NIKLAUS OBERHOLZER

DIE GLEICHZEITIGKEIT DES ANDEREN (URS EGGER)

SELECTION CINEMA

Im März 1987 eröffnete das Kunstmuseum Bern eine von Jürg Glaesemer konzipierte Ausstellung mit dem Titel Die Gleichzeitigkeit des Anderen, die in allen möglichen Kunstgattungen den Verbindungen zwischen Kunst und Magie, Kunst und dem Unbewussten, Kunst und dem „Anderen“ nachging. Während der letzten Zeit der Vorbereitungen hat Urs Egger die Vorgänge im Kunstmuseum mit der Video-Kamera festgehalten.

Egger beschränkt sich auf jene Künstler, die eigens für die Berner Ausstellungsräume Werke konzipierten und an Ort und Stelle auch aufbauten. Im Zentrum stehen somit Boltanski, Ulay und Marina Abramovic, Rebecca Horn, Buthe, Tuttle, Disler, Orr u.a. Filmt die Kamera zu Beginn Museumsräume, die Werkstätten — oder unaufgeräumten Rumpelkammern — gleichen, so gewinnen die Werke nach und nach an Gestalt, die der Film in gekonnter Kameraführung vorstellt — bis hin zu James Lee Byars, der zum Schluss, in goldenem Gewand, versteht sich, vor dem Museum auf der Marmorkugel posiert. Dazwischen zeigt Egger den durch den Winterwald wandernden Glaesemer, der in zwischen Tiefsinn und Plattitüden schwankenden Worten das Konzept der Ausstellung erläutert.

Es gelingt Egger, beim Betrachter Interesse für eine Kunst zu wecken, die sich schwer mitteilt. Das hängt zusammen mit der Schlichtheit und Einfachheit, mit der der Autor seine Arbeit anpackte. Dass dies zu Oberflächlichkeiten oder Trugschlüssen führen kann, sei nicht verschwiegen, denn selbstverständlich sind die Begegnungen mit den Werken kurzatmig, knapp und damit auch verkürzend. Besonders gravierend wird das bei Beuys’ Honigpumpe am Arbeitsplatz, die in Bern eine Art Reliquien-Charakter erhielt: Das Werk wird — verbunden mit der Stimme von Beuys — im Film Eggers so knapp gezeigt, dass, wer es nicht schon kennt, kaum wissen wird, worum es da überhaupt geht.

Eine eigentliche Dokumentation des Unternehmens ist Eggers Film nicht; dazu werden zu viele Bereiche nicht oder kaum erwähnt (Film, Literatur, Theater, Musik, die alle auch einbezogen waren). Hingegen diente das Video-Band zweifellos als eine Sehhilfe für Besucher: Eggers Film konnte, im Museum während der Ausstellung gezeigt, Zugänge erschliessen, die wohl manch ein Besucher so nicht einfach gefunden hätte.

Niklaus Oberholzer
*1940, studierte Kunst- und deutsche Literaturgeschichte. 1974 wurde er Leiter des Kulturressorts des Vaterland, der Luzerner Zeitung und der Neuen Luzerner Zeitung. Er war Mitglied des Stiftungsrates von Pro Helvetia. Für seine Arbeit als Kunstvermittler wurde Oberholzer 1996 mit dem Anerkennungspreis des Eidgenössischen Departements des Inneren ausgezeichnet. Als freier Publizist schreibt er für Medien und Verlage.
(Stand: 2019)
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