JOACHIM VON MENGERSHAUSEN

EIN ANDERER BLICK — ZUR MISERE DER DREHBUCHAUTOREN

ESSAY

Seit mehr als zwanzig Jahren findet hierzulande ein ebenso zäher wie weitgehend ausserhalb der Öffentlichkeit geführter Krieg zwischen Drehbuchautoren einerseits und Film-/Fernsehregisseuren andererseits statt, in den häufig genug Produzenten und Fernsehredakteure hineinverwickelt sind auf oft genug wechselnden Fronten. Dieser Krieg wird zuweilen mit solcher Verbitterung geführt, dass man glauben könnte, es ginge ums nackte Leben. Gelegentlich dringt ein Zeichen, eine Nachricht von diesem permanenten Krieg an die Öffentlichkeit. Zumeist sind es Autoren, die sich da zu Wort melden, sprechen von der Inkompetenz der Regisseure, von Zensurakten seitens der Fernsehredakteure oder von solchen mit noch höherer Gewalt Versehenen und beklagen sich über den stattgehabten Verrat ihres jeweiligen Werks beim Prozess der Verfilmung. Wer das Filmmilieu nicht kennt — und das dürften wohl die meisten der Leser solcher Artikel sein — wird den Vorwürfen Glauben schenken ohne weiteren Vorbehalt, galten doch die Leute vom Film schon immer als reichlich unseriöse Gesellen und die vom Fernsehen gemessen auch nicht gerade den besten Ruf.

Aber ist bei der Filmherstellung hierzulande wirklich so viel Unwissenheit, Dilettantismus, Feigheit, autoritätsstaatlich orientiertes Handeln am Werk, wie diese Autoren sagen? Widerspricht nicht das nationale und internationale Ansehen, das die unter den Bedingungen der «Inkompetenz und Zensur» hergestellten Filme gemessen, dem erhobenen Vorwurf?

Der Vorwurf des Verrates am Werk des Autors zeigt, worum es in den Auseinandersetzungen wirklich geht: Es ist ein Kampf um die Urheberschaft am Film, und da die Verfügung über den Film rechtlich beim Produzenten liegt und die geistige Urheberschaft in der Filmgeschichte immer und ganz selbstverständlich den Regisseuren zugewiesen wurde, ist es zugleich ein Kampf gegen geltendes Recht und geltende Filmgeschichtsauffassung.

Es ist bemerkenswert, dass eine ganze Generation von Leuten, die sich als Drehbuchautoren verstehen, mehr oder weniger dieselbe Haltung einnimmt. Früher noch, bis in die späten fünfziger Jahre, wäre hierzulande kein bei der damaligen Filmindustrie beschäftigter Autor auf eine solche Idee gekommen, ebenso wenig wie heute ein amerikanischer oder französischer Drehbuchautor. Nicht, dass es da keine Auseinandersetzungen geben würde. Das ist bei einem Produkt wie dem Film, bei dem es auf das Zusammenspiel vieler kreativer Ideen und Handlungen und oft genug recht disparater Interessen ankommt, eigentlich selbstverständlich. Aber die Urheberschaft verlangt in der Regel keiner.

Ein Blick in die Vergangenheit der Medien Film und Fernsehen ist nützlich. Als in den fünfziger Jahren das Fernsehen noch nicht diese Massenbasis von heute hatte, dominierte beim Fernsehspiel das Theater oder theaterähnliche Formen. Weite Teile der Bühnenliteratur wurden von Leuten, die vom Theater selbst oder vom Hörspiel kamen, vor der Kamera inszeniert. Die Kamera selbst war bei dem Vorgang irgendwie störend, wurde oft genug belächelt als ein notwendiges Übel des Fernsehens, das man halt hinnehmen musste. Ganz selbstverständlich spielten dabei die Autoren wie am Theater eine absolut dominierende Rolle. Ihre Stücke beschrieben ja schon recht genau, was die Inszenierung erreichen sollte. Sie waren Partituren, die aufgeführt werden wollten. Die daran beteiligten Regisseure, Bühnenbildner, Schauspieler waren Interpreten, die das niedergeschriebene dramatische Geschehen für Augen und Ohren wahrnehmbar machen, gleichsam zum Leben erwecken sollten.

Je mehr der Film, nachdem er im Kino seine Massenbasis und damit seine ökonomische Grundlage verloren hatte, sich im Fernsehen, dem neuen Massenmedium, breitmachte, desto mehr schwand das Ansehen der bisherigen Autoren. Die Verhältnisse des Films setzten sich in der Praxis durch, auch wenn man häufig genug ein so entstandenes Fernsehspiel, wie man den Spielfilm jetzt nannte, auch weiter dem Autor zusprach. Die alten Filmregisseure akzeptierten das häufig, sie nahmen das so wenig ernst wie überhaupt ihre Arbeit bei dem neuen Medium, und die etablierten Fernsehregisseure waren es nicht anders gewohnt.

Dramatisch wurde das Verhältnis Autor/Regisseur erst, als Ende der sechziger Jahre eine neue Generation von Regisseuren beim Fernsehen zu arbeiten begann. Mit ihrer Ideologie vom Autorenfilm (von der Idee bis zur fertigen Kopie liegt alles in einer Hand), die die Filmherstellung analog der eines Buches oder eines Gemäldes sah, war das fernsehgewohnte Verhältnis Autor/Regisseur unvereinbar. Der Konflikt wurde zunächst dadurch entschärft, dass diese Autorenfilmer (u. a. Fassbinder, Herzog, Kluge, Reitz, Wenders, Ziewer) ihre Drehbücher, die sie aus ihrer eigensten Erfahrung heraus entwickelten, selbst schrieben. Als sie begannen, ihre Stoffe aus Romanen, Theaterstücken oder dem wirklichen Leben zu holen, waren professionelle Drehbuchautoren wieder gefragt. Nur diese Art von Drehbuchautoren gab es kaum mehr. Man konnte Schriftsteller finden, die ihren eigenen Roman zu Drehbüchern oder was sie dafürhielten, umschrieben. Andere schrieben Originalgeschichten in Drehbuchform. Doch all diesen Büchern war eigen, dass sie literarisch waren und nicht filmisch, dass die kreative Phantasie in der sprachlichen Fixierung ihr eigentliches Ziel hatte und nicht in der Fixierung der verschiedenen Bilder und Töne, nicht in deren mediengerechter Strukturierung. Das ist im Grunde bis heute so geblieben.

Die Misere der Drehbuchautoren liegt nicht in erster Linie in ihrem Verhältnis zu den Regisseuren oder Redakteuren und Produzenten, sondern zu dem Medium, für das sie arbeiten wollen. Kaum einer ist imstande, eine wirkliche Filmszene zu schreiben, es ist fast immer etwas zwischen Literatur und Theater, zu schweigen von der Schaffung eines Entwurfs, der sich der Kamera und des Mikrofons bedient. Dass die Sprache bei der Abfassung eines Drehbuches nicht der Ausdruck ist, sondern ein Hilfsmittel, die visuell-akustischen Vorstellungen für den Prozess der Filmherstellung mitteilbar zu machen, bleibt bestenfalls theoretische Einsicht. Es ist schon fast nicht polemisch zu sagen: Viele Drehbuchautoren sind kinematografisch gesehen Analphabeten.

Der Anspruch auf die Urheberschaft am Film zeigt, wie wenig gemeinhin Autoren von dem Medium wissen, für das sie arbeiten. Wüssten sie, dass oft ein Windhauch, ein Lichtstrahl ausdrucksstärker ist als ein Dialogsatz, der Schatten auf einem Gesicht, die abstehenden Ohren eines Darstellers oder seine Armbewegungen mehr besagen als eine bestimmte Figurenkonstellation, wüssten sie, wieviel ursprüngliche Phantasie in einen Film eingehen muss, und dass es wirklich ein schöpferischer, der entscheidende schöpferische Akt des Regisseurs ist, damit all diese heterogenen Elemente eine imaginative Filmwelt ergeben, sie wären bescheidener; sie würden mit grösserer Leidenschaftlichkeit, mit schärferer Phantasie zur Sache des Films das ihre beitragen.

Joachim Von Mengershausen
geb. 1936, war Aufnahmeleiter, Cutter, Drehbuchautor, Regisseur und Filmjournalist, seit 1970 Redaktor beim WDR, Köln.
(Stand: 2020)
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