WOLFRAM KNORR

LEBEN IN DER NAUTILUS — DIE ARCHITEKTURMODELLE IN DEN SCIENCE-FICTION-FILMEN

ESSAY

Ein Marshal wartet in einem kleinen Nest auf ein paar Killer, die ihn umbringen wollen. Vergeblich hofft er auf die Hilfe der Mitbürger und muss schliesslich notgedrungen den Killern allein entgegentreten, mit nichts anderem ausgerüstet als seinem Schiesseisen und seinem Selbstvertrauen. Die Stadtlandschaft ist klar und übersichtlich: eine breite Hauptstrasse und wie mit dem Lineal gezogene Querstrassen; Schutz bieten höchstens die würfelartigen Häuser. Der Rest ist offenes, weites Land. Es ist eine sehr vertraute Situation; man kennt sie aus Fred Zinnemanns Western-Klassiker High Noon.

Diesmal aber wartet der grauhaarige Gesetzeshüter nicht mehr in der sonnigen Idyllik eines Provinzkaffs auf die Begegnung mit den Killern, sondern in der Grubenkolonie des Jupiter-Mondes Io; und die Killer kommen mit der Raumfähre statt mit dem Dampfzug; und nicht, um sich an ihm zu rächen (weil er einen von ihnen vor Jahren hinter Gitter brachte), sondern weil sie vom Minen-Manager dazu beordert wurden. Denn der Marshall ist auf die miesen Machenschaften des Multi-Konzerns gestossen: Die Arbeiter werden mit Drogen zu höheren Produktionsleistungen getrieben und enden oft als psychotische Mörder und Selbstmörder.

Outland heisst der Film und spielt in einer «Nautilus-Welt»: einer Eisen- und Stahlhöhle, der Vision einer ins Unermessliche geweiteten technokratischen Baukunst. Die verwirrende Vielfalt der Perspektiven und die Tiefenerstreckung der Gänge und Schläuche geben den Eindruck des Gewaltigen wieder und verweisen gleichzeitig auf den Repräsentationszusammenhang: die schrankenlose Entfaltung der Baumassen mit ihren perspektivischen Gangfluchten, durch die der Marshal irrt, symbolisieren präzise die wahren Machtverhältnisse: sie lassen die autoritative Stellung des Gesetzeshüters wie des Minen-Managers einschrumpfen auf eine blosse Stellvertreter-Funktion. Das Wirrwarr der Eisen-, Stahl-und Kunststoffverstrebungen, der Treppen und Gänge, der bizarren Aufgliederung der Wände und der labyrinthischen Seitentrakte verunmöglichen eine Rekonstruktion des Raumganzen in der Phantasie: der Mensch als Anhängsel der Technik.

Der Einsatz der Science-Fiction-Architektur war schon lange nicht mehr von so sinnlicher und informativer Qualität wie in Peter Hyams Weltraum-Reisser Outland. Der Vergleich mit High Noon mag, bezogen auf den Rückgriff des Plots, richtig sein, gerechter aber würde man dem Film, wenn man ihn einem anderen Klassiker zur Überprüfung aussetzt: Robert Siodmaks The Stair Case. Denn adäquat zur wilhelminischen Übermöblierung, die der Herd des bürgerlichen Horrors war, ist die aggressiv-massive Tech-Art der neueren SF-Filme, die Brutstätte neurotischen Fehlverhaltens.

Walter Benjamin wies schlüssig auf diese topographische Verankerung hin, wenn er über den Kriminalroman schrieb:

Vom Möbelstil der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt die einzige zulängliche Darstellung und Analysis zugleich eine gewisse Art von Kriminalromanen, in derem dynamischem Zentrum der Schrecken der Wohnung steht. Die Anordnung der Möbel ist zugleich der Lageplan der tödlichen Fallen, und die Zimmerflucht schreibt dem Opfer die Fluchtbahn vor...

Das «bürgerliche Pandämonium» ist im SF-Film zu einem Pandämonium der Technik geworden. Wenn die Verpflichtung ernsthafter SF darin besteht, Prognosen über die Zukunft zu erstellen, so muss sie die menschliche Unzulänglichkeit einer zukünftigen Wissenschaft aussetzen, um in der Reibung beider Seins-Weisen strukturelle Zusammenhänge auszumachen, aus denen sich Probleme ergeben können, oder von Tendenzen, die sich verwirklichen können. Über einen psychisch oder physisch veränderten Menschen kann die SF höchstens dann seriös prognostizieren, wenn sie den Erzählcharakter hinter sich lässt und in die Bereiche der Philosophie, Soziologie, kurz der Theorie vorstösst.

Dem Film ist dies schon von seiner Natur her kaum möglich: er muss schliesslich mit Schauspielern arbeiten. Zwischen Film und Utopie besteht aber ein anderer, interessanter Zusammenhang, den die SF-Literatur wiederum nur mühsam erstellen kann: die Ästhetisierung der Technik, das Spiel mit topographischen und architektonischen Spekulationen. Genau aus diesem Grund lässt sich der SF-Film von anderen Gattungen viel schwerer abgrenzen als etwa die SF-Literatur vor der «Fantasy», denn im Film geht es letztlich nicht um Utopienfilme, sondern um utopische Bilder - und die stellen auch andere Gattungen her.

Es liegt in der Natur des Mediums, dass es nie geschaute Welten sichtbar machen kann: die Eisregionen, die tropischen Wälder, die Tiefen des Meeres, die Welt der Tiere. Durch Zeitbeschleunigung oder Zeitverkürzung, aus der Feme und aus der grösstmöglichen Nähe - eine solche Expedition ist nur dem Film vorbehalten. Und so wie er in der Erschauung dieser neuen Welten die Zeichentrickfilme Disneys beeinflussen konnte, so hat er auch die Phantasie der Spielfilme beflügelt.

Denn der Film ist sowohl intensivste als auch kompletteste Imaginierung einer unwirklich wirklichen Welt, ist die beste Maschine Air Phantasiereisen durch den Raum und die Zeit. Er ist, unmittelbarer als die alten Künste dies sind, eine Form der Magie. Im Film leben Magie und Mythen, Traumerfindungen und Spiele aus einer langen geschichtlichen Zeit, indem der Film zugleich etwas sehr anderes ist: Mittel für die Zwecke der Konsumwirtschaft und Interessenpolitik, Reklame, Geld und Ideologie. Das ist der doppelte Anfang des Films: aus den archaischen Unterregionen und aus dem bürgerlichen Industriezeitalter. Dieser Dualismus ist am heftigsten und vielsagendsten in den SF-Filmen wirksam, die doch zugleich ein Abschied von Utopien sind.

Die SF-Phantasie ist in ihrer äussersten Schicht eine Phantasie des stofflich Technischen. Aus diesem Grund sind bis heute die Menschen und Geschehnisse beliebig, und nur ein Zubehör bei der Vorführung möglichst vieler und erstaunlicher Kulissen, Versatzstücke und Tricks. Dieses Verlangen nach einer spielerischen Beziehung zur Technik ist am vollständigsten durch den Film zu erfüllen.

Es ist eine Sehnsucht nach Bildern, aber darüber hinaus auch ein Verlangen nach realer Überprüfung derartiger schöpferischer Möglichkeiten. Am Anfang waren SF-Bilder Ausblicke auf Wunschlandschaften mit all ihren komischen Aspekten - wie etwa in den Firmen von Georges Méliès. Da dominiert nicht die Geschichte, sondern einzig und allein das Spiel mit der Technik, mit überraschenden Theatereffekten und tricktechnischen Illusionen. In seinem Film Le voyage à travers l’impossible (1904) lässt er einen Zug mit rasender Geschwindigkeit über eine Bergkuppe fahren, um ihn dann abheben zu lassen in den Himmel.

Die Eisenbahn wird hier - nicht nur zum ironischen -Symbol des zivilisatorisch-kulturellen Olymp. Nicht umsonst war das rollende Flügelrad Synonym eines eisernen Engels. Die Tatsache, dass man «beschränkungslos» mit Hilfe der Dampfmaschine Raum und Zeit durcheilen und mit der Streckenführung der Eisenbahnen Natur «durchschneiden» konnte, sich ihr nicht mehr anpassen musste, stattdessen die natürlichen Bedingungen, Grenzen und Zwänge aufzuheben vermochte, bewirkte ein Gefühl unendlicher Kraft und Macht. Der «Mythos vom Dampf» rekurrierte auf den Mythos vom gefesselten Prometheus, vom bezwungenen Herkules.

Im Maler William Turner bekundete sich diese neue Weltsicht im Gemälde «Rain, steam and speed - The Great Western Railway»: die Kompaktheit der bisherigen Welt wird in Bewegung aufgelöst. Auflösung, Enthebung und Entfernung drücken sich da aus. Eine solche Auflösung findet auch in den Filmen von Méliès statt: der Kosmos wird zur zirzensischen Attraktion.

Erst die Deutschen zeigen die Kehrseite dieser olympischen Begeisterung: Absturz in den Abgrund der Hybris. Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau, Robert Wiene und Paul Wegener siedeln ihre Filme zwischen Alptraum und Wirklichkeit an. Dementsprechend sieht auch ihre Welt aus: düster verwinkelte Gassen, schräge Giebel, die bleierne Schatten werfen. Höhepunkt ist schliesslich Fritz Längs Metropolis, in dem die Stadt zum monumentalen Moloch wird und die Industrie zur gigantisch-expressionistischen Maschinerie. Zwischen himmelstürmenden Steinriesen züngeln sich stomlinienförmig angelegte Strassen in verschiedenen Etagen durch die Häuserschluchten.

Der Mensch, total verschattet, ist nurmehr als Masse in der schwarzen gotisierenden Steinwelt auszumachen. Die Stadt als titanische Architektur der Unterdrückung. Hier wird der Zeitgeist schlagender formuliert als in Döblins berühmtem Roman «Berlin Alexanderplatz». Die Urbanität ist zum Verliess zusammengeschweisst.

Während die Deutschen ihre phantastische Film-Architektur theatralisierten, das monumentale Mauerwerk von allen Schmuckelementen befreiten (es sei denn sie haben eine autoritativ-unterdrückende Funktion) und die Städte und Provinzlandschaften zu düsteren Kellergewölben stilisierten, blieben die Amerikaner optimistisch bis euphorisch.

Bedrohlich waren in den frühen amerikanischen SF-Werken lediglich die Menschen; meist prähistorische Monstren, Halbaffen, Schizophrene und der mad scientist. Die technischutopischen Elemente spielten da zunächst noch keine Rolle, im Gegenteil: die prometheische Technikgläubigkeit war ein so selbstverständlicher Bestandteil der amerikanischen Mentalität, dass man eine prognostische Auseinandersetzung mit Architekturmodellen gar nicht in Betracht zog. Dies geschah dagegen in einem völlig anderen Genre: dem Musical, wo man moderne Hotellobbies mit den Pools und schwungvollen, freischwebenden Treppen vorwegnahm. Der SF-Film war voll beansprucht von den biologischen Deformationen, eine Reaktion auf die rasch sich entwickelnde medizinische und biologische Forschung.

Erst in den dreissiger Jahren, mit dem Beginn des Tonfilms, begann die «Wissenschaft Amok zu laufen», wurde plötzlich die Urbanistik zum topographischen Austragungsfeld der SF-Abenteuer. Filme wie David Butlers Just Imagine (1930) und William Cameron Menzies’ Things to Come (1936) erprobten futuristische Stadtlandschaften, die nicht zufällig an gotische Kathedralen erinnerten. Der amerikanische Film nahm hier vorweg, was heute die amerikanische Hotelkultur längst in Realität umgesetzt hat: die kühnen Glas- und Metall-Verstrebungskonstruktionen mit höchstmöglicher Transparenz.

Hollywood wurde - wie im Bereich aller anderen Genres auch - bald zur Domäne der SF; und je ungehemmter die moderne Technik und Wissenschaft in die Öffentlichkeit getragen wurden, desto intensiver nutzte die Traumfabrik die Errungenschaften selbst. Es ist ja nicht neu, dass sich der Hollywood-Film schon immer als Bestandteil der maschinellen Kunstproduktion verstanden hat, da er mehr als Inhalte vor allem den technischen Fortschritt der Kinematographie betonte. Hier ist er durchaus vergleichbar mit der Raumfahrt. Ein klassisches Beispiel war der 1950 entstandene Destination Moon, der mit fast dokumentarischer Genauigkeit technische und wissenschaftliche Vorgänge schildert.

Diese Filme, die sogenannten space operas, waren mit ausschlaggebend, die Menschen mit der Technik zu versöhnen. Man erkannte die enorme ästhetische Qualität aller technischen Apparaturen, mehr noch: sie inspirierte die Innenarchitekten zur Schaffung neuer Mode-Designes. Im spielerischen Umgang mit der Technik erkannte man die unzweideutige Faszination der von allen Schnörkeln befreiten Gebrauchsgegenstände. Am vollkommensten gelang dies Stanley Kubrick mit seiner berühmten, 1968 entstandenen Space Odyssey. Kubrick hatte erkannt, dass ein tatsächlich moderner SF-Film aufhören müsste, eine Story zu erzählen dafür neue Dimensionen produzieren.

Bis zu einem gewissen Grad ist dies bereits zwei Jahre vorher Richard Fleischer mit seiner Fantastic Voyage geglückt. Ein Wissenschaftler-Team wird, weil ein Kranker unbedingt gerettet werden muss, so extrem verkleinert, dass es mit einem U-Boot in die Blutbahn des Kranken geschossen werden kann. Interessant und faszinierend an diesem Film ist nicht die Story (Kranker muss gerettet werden und im U-Boot befindet sich ein Bösewicht, der die Rettungsaktion zu verhindern sucht), sondern der Einsatz des Hintergrundes: fotografisch vergrösserte Blutbahnen, eine Lunge, die aussieht wie ein riesiges, zerklüftetes Gebirge, blutrünstige Anti-Körper und ein Pulsschlag, der die Kraft eines ausbrechenden Vulkans hat. Der Mensch als Forschungsobjekt, der Mensch auch als unberechenbarer, mörderischer Gefahrenherd. Fleischer zeigt, dass man keine phantastischen Welten erfinden muss, um Phantastisches mit dokumentarischer Genauigkeit auf die Leinwand zu bringen.

Kubrick dagegen setzt zum ersten Mal die technische Forschung einer ästhetischen Überprüfung aus. Die Geschichte, die er dabei erzählt, ist völlig uninteressant. Ihm sei es nur um eine «nicht-verbale Erfahrung» gegangen. Die Tatsache, dass er die barock gestaltete Raumstation im dunklen All mit einem Strauss-Walzer unterlegt, ist Beweis genug. Nicht um eine religiöse Auseinandersetzung geht es ihm (wie vielleicht die Story vermuten lässt), sondern um den Konflikt des Menschen mit einer Technik, die nicht nur perfekter, sondern auch immer schöner, verführerischer und erotischer wird. Soll der Mensch die Allianz mit der Maschine aufkündigen oder sich selbst mit ihr in eine neue Dimension heben? Nicht nur mit dem kontrapunktischen Einsatz der Musik versucht er den Zuschauer mit dieser Frage zu konfrontieren, sondern auch mit den kühnen Architekturmodellen.

Ähnlich wie um die Jahrhundertwende das Glas phantasmagorisches Baumaterial war, sind es bei Kubrick die Kunststoffmaterialien, die eine helle, lichtdurchflutete Atmosphäre schaffen. Angesichts der Unmengen von elektronischen Apparaten, Computern und Turbinen soll die kristallene Verwendung des gedämpften Lichts und des Kunststoffs die Schwere des Raumschiffs (und damit die ungeheure Last der Technik schlechthin) umwandeln ins Grazile, aufheben in der Schwerelosigkeit.

Was Kubrick mit seiner Umwandlung der funktionalen Architektur in ideelle Raumvorstellungen erprobte, hat sich längst in unserer Gebrauchsästhetik niedergeschlagen. Die Technik ist zum Spielzeug geworden, zum Partner des Menschen. George Lucas demonstriert dies ebenso in seinem Star Wars wie Steven Spielberg in seinem Close Encounter of the Third Kind: die Technik erweist sich als harmlos. In Star Wars tritt sie in den verschiedensten Formen der Vermenschlichung auf, Raumfähren sind zu handhaben wie VW Golfs und die Planeten sind schnell erreichbare Abenteuerspielplätze. In Close Encounter... offenbart sie sich als gigantomanischer Wurlitzer-Spielautomat, der fiepsend und piepsend die Menschen zum fröhlichen Benutzen einlädt. Ist die Technik damit entdämonisiert und beherrschbar geworden?

Bei all den neuem SF-Filmen fällt jedoch auf, dass die oft völlig unfunktionalen Architekturen einen extrem romantischen Zug haben, der das Unbehagen an der Technik nicht im Spielerischen auflöst, sondern lediglich zu bannen versucht. So wie das babelhafte Mutterschiff aus Spielbergs Close Encounter... barockhafte, omamentale Schaueffekte hat, die bis zur Sinnverwirrung einen möglichen Funktionalismus gleich ad absurdum führen, gebärden sich auch die Filmarchitekten anderer, neuer SF-Filme. Es herrschen die theatralischen Raumphantasien aus Stahl, Eisen und elektronischem Geflirre.

Mit Filmen wie Alien kippt der kindliche Optimismus wieder endgültig in den Horror um. In ein Raumschiff, das irgendwo im All unterwegs ist, hat sich ein schreckliches Wesen eingeschlichen, das die Besatzung auf grausamste Weise dezimiert. Schon das Schiff alleine wirkt wie ein archaisches Eisen-Konvolut, dem jede Schönheit ausgetrieben ist. Die technische Bizarrerie wird überbetont, die harmoniefeindliche Willkür ist Prinzip. Doch was sich da als schwarze Romantik gebärdet, ist Manierismus bis zum Kitsch. Die Planetenlandschaft, das gestrandete fremde Raumschiff und das Schiff der Besatzung - alles hat Höhlencharakter mit unterirdischem Halbdunkel, aus dem mächtige Eisensäulen mit abgefallenem Putz und abgebrochenen Stahlnischen wie riesige verfaulte Zähne ragen.

In Alien und anderen Horror-SF-Filmen dient die Architektur nur der Untermalung des Schreckens und weist nur in Ansätzen auf die tatsächlichen Gefahren der Technik hin. Ausserhalb des Traums sind die Konstruktionen kaum begründbar. Hier wird - selbst bis zu Comic-Filmen wie Flash Gordon - der Alptraum einer Welt aus lauter Gefängnissen beschworen, die immerhin bis zu dem Moment beeindrucken, ehe die Bösewichter auftreten und das Interesse des Zuschauers auf sich lenken.

Nur einem Film ist es auf verblüffende Weise gelungen, das Unbehagen über unsere vertechnisierte und vercomputerisierte Welt architektonisch sinnvoll umzusetzen: dem Peter-Hyams-Film Outland. Dafür spricht bereits die Exposition, die den High Noon-Plot noch nicht ahnen lässt. Gewaltig und mächtig ist die Raumstation, weit über tausend Menschen leben hier. Die einen als Bergarbeiter, die anderen in der Verwaltung, dem Gesundheitswesen, der Polizei. So gigantomanisch jedoch die Station von aussen wirkt mit ihren schwindelerregend ins Endlose schiessenden geriffelten Seitenflächen, Kuppelbauten und Röhren, im Innern, dort, wo die Menschen leben, herrscht erdrückende Engnis, ein Stahl-verstrebungs-Wirrwarr.

Die Eisenrippen, die das ganze Gebilde zusammenhalten, sind eng gestaffelt, die unzähligen Türen meterdick und gewölbt, die Gänge rund, die Schlafkammern wie Baukästen. Und überall gebündelte Rohrstützen, Bögen, Verspannungen; ausser Eisen und Stahl gibt es keine Materialien. Hyams bringt diese erdabgewandte Seite zukünftigen Lebens so physisch ins Bild, dass man glaubt, das Eisen fassen, den kalten Stahl riechen zu können. Ein undurchschaubares Labyrinth, das aber nie bloss phantastisch ist.

Die Nüchternheit und der lapidare Umgang mit dieser Topographie (elektronische Aufzeichnungsgeräte überwachen den reibungslosen Ablauf) geben dem Film ein beklemmendes Gefühl von Realität. Arbeitswelt in einem Raumschiff - das wurde noch nie in einem SF-Film so präzis angedeutet wie hier. Konsequent betont Hyams den klaustrophobischen Charakter der funktionalen Architektur, die in atemberaubenden Kamerafahrten durchstreift wird.

Mit einer geschickt dosierten Prise von liberalem Pessimismus beschreibt er diese nicht so ferne Zukunft als fatale Fortsetzung bekannter Vergangenheit und Gegenwart: kapitalistische Ausbeutung auch im Weltraum. Die Technik ist hier endgültig entdämonisiert; sie hat ihre sowohl romantische wie auch utopische Komponente abgestreift und präsentiert sich in ihrem profanen Horror.

Die Raumschiffe selbst freilich verweisen nach wie vor eher aufs Gegenteil: sie erinnern mit ihrem Anachronismus der Rippen und Klippen, Ziergiebel, zerklüftet wirkenden Bögen, gemütlich anthropomorphen Elementen wie Säulen und Kapitellen, Fussplatten und bossenverzierter Basis eher an alte Schloss-Fassaden denn an moderne Flugmaschinen. Sie sind die Manifestation der unausrottbaren menschlichen Sehnsucht nach Eingeschlossensein; sie sind Inkarnationen des «Nautilus»-Syndroms: Das Schiff (wie auch die Eisenbahn) ist Symbol des Aufbruchs, aber auf noch tiefere Weise Chiffre der Einschliessung. Die Verne’sche «Nautilus» ist die ideale Höhle, und das Geniessen der Abgeschlossenheit erreicht dann seinen Paroxysmus, wenn es möglich ist, aus dem nahtlosen Innern das unbestimmte Aussen zu sehen.

Die Befehlszentralen der Raumschiffe und Flugkörper sind denn auch immer wieder nicht nur der häufigste, sondern auch faszinierendste Schauplatz. Wenn die Computer rasseln, die Monitoren flimmern und die Lämpchen aufleuchten, wenn also die Kommunikation auf Kodes verkürzt wird, dann verwandelt sich die Technik in ein grosses Environment. Wir bewohnen nicht mehr nur Hauswelten, sondern längst auch Zeichenwelten.

Das ästhetische Prinzip der SF-Filme ist die ständige Geste der Einschliessung. Die Faszination geht von dem gemeinsamen Glück des Eingegrenzten aus (in Star Wars hängen zwei Sonnen am Himmel, in Close Encounter... sehen die Nächte aus wie in Las Vegas, in Flash Gordon ist der Himmel ein knallroter Prospekt und in Superman eine Wolkenkratzer-Penthaus-Terrasse).

Sich einrichten und einschliessen - das ist nicht nur der existentielle Traum der Kindheit. Sobald der Mensch technische Macht über die Materie gewinnt, begibt er sich aus dem Reich der Natur in das der Geschichte, und das Ende der Geschichte, jene letztendliche Unabhängigkeit von der Natur, ist Freiheit - aber die gilt es zu schützen, um sie zu erhalten.

Wolfram Knorr
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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