PETER SCHNEIDER

LA MORT DE MARIO RICCI (CLAUDE GORETTA)

SELECTION CINEMA

Goretta geht in La mort der Mario Ricci dramaturgisch sehr behutsam vor: Der Journalist Bernard Fontana kommt in ein jurassisches Dorf, um hier den Welternährungsspezialisten Henri Kremer zu befragen. Im Schlepptau des Journalisten trifft der Zuschauer die Dorfbewohner: Ein reich verwebtes Netz von Beziehungen erschliesst sich. Aus den Begegnungen, die Schritt für Schritt sehr vorsichtig realistisch motiviert werden, formuliert sich langsam ein düsterer Befund heraus. Die Einwohner der ländlichen Gemeinschaft brüten dumpf, dem Alltag des Lebens ergeben, vor sich hin. Der Besuch des vom Fernsehen allen bekannten Fontana ist für sie eine kleine Sensation; der sich sehr passiv gebende Journalist scheint unabsichtlich als Katalysator zu wirken: Sein Auftreten veranlasst die Bevölkerung zu Aeusserungen der Gewalt, der Liebe, des Ratsuchens, der Hinwendung. Solcherart ergibt sich ein wenig dramatisches, aber atmosphärisch dichtes Psychogramm eines Dorfes. Mit der Schilderung der latenten Aggression und der manifesten Gewalttätigkeit eng verknüpft ist der im Titel genannte konkrete Fall von tödlicher Gewalt: Der Unfalltod des jungen italienischen Arbeiters Mario Ricci. Eher unwillig versieht Fontana seine Rolle als Detektiv, als ihm die ungeklärten Umstände der Schuld an Riccis Tod zu Ohren kommen.

Der ungelöste Fall verleiht dem Film Spannung, wenngleich er auch hier verhalten auf der sinnbildlichen Moralität des Geschehens beharrt und der Story nie dramatisch freien Lauf lässt. Dem unheimlichen, eruptiv in Zorn ausbrechenden Schweigen der Dörfler und der passiv sich der blossen Wahrnehmung des Geschehens hingehenden Resignation Fontanas wird die hysterische Geschwätzigkeit des zu interviewenden Ernährungsexperten entgegen gesetzt. Henri Kremer jammert verzweifelt über die Wirkungslosigkeit seiner Arbeit und rundet damit das Bild einer im Denken und Handeln gelähmten, hilflos bloss auf Zustände reagierenden Menschheit ab.

Drei Nebenfiguren - Kremers Assistentin, der Serviertochter im Wirtshaus und Fontanas Assistenten - ist eine andere Sicht der Welt vorbehalten: Deren lebensbejahender, auf den Alltag gerichteter Pragmatismus verbreitet eine Spur Optimismus in einem Film, der sonst grundsätzlich und pessimistisch die allgegenwärtige Krise feststellt. La mort de Mario Ricci konstatiert mit einer gewissen Sturheit das Festgefahrene und Unabänderliche, indem er den Protagonisten die zum Sinneswandel führende, den Weltschmerz aufbrechende Auseinandersetzung verweigert.

Peter Schneider
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]