PETER SCHNEIDER

DIE VERBORGENEN TÄNZE (PETER SCHWEIGER)

SELECTION CINEMA

Peter Schweigers Film spielt auf zwei klar unterscheidbaren Handlungsebenen: Realität und Fiktion. Sie zu vermengen und durcheinanderzubringen ist das Ziel dieses Films. Schweiger benützt dazu das Medium der Musik, welche sowohl in der Fiktion der Oberwalliser Sagen, wie auch in der Realität des Tanznachmittags in Imfeld (Binntal) die signifikante Schlüsselposition einnimmt. Die Musik der “Oberwalliser Spillit” ist das Bindeglied zwischen den beiden Ebenen, und die Lust daran ist der Katalysator für die verborgenen, verbotenen Tänze. Die Tänzer er wartet eine ewige Strafe: Der Tanzzwang. Sie kommen selbst als Tote nicht zur Ruhe, treffen sich nächtlicherweile in entlegenen Alphütten, um dann im Morgengrauen wie der in den Gletschern zu verschwinden. Schweiger versteht demzufolge die heimatlichen Klänge als anarchisches Potential, welches die Aelpler zu unchristlichem Tun, zur Uebertretung des obrigkeitlichen Tanzverbots zu verleiten vermag.

Er inszeniert diesen Gedanken, indem er die Bewohner des Binntals, welche ihm mit ihren Erzählungen der Sagen den Anlass zu deren Verfilmung liefern, gleich selber ein Tanzfest auf dem Dorfplatz feiern lässt. So wird die Fiktion in der realen Gegenwart eingelöst. Die Realität des Tanznachmittags ihrerseits erscheint durch das Hineinragen der Fiktion als eigenartiges, irreales Ritual. Die Musik, die Sagen und die Bilder der Berge berichten entgegen der Erwartung nicht von unreflektierter, dumpfer Bodenständigkeit, sondern von Mythen, die der kargen und unspektakulären Existenz einen transzendentalen Sinn verleihen.

Peter Schweigers respektvoller Blick auf das Oberwallis ist derjenige des von der Exotik der Phänomene faszinierten Fremden. Ohne in eine populäre, spektakuläre Interpretation zu verfallen, ohne Polemik, Pathos und psychologischen Naturalismus erzählt Schweiger in wenigen Sätzen. Die verborgenen Tänze wirken spröd, holprig, distanziert, unwahrscheinlich und real zugleich: Wie eine Sage selbst. Es ist ein Film, der die einzelnen Sätze zwar absichtsvoll und intellektuell zueinander in Beziehung setzt, diese aber respektiert und das vorgefundene Material - die Menschen, die Sagen, die Musik - nicht seines Selbstwertes beraubt und einem unterländischen, besserwisserischen Sinn subsummmiert. Als Städter liest man das Filmgedicht rhetorisch - unmittelbar genossen haben es diejenigen, denen die Walliser Volksmusik nicht fremd, sondern lockend und verheissungsvoll in den Ohren klingt.

Peter Schneider
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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