WOLF DONNER

NEUE MEDIEN - NEUE MÄRKTE — VIDEO UND KABEL, PAY-TV UND SATELLIT VERÄNDERN HOLLYWOOD

ESSAY

Schauspieler und Autoren streiken in Hollywood. Die Firma United Artists wird zu einem Schleuderpreis an M-G-M verkauft. Das Unternehmen des Magazins «Time» ist mächtiger und einflussreicher im US-Filmwesen als die major companies. Manche Stars bekommen fünf Millionen Dollar Gage für eine Rolle. Eine Filmpremiere im Weltraum, per Satellit an über sechs Millionen amerikanische Pay-TV-Abonnenten ausgestrahlt, würde mehr einbringen als die langjährige internationale Kinoauswertung des gleichen Films. Michael Ciminos Heaven’s Gate hat laut United Artists «inklusive Revisionen» runde 50 Millionen Dollar gekostet. Das Kino stirbt aus. Alle reden von der Video-Revolution, einige von Kabel und Satellit, ganz wenige von der Bildplatte: die Schwerverdiener von morgen? Die Medienrevolution ist ein Massenbetrug. Und so weiter.

Was ist los in Hollywood? Die Meldungen aus der Filmmetropole werden immer verwirrender, immer grundsätzlicher, und die Filme immer schlechter. Die Besitzverhältnisse der grossen Firmen und deren Führungsmanagement verändern sich so rapide, dass selbst alte Hasen nicht mehr durchblicken. Auf Jubelbilanzen folgen Bankrotte, auf lauter neue top grossing pictures historische Flops, auf utopische Hallelujahs erschütterte Grabgesänge.

Die New York Times vergleicht die neue Situation des US-Kinos mit der Erfindung des Tonfilms 1927: «Die Filmindustrie steht am Beginn der zweiten grossen technologischen Revolution in ihrer neunzigjährigen Geschichte, und dieser Vorgang wird die Kunst des Filmemachens zutiefst verändern, aber ebenso die Gewohnheiten der Kinobesucher.» Pessimistisch sekundiert der Autor und Regisseur Paul Schrader: «Wir unterstützen eine sterbende Branche, und die Veränderung ist erschreckend. Die movies sterben aus.»

Was ist los in Hollywood? Was bedeuten die neuen Medien, die neuen Märkte, die neuen Techniken? Was hat sich so grundsätzlich im amerikanischen Film verändert? Wofür streiken die Schauspieler, die Autoren und im Juli vielleicht bereits die amerikanischen Regisseure?

Top money makers und Eops

Verändert haben sich zunächst einmal die Kosten. In den sechziger Jahren konnte man mit einem Etat von 20 Millionen Dollar zehn gute Filme produzieren. Heute kostet eine Durchschnittsproduktion in Hollywood 10 Millionen Dollar und die Werbung dafür in Presse und Fernsehen noch einmal 6 Millionen. Die zwei letzten Oscar-Hauptgewinner (die, wären sie europäische Produktionen, von der hiesigen Kritik prompt als «typische kleine Fernsehfilmchen» abgetan worden wären) lagen darunter: Kramer gegen Kramer war 6,6 Millionen, Ordinary People 6,3 Millionen teuer.

Verursacht hat die Kostenexplosion neben der allgemeinen Inflation vor allem das immer jüngere Publikum. 76 Prozent der Kinobesucher in Kanada und den USA sind zwischen 12 und 19 Jahren alt - Kino in Nordamerika ist mehr denn je ein dating phenomenon.

Dieses neue junge Publikum hat dem US-Film in den siebziger Jahren die fetteste Dekade seit den legendären Vierzigern beschert, hat im Jahr 1980 den Löwenanteil der einen Billion verkaufter Kinotickets allein in den USA erworben, hat in den letzten vier bis fünf Jahren jene Hits für Kids verursacht, die heute an der Spitze der top money makers in der Filmgeschichte rangieren. 1975 brachte Jaws dem Verleih 133,4 Millionen Dollar ein, die drei Superproduktionen 1977 heissen Star Wars (175,7 Millionen), Close Encounters of the Third Kind (82,7 Millionen) und Saturday Night Fever (74 Millionen), die von 1978 Grease (96,3 Millionen) und Superman (82,5 Millionen) und The Empire Strikes Back brachte 1980 ein Verleih-Einspiel von 120 Millionen Dollar. (In Europa bekommen solche Auflistungen etwas Lächerliches, Unwürdiges, in Amerika stehen sie in jeder Zeitung; unsere Scheu davor und die Selbstverständlichkeit unserer amerikanischen Kollegen, damit umzugehen, sagt mehr als lange ästhetische Abhandlungen über das extrem unterschiedliche Selbstverständnis des europäischen und des amerikanischen Kinos.)

Den hohen Gewinnen entsprechen oft auch extreme Einsätze von einem bisher nicht üblichen, manchmal selbstmörderischen Ausmass. Die zwei Travolta-Filme erbrachten phantastische Gewinne, weil sie extrem billig waren, nämlich 3,7 (Saturday Night Fever) bzw. 6,2 Millionen Dollar (Grease); dagegen bedeutet der Superman-Erfolg wenig angesichts der Produktionskosten von 35 Millionen Dollar.

Schlimmer noch, die astronomischen Umsätze verführen Regisseure und Produzenten zu waghalsigen, immer verrückteren Spekulationen, und so rotieren inzwischen neben den top grossings die Listen derjenigen Grossproduktionen der letzten zwei Jahre, die kaum noch ihren Produktionsetat einspielten, oft auch weit weniger (die erste Zahl benennt die Produktionskosten, die zweite das Verleiheinspiel in Millionen Dollar): Star Trek (42 - 56), Apocalypse Now (31 - 30), Moonraker (30 - 33,9), 1941 (27 - 23,4), Raise the Titanic (36 - 6,8), The Blues Brothers (30 - 31,3), Flash Gordon (25 - 10).

Den traurigen Rekord dieser Negativstatistik wird wohl Ciminos Heaven’s Gate brechen, der auch beim zweiten Start in der gekürzten Fassung von Presse und Publikum abgelehnt wurde. Viele befürchten, dass Ciminos Leidensgefährte der Schauspieler Warren Beatty werden könnte, der schon über zwei Jahre Arbeit und mehr als 30 Millionen Dollar in «Reds» investiert hat, das Porträt des berühmten Autors und Revolutionärs John Reed, und der noch Monate für die Endfertigung braucht.

Nachdem 19 US-Bundesstaaten den major companies die Blindvermietung von Filmen und Filmpaketen an die grossen Kinoketten untersagt haben, bleiben die Studios, wie im Fall von Heaven’s Gate, hoffnungslos auf ihren Pleiten sitzen und können nur mit der ihnen eigenen Rigorosität versuchen, wie im Fall von Heaven’s Gate, einen Teil ihrer Verluste auf dem Weltmarkt wieder zu erwirtschaften.

Aber auch auf dem amerikanischen Binnenmarkt werden angesichts solch schwindelerregender Gewinn- und Verlustraten die Sitten immer brutaler und die Ängste schizophren. Ein Misserfolg im Kino bei Produkten mit achtstelligen Investitionen ist tödlich, lässt Studioköpfe rollen und ganze Firmen in den Kollaps schlingern - wie im Fall von Heaven’s Gate.

In den siebziger Jahren waren die vielgerühmten New-Hollywood-Regisseure die Garanten eines nicht nur ökonomisch konsolidierten, sondern weltweit akzeptierten innovativen Kinos. Heute gelten sie gar nichts mehr im Grossmanagement zwischen New York und Los Angeles, heute wird die Autorentheorie verdammt und werden selbst durch Erfolg abgesicherte Namen wie Coppola, Scorsese oder Spielberg mit Skepsis ge- und behandelt.

Und es ist üblich geworden, Regisseure einfach auszutauschen, wenn die Produzenten nach ersten Mustervorführungen mit ihrer Arbeit nicht einverstanden sind. Bei Flash Gordon wurde Nicholas Roeg durch Mike Hodges ersetzt, bei dem Horrorfilm Altered States Arthur Penn durch Ken Russell, bei dem Remake The Jazz Singer (mit Neil Diamond) Sidney F. Furie durch Richard Fleischer, bei Death Hunt mit Charles Bronson und Lee Marvin der alte Kämpfer Robert Aldrich durch John Hunt und bei Superman II Richard Donner durch Richard Lester.

Aus anderen Produktionen wurden in den letzten Monaten Regisseure wie John Frankenheimer, Stanley Donen, Peter Hymes und Richard Quine gefeuert. Nur am schnellen Geld interessiert, setzen die Produzenten lieber auf die alten bancable stars als auf Regisseure - und fallen inzwischen auch damit herein. 4,6 Millionen Dollar Gage bekam Barbara Streisand für Annauds All Night Long (mit Gene Hackman), ein unbeholfenes Aussteigerfilmehen, das in Europa insgesamt höchstens eine Million gekostet hätte; der Film wurde ein Reinfall.

Einer unter vielen. Wer in dieser Frühjahrssession ein paar Wochen lang das amerikanische Durchschnittsangebot im Kino durchlitten oder gar den ersten American Film Market (AFM) in Los Angeles besucht hat, konnte sich von einer ziemlich grundsätzlichen und sicher nicht nur kurzfristigen künstlerischen Krise des Hollywoodfilms überzeugen.

Der AFM, eine Art Anti-Cannes-Initiative von rund vierzig unabhängigen Produzenten, präsentierte vom 21. bis 31. März 145 neue Filme, und der einzig ernsthafte in der Masse der Horror- und Blödelstreifen, über den die angereisten Käufer aus Asien, Lateinamerika und Europa sprachen, scheint John Carpenters Escape from New York gewesen zu sein. Sancta simplicitas. Die Alternative, fünf Cannes-Beiträge der grossen Studios, fiel nicht viel besser aus. Aber 1982 wollen Lorimar, Filmways, AVCO Embassy und die kleineren Unabhängigen den AFM mit doppelt so vielen Filmen beschicken. Das Gebaren des US-Films wird immer klotziger, der output immer mickriger.

Und das in (vielleicht auch: wegen?) einer radikal veränderten Situation, in der neue Medien und neue Märkte utopische Aspekte eröffnen, in der die Ware und das Kulturprodukt Film eine neue, noch kaum definierbare Qualität annimmt, in der sich die Struktur der amerikanischen Filmszene völlig verändert.

Der «natürliche» Kreislauf

Bisher produzierten die major companies und einige der rund 500 unabhängigen Produzenten nicht nur etwa 240 Kinofilme pro Jahr, sondern daneben sämtliche amerikanische TV-Serien, unzählige Fernsehfilme (im Ausland oft als Kinofilme vertrieben) und gut 50 Prozent der amerikanischen Fernseh-Unterhaltung. Die drei grossen Fernseh-Networks CBS, NBC und ABC stellten selber nur Nachrichten, Sport- und Informationssendungen her und zahlten für ihr Abendprogramm etwa 35 Millionen Dollar pro Woche an Auftragsproduzenten - 50 Prozent davon allein an die major companies.

Die Networks versorgten ihrerseits etwa 700 kleine TV-Lokalstationen (die in den USA jeder Privatmann begründen oder kaufen kann, die aber meist den grossen Konzernen gehören) mit 85 Prozent ihres Nachrichten- und Unterhaltungsbedarfs. D.h. für die Hollywood majors und die drei kommerziellen Networks war bis zur Mitte der siebziger Jahre die Welt in Ordnung, und gerade der Spielfilm gedieh prächtig in dem «natürlichen» Kreislauf von Produktion, Kinoauswertung, Verkauf an die Networks nach dem Kinoabspiel, Weitergabe an die kleinen Stationen nach der überregionalen Ausstrahlung.

Mit dem Kabel wurde alles anders

15 Millionen US-Haushalte empfangen ihr Fernsehprogramm nicht über Antennen, sondern über Kabel, und jährlich kommen über 20 Prozent dazu. Kabel in den USA bedeutet aber immer ausschliesslicher: Pay-TV. Die Reformimpulse und die Euphorie über neue technische Kommunikationsformen sind dem harten Geschäft und einem erbarmungslosen Konkurrenzkampf gewichen, und wie immer laufen die Fäden bei wenigen grossen Konzernen zusammen.

6,5 Millionen Abonnenten zählte das Pay-TV-System im Jahre 1980, der monatliche Gesamterlös für die Betreiber der Stationen lag bei 45 Millionen Dollar, die Gewinnsteigerung für 1981 wird auf 85 Prozent geschätzt - ein neuer Supermarkt für die Medienkonzerne und eine Goldmine für die Filmindustrie. Denn für seine monatlichen Gebühren bis zu 35 Dollar bekommt der Kabel-Abonnent vor allem Spielfilme zu sehen, manchmal gleich zehn an einem Tag, viele darunter neuen Datums und alle, ein Novum für amerikanische Fernsehzuschauer, ungekürzt, nicht vom Zensor um anrüchige Sex- und Crime-Szenen beschnitten, nicht alle fünf oder zehn Minuten durch Werbeblocks unterbrochen.

Längst ist für die alten major companies (Columbia, Twentieth Century Fox, Paramount, MGM/United Artists, Universal, Warner) der Verkauf ihrer Filme an die Pay-TV-Stationen rentabler geworden als an die Networks (die zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Zuschauerschwund verzeichnen): Schon jetzt etwa zwei Millionen Dollar pro Film bei einem dermassen expandierenden Markt, das lässt die Studios auch die düsteren Prognosen verschmerzen, der nordamerikanische Kinopark werde in wenigen Jahren um 50 Prozent zusammengeschmolzen sein, und Filmpremieren über Satellit auf Millionen abonnierter Grossbildschirme werde den traditionellen Film endgültig zerstören. Nur drei Studios (Paramount, Universal und Disney) erklärten sich überhaupt bereit, den Theaterleitern bekanntzugeben, wann ihre Filme im Pay-TV laufen, um so wenigstens eine Kollision mit Wiederaufführungen der gleichen Filme in den Kinos zu vermeiden.

Hollywood hängt sein Mäntelchen nach dem Wind. Man sagt nun «Software» statt «Movie», man spricht von «Optimal sequential release Windows» statt von der Kinoauswertung, und Jack Valenti, Präsident der MPA A (Motion Picture Association of America) und Chef-Lobbyist der Branche, findet den Ausdruck «Pay-TV» vulgär und wirbt für die Umschreibung «Family choice cable»; so soll wenigstens terminologisch ein Hauch jener Aufbruchstimmung in die soziale Medien-Evolution, die vor Jahren noch die Diskussion in den USA beseelte, in das gegenwärtige Feilschen um Lizenzen, Gebiete, Systeme und neue Grossprojekte hinübergerettet werden.

Bis 1985 wird sich die Zahl der amerikanischen Pay-TV-Abonnenten verdoppelt haben und wird sich auch der soft-ware-Bedarf entsprechend steigern. Längst kalkuliert die Filmindustrie bei neuen Projekten den lukrativen Fernseherlös mit ein, und in der immer populäreren Kombination von Film und Serie deckt der Vorverkauf nicht selten schon den gesamten Produktionsaufwand.

Andererseits eröffnet der unübersehbare neue Markt den majors die Möglichkeit, ihre riesigen Archive auszuwerten und deren Bestände erneut anzubieten - in Konkurrenz mit ihren alten Partnern, den Networks, die als erste auf diese Weise am kommerziellen Kabelfernsehen mitverdienten. (Vor diesem Hintergrund erscheint der Verkauf der United Artists an M-G-M für angeblich 380 Millionen Dollar besonders rätselhaft, denn allein das United-Artists-Archiv mit seinen wertvollen Kopien seit der Stummfilmzeit wird auf 400 bis 500 Millionen Dollar veranschlagt.)

Zauberwort Satellit

Inzwischen ist das Zauberwort Satellit zu einem weiteren, die Entwicklung vorantreibenden kommerziellen Faktor geworden. Nicht nur grosse Banken und Firmen, Verlage, Fernunterrichtssysteme oder die Post in den USA bedienen sich kleiner Bodensatelliten (und der dazugehörigen, inzwischen stark vereinfachten Parabolantennen), sondern auch die Belieferung der meisten Kabel-TV-Abonnenten, vorzugsweise die Ausstrahlung von Spielfilmen, erfolgt über Satellit. Im Augenblick gründen die grossen Verlage und Konzerne ständig neue Gesellschaften und erwerben entsprechende Lizenzen, um per Satellit die Kabelstationen mit Programmen zu versorgen; seit Kabel und Satellit technisch kombinierbar sind, ist die amerikanische Medienszene erneut in Bewegung gekommen.

Für die Betreiber der lokalen TV-Stationen bedeutet das einen doppelten Anreiz, von der einwandfreien Qualität des Bildes aus dem Äther einmal abgesehen: Zum einen können sie über Satellit ihre Werbung auch überregional verbreiten, andererseits können sie den ständigen Satelliten-Spezialservice vieler Programm-Anbieter in Anspruch nehmen; die bekanntesten sind «Showtime Plus», Warners «Star Chanel» und «Fanfare», die Kinderwellen «Nickeldeon» und «Calliope», mehrere religiöse Dienste, ein internationales spanisches Programm (für das wachsende Heer der US-Fatinos) und die tägliche Five-Sendung von C-SPAN aus dem Repräsentantenhaus in Washington.

Zu den wichtigsten Unternehmern in dem neuen Medienverbundsystem gehören die grossen Zeitungsverlage. Die New York Times z.B. besitzt eine Anzahl von Rundfunkanstalten und erwarb kürzlich für rund 100 Millionen Dollar zwei Kabelfernsehgesellschaften in New Jersey, die jetzt 42000 Haushalte versorgen, aber auf 225000 ausbaufähig sind.

Die Gesellschaft «Time Inc.» in New York ist der grösste amerikanische Programmlieferant ans Kabelfernsehen überhaupt und als Filmeinkäufer mächtiger als die drei alten Networks. «Time» betreibt Sender mit eigenem Satellit, besitzt und vermietet Kabelsysteme, produziert Filme und Unterhaltungssendungen. Das Filmprogramm der Time-Tochterfirmen «American Television and Communications Corp.» und «Home Box Office» beziehen (für einen monatlichen Aufpreis!) gut vier der 6,5 Millionen amerikanischen Kabelfernseh-Abonnenten. Kein Wunder, dass «Time» inzwischen die Preise diktieren und sich einen Dauerkrieg mit den grossen Hollywoodfirmen leisten kann.

Und kein Wunder, dass Fachkorrespondenzen wie die in Frankfurt erscheinenden «Media Perspektiven» das, was in Europa noch immer als «Kommunikationsrevolution» gefeiert wird, nur mehr als Machtzuwachs immer derselben Grosskonzerne sehen können: «Das Ergebnis ist nicht die grössere Auswahl, sondern mehr vom selben aus hochgradig zentralisierten Quellen.»

Video und Bildplatte

Das gut genauso für den Heimvideo-Markt, der sich in Amerika, verglichen mit Europa und Japan, zurzeit noch bescheiden ausnimmt: etwa zwei Millionen private Videorecorder, 16 000 kommen monatlich dazu. Um den Video-Piraten zuvorzukommen, werden die grossen Verleihe künftig parallel zur Kinopremiere Platte und Kassette des Soundtracks sowie die Videokassette des Films anbieten, gleich zum Starttermin; man erreiche damit, beschwichtigen sie die Theaterbesitzer, ohnehin ein Publikum, das kaum ins Kino gehe.

Viel einschneidender hat die Videotechnik aber die Filmproduktion selber verändert. Die neuen Phantasy- und Science-Fiction-Kinoopern von Close Encounter bis zu Excalibur sind ohne die Kombination von Video- und Filmkamera gar nicht denkbar. Francis Coppola, der seinen Schulden zum Trotz weiter an seinem Denkmal des zeitgenössischen Hollywood-Moguls werkelt, und George Lucas, der etwa 100 Millionen Dollar verdiente und wohl bis an sein Lebensende den auf neun Teile programmierten Krieg der Sterne leiten wird, haben sich in Kalifornien zwei hypermoderne Studios eingerichtet, wo man mit Videokameras probt und noch während der Produktion das abgedrehte Material im Videoverfahren nach Computer-Storyboards schneiden kann, wo ein kleines Team irgendwo in der Welt den Background filmt und in einer Studioecke die Schauspieler und Dialoge synthetisch hinzugefügt werden. Im Juni 81 startete Lucas’ 20-Millionen-Abenteuer Raiders of the Lost Ark (Regie: Lucas und Spielberg) in Amerika.

Seit März 1981 vertreibt RCA (Radio Corporation of America), der grösste Medienkonzern der Welt, die ersten Bildplatten in Amerika, gepuscht durch eine Beteiligung in Höhe vieler Millionen Dollar von dem deutschen Medienzaren Leo Kirch; bis Jahresende sollen zwei Millionen Stück (Preis: etwa 50 Mark) verkauft sein. Viele prophezeien dieser technischen Neuerung - nicht den komplizierten Videosystemen - die grosse Zukunft. Aber ob Platte oder Kassette, bis 1985 rechnet sich Hollywood ein Leid von gut zehn Millionen privaten Abspielgeräten in Amerika aus, und wenn jeder Besitzer solch eines Geräts nur zwei konservierte Filme pro Jahr dazukauft, bedeutet das einen zusätzlichen Umsatz von 500 Millionen Dollar. Konkurrent der Verleihe in diesem Bereich sind wieder die Networks, die emsig ihre Archivbestände auf Bildplatten und Videokassetten überspielen.

Der grössere Kuchen, und wer ihn isst

Vor dem Hintergrund dieser akuten Entwicklungen werden die Streiks in Hollywood verständlicher. Pay-TV und Satellit, Kassette und Platte haben den Film zu einer äusserst rentablen Ware gemacht, und das kreative Potential in Hollywood sieht nicht ein, warum nur die Produzenten und Konzerne daran verdienen sollen. Etwa 20000 Schauspieler leben in Los Angeles, aber nur 13 Prozent von ihnen verdienen genug in ihrem Beruf, um davon leben zu können.

13 Wochen lang kämpfte im vergangenen Herbst die Schauspieler-Gewerkschaft (gefolgt von derjenigen der Komponisten und Musiker) für höhere Gagen und eine angemessene Beteiligung an den vielfachen Weiterverkäufen ihrer Produkte. Kaum hatten sie sich mit den Studios geeinigt, traten die 8500 Skriptautoren der «Writer’s Guild of America» (WGA) in Streik, mit ähnlichen Forderungen. Und seit dem 30. Juni, als die bisherigen Absprachen mit den Produzenten ausliefen, droht sogar die Gewerkschaft der 3000 Regisseure mit der Arbeitsniederlegung (einer wie Lucas hat sich abgesichert, er ist inzwischen selber Produzent). Nur an der Front der Filmtechniker (22000 Mitglieder) herrscht noch Ruhe.

Der Verlauf der Auseinandersetzungen mit der WGA ist charakteristisch für das derzeitige Gerangel aller Beteiligten um möglichst grosse Stücke von dem neuen Medienkuchen. Die Autoren bekamen zwar 35 Prozent mehr Honorar (d.h. etwa 52 000 Dollar pro Filmdrehbuch) zugestanden, nicht aber die garantierte Beteiligung beim Verkauf ihrer Filme ans Fernsehen. Die Produzenten boten ihnen 1,5 Prozent vom Verkaufspreis eines Films ans Pay-TV ab zehntem Spieltag an - da die Pay-TV-Stationen Filme aber in der Regel nur eine Woche lang ausstrahlen, würden die Autoren in den meisten Fällen leer ausgehen. Deshalb streiken sie.

Da die Skripts ganzer Fernsehserien und unzähliger Filmprojekte auf Vorrat liegen, geben sich die Produzenten noch gelassen. Ein Streik der Regisseure könnte aber den neuen Austausch zwischen Film und neuen Medien tatsächlich eine Zeitlang lähmen und den Studios empfindliche Verluste beibringen. Schon der Schauspielerstreik vom Herbst 1980 führt in diesem Sommer zu ungewöhnlich vielen Wiederholungen im US-Fernsehen und zu einer spürbar dünneren Kinosaison, denn zunächst mussten die TV-Serien, Hauptaktivität und -umsatzfaktor der major companies, aufgearbeitet werden. Längere Streiks würden auf Jahre den Strom amerikanischer Filme spärlicher fliessen lassen - ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da die Explosion der neuen Medien und Märkte immer mehr Software verlangt.

Europäische Firmen sollten daraus aber nicht den Trugschluss ziehen, sie hätten neue Chancen auf dem amerikanischen Mediensektor. Denn in einem sind sich selbst die erbitterten Gegner und Konkurrenten in Amerika einig: dass sie die wachsenden Pfründe und die steigenden Umsätze ihres Binnenmarktes mit keinem Anbieter von aussen zu teilen gedenken. Europäische Produktionen werden auch in Zukunft nur als Alibi und kulturelle Verzierung im amerikanischen Film-, Kino- und Fernsehwesen geduldet.

Mehr noch, die grossen US-Konzerne klopfen längst ihrerseits auswärtige Territorien nach weiteren Absatzmöglichkeiten ab und haben bereits konkrete Strategien und Projekte auf dem Kabel- und Satellitensektor für Lateinamerika, auf dem Videomarkt für Europa. Noch einmal «Media Perspektiven»:

Wenn ausländische Produzenten glauben, Pay-TV und Heimvideo oder auch Satellitenfernsehen würde ihnen in ihren Ländern einen neuen bedeutenden Markt für ihre Programme und Filme bieten, dann haben sie weder aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt, noch interpretieren sie die Trends richtig. Der Bereich der Software ist schon jetzt von den amerikanischen Gesellschaften monopolisiert... Die amerikanischen Firmen scheinen mit Überzeugung und missionarischen Eifer entschlossen, die Fernsehmärkte in den USA und im Ausland zu beherrschen.

Und die internationalen Filmmärkte, könnte man hinzufügen, haben sie ohnehin fest in der Hand. Dies den Hollywood-trunkenen europäischen Filmkritikern ebenso ins Stammbuch wie den vielen europäischen, vor allem deutschen Produzenten und Firmen, die immer wieder mit blinder Vasallentreue und illusionistischen Gewinn-Spekulationen ihre Millionen nach Hollywood tragen.

Wolf Donner
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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