GERHART WAEGER

WEGE UND ALTERNATIVEN ZUR PROFESSIONALITÄT — ÜBERLEGUNGEN ZUM «GENERATIONENKONFLIKT» IM NEUEN SCHWEIZER FILM — ANLÄSSLICH DER 17. SOLOTHURNER FILMTAGE

CH-FENSTER

Super-8 ist ein Medium, in dem man auch als Amateur, als Hobby-Filmer arbeiten kann. Bei mir selber ist dies der Fall: Ich bin kein Profi-Filmer, ich bin Lehrer. Als Nächstes muss ich nicht unbedingt einen Film machen. Ich kann auch keinen Film machen, das ist mir gleich. Ein professioneller Filmemacher muss einen Film machen, das ist ja sein Beruf.

Es ist das erste Mal, dass ich im Zusammenhang mit dem Schweizer Film das Wort «Amateur» in einem positiven Sinn gehört habe: Der Amateur erscheint hier als einer, der (mit Super-8 oder sinngemäss mit Video) ohne äussere Zwänge, ohne Geldgeber und schlimmstenfalls sogar ohne Publikum einen Film machen kann — wie man für sich allein auch malen oder schreiben kann.

Die Sätze fielen in einer Diskussion des Berichts, den das Magazin «Kamera 82» des Fernsehens DRS den Solothurner Filmtagen 1982 gewidmet hat. Sie stammen von Urs Berger, dem Autor des Super-8-Filmes Unseri Wohnschtrooss. Es überraschte mich, sie nicht von einem jener zahlreichen Filmemacher zu hören, die in oft narzisstischer Weise ihre eigene Befindlichkeit in Bilder fassen, sondern ausgerechnet von einem, der in engagierter Weise ein Anliegen vertritt, dessen Film, so das Programmheft zu den 17. Solothurner Filmtagen, «Hinweise geben und gemachte Erfahrungen vermitteln» will.

Wer bis anhin, und sei's auch mit noch so unbeholfenen Mitteln, in Solothurn einen Film über ein soziales Problem zeigte, wurde stillschweigend als eine Art nicht oder noch nicht arrivierter Professioneller ernstgenommen — vorausgesetzt, dass seine Arbeit auf 16 mm gedreht worden war, denn dies war bis 1979 noch Bedingung, um an den Filmtagen zugelassen zu werden. Mit dem Auftauchen der Super-8-Filme im offiziellen Programm entstand da und dort der Eindruck, eine «neue Generation» von Filmemachern sei am Werk, eine Generation, der man zuweilen sogar mehr Sympathie entgegenbrachte als den Arrivierten, die es zum Teil nicht einmal mehr für angebracht halten, Solothurn ihre Aufwartung zu machen.

Dabei gibt es Super-8-Filme natürlich nicht erst, seit sie an den Solothurner Filmtagen zugelassen werden. Früher wurden sie, jeweils einen Monat später, ebenfalls in Solothurn im «Kreuz» an einer «Werkschau» gezeigt — die von der Filmkritik indes meist ebenso wenig wahr-, geschweige denn ernstgenommen wurde wie die erklärten «Amateurfilmfestivals». Dies, obwohl dort «genau die gleichen Filme und viel kompromisslosere schon vor zehn Jahren gelaufen» sind, wie Urs Berger versichert, der diese Schweizer Filmwerkschau jahrelang mitorganisiert hat.

Liegt in diesem Phänomen vielleicht die Erklärung für den sogenannten «Generationenkonflikt» im neuen Schweizer Film? Auf der einen Seite stünden dann nicht nur die Arrivierten und Etablierten, sondern in Personalunion auch die, die seit je «Professionalität» mit allen Mitteln angestrebt haben, die sich auf der Suche nach Produktionsmitteln die Füsse wundliefen und zum Teil immer noch laufen, die ihre Arbeiten auf Teufel komm raus dem Fernsehen verkaufen wollten und sich später von diesem mit Handkuss engagieren Hessen — auf der andern Seite die «Alternativler», die seit zehn Jahren mit kleinstem Budget drauflosfilmen, ohne mit ihrer Filmerei den Lebensunterhalt verdienen zu wollen, unbekümmert um engstirnige Behörden, kleinliche Geldgeber und sture Einkäufer beim Fernsehen, unbekümmert vielleicht auch um formale Kriterien.

«Die haben wieder einmal den Film neu erfunden», tröstete mich mit einem kleinen Seufzer ein Kollege, als ich ihn am ersten Abend der Solothurner Filmtage 1982 fragte, was ich am Nachmittag verpasst hätte. Der Ausspruch Hess mich zurückdenken an jene Jahre, in denen der neue Schweizer Film zum ersten Mal «erfunden» wurde: Alain Tanner und Claude Goretta mit Nice Time, Henri Brandt mit Quand nous étions petits enfants, Alexander J. Seiler mit Siamo Italiani, Walter Marti mit Ursula, Fredi M. Murer mit Chicorée, Michel Soutter mit La Lune avec les Dents, um willkürlich einige Filmemacher des ersten Jahrzehnts des neuen Schweizer Films herauszugreifen — es wäre keinem von ihnen im Traum eingefallen, sich als «Amateur» zu bezeichnen. Es waren Professionelle am Beginn ihrer Karriere, die mit Produktionsschwierigkeiten zu kämpfen hatten. Und wenn die Einkünfte aus der Filmarbeit zum Lebensunterhalt auch nicht ausreichten, blieb Professionalität doch das Ziel. Und wenn einmal etwas den Sehgewohnheiten völlig zuwiderlief, sprach man von «Experiment». Aber nicht einmal ein HHK Schoenherr hätte sich als «Amateurfilmen) bezeichnen lassen. «Amateure» — der Begriff war damals ein Vorwand für ängstliche Produzenten und Verleiher, sich nicht für den neuen Schweizer Film zu engagieren, war ein Schimpfwort von Kritikern, die nichts mit ihm anzufangen wussten.

Wäre eine Zäsur zwischen den beiden «Generationen» des neuen Schweizer Films also dort zu suchen, wo sich der erklärte Wille zur Professionalität von der Genügsamkeit engagierter «Amateurfilmer» absetzt? Dies zu behaupten wäre zweifellos ein verhängnisvoller Kurzschluss. «Amateurhaftes» ist ja in keiner Weise auf die Werke jener Filmemacher beschränkt, die keine professionellen Ambitionen haben. Im Gegenteil: Amateurhaftes im Sinne des Nicht-beherrschens des Handwerks wirkt auf mich dort am ärgerlichsten, wo es mit dem unausgesprochenen Anspruch der Professionalität daherkommt: in Erica Burgauers und Reto Stoffels im Homosexuellenmilieu spielendem 16-mm-Farb-film «Sommertage» etwa, um nur ein neueres Beispiel zu nennen.

Ich habe auch versucht, meinem «Ärger» auf die Spur zu kommen: «Sommertage» hätte vor fünfzehn Jahren (in Solothurn) vermutlich grosse Beachtung gefunden. Es ist das Pech der Nachgeborenen, dass sie nicht wie die Leute der ersten Stunde Neuland beackern können. Und wenn sie so tun, als ob man es könnte, scheint mir der Begriff des «Dilettantismus» eher am Platz als der des «Amateurhaften» im oben beschriebenen Sinn — wobei in der Alternativszene natürlich auch der Dilettant seine Existenzberechtigung hat. Wer sich jedoch mit den «Professionellen» messen will, kommt nicht darum herum, die Filmszene, in der er sich etablieren und in die er vielleicht Innovatorisches einbringen möchte, wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. Das sorgfältige und kontinuierliche Beobachten von Filmen und die damit erworbene Kenntnis der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, die der Film zur Verfügung stellt, ist gerade auch für Autodidakten eine Voraussetzung der Arbeit. Dies erklärt im Übrigen auch, warum es in der Filmgeschichte immer wieder Filmkritiker gegeben hat, die relativ leicht den Sprung zum professionellen Filmemachen geschafft haben.

Aber Professionalität im Sinne der kontinuierlichen Berufsausübung und der Beherrschung des Handwerks ist bekanntlich noch längst keine Garantie für Qualität. Qualität lässt sich umgekehrt immer wieder auch beim «Amateurfilmer» finden: Gerade deshalb werden Super-8-Filme und Videoproduktionen in Solothurn jetzt ja auch zugelassen. Qualität liegt unter anderem in der optimalen Nutzung der jeweils zur Verfügung stehenden Produktionsmittel, die für den Dilettanten, den Amateur, den Autodidakten und den Professionellen naturgemäss nicht die gleichen sein können.

Der «Graben» zwischen den Generationen, soweit es tatsächlich einen solchen gibt, kann sich somit nicht allein im Gegensatz zwischen Professionalität und Liebhaberei erschöpfen — er verweist darüber hinaus auf den Gegensatz zwischen Alternativkultur und etablierter Kunst, der heute auch in der Theater- und Literaturszene zu beobachten ist. Dass dieser Graben im Bereich des neuen Schweizer Films indes nicht allzu tief sein kann, beweist schon das ehrliche Staunen, mit dem ein Villi Herman in der erwähnten Diskussion in «Kamera 82» feststellen musste, dass er in Solothurn unversehens zu den «Etablierten» gezählt wurde.

Gerhart Waeger
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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