Beispiel traurig bist... das tut wie hinausspülen. Heute gibt es für mich einfach manchmal nur noch eins: entweder du brüllst noch lauter als alle anderen oder du gehst weg. Du musst doch deine Sphäre irgendwie behalten können... Dann musst du dich ausdehnen, dass es dich nicht zusammendrückt, das was alles von draussen kommt. Und das tut schon gut, wenn du dann so...“

Doch beim Jodlerfest in Langenthal spürt sie dann (endlich) wie auch dort „zusammengedrückt“ wird. Nach dieser unausweichlichen Begegnung mit einer zweijahrhundertealten, staatsbeklatschenden Heimatauffassung weiss sie sich zu distanzieren. Doch, um nicht erneut den gerade entdeckten Heimatboden unter den Füssen zu verlieren, entwickelt sie nun eine eigenständige Beziehung zur Natur und Realität. Ihrer Erlebnisintensität und ihren Wertvorstellungen verleiht die Sängerin mit eigenen Worten und neuen Liedern persönlichen Ausdruck.

Ohne zu polemisieren zeigt der Film Klischees und verlogene Freiheitseuphorie auf und versteht es — gerade auch dank der schauspielerischen Leistung von Christine Lauterburg — diesen etwas entgegenzuhalten. Weglaufen ist hier keine Alternative sondern sich vom gegebenen inspirieren lassen und mit Eigensinn neue kulturelle Ausdrucksmöglichkeiten schaffen.

Inspirieren liessen die Filmer sich auch. Doch beim Versuch ihrer Annäherung an traditionelle Werte blieben sie meiner Ansicht nach zu sehr in Distanz und beschränkten sich auf „wahrheitsgetreue“ Bilder. Die Landschaft blieb Dekor, das Jodeln Exotik.

Wahrheitsgetreu dann wohl auch, dass die Sängerin vor allem dank ihrem lehrmeisterlichen Max den Bezug zur Realität finden kann? Auf jeden Fall ist der Film ein beachenswerter und vergnüglicher Beitrag zu einem kulturellen Thema, das üblicherweise Fluchtverhalten auslöst.

Monica Nestler
ist Fotografin und Journalistin, lebt in Brissago.
(Stand: 2019)
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