THERES SCHERER

ABSPIELMÖGLICHKEITEN SCHAFFEN — ÄUSSERUNGEN AUF TONBAND

CH-FENSTER

Ohne den Schweizer Film würde es das Kellerkino wohl nicht geben. Denn die Idee, ein Kino zu machen, ein kleines Kino, das nicht dem Schweizerischen Lichtspieltheaterverband angehört, ging von der Überlegung aus, dass für die Filme, die man in Solothurn gesehen hat, in der Schweiz kaum Abspielmöglichkeiten vorhanden waren.

Die Idee zu verwirklichen war aber nicht ganz einfach: Zwei Jahre lang haben wir uns um eine Kinobewilligung bemüht. Diese enthielt dann starke Einschränkungen. So durften wir vorerst nur 16-mm-Filme aus der Schweiz zeigen. (Die Bewilligung konnte dann nach und nach erweitert werden.)

Das Kino an der Kramgasse in Bern haben wir im November 1970 mit Jürg Hasslers Krawall eröffnet, einem Film, der vorher nie gezeigt wurde. Krawall war für uns nicht nur ein Eröffnungsprogramm, sondern auch gleich ein Beispiel für unser Konzept des Kinomachens. Der Film war einerseits ein wichtiger Beitrag zu den 68er-Ereignissen, andererseits, oder gerade deswegen, auch ein Film, der wegen seines Themas kaum eine Abspielmöglichkeit finden konnte.

In den ersten Jahren haben wir fast alle Filme gezeigt des damals neuen Schweizer Films - z.B. Die grünen Kinden von Kurt Gloor, Bananera Libertad von Peter von Gunten, aber auch die frühen Filme von Fredi M. Murer - Filme von solchen, die damals Dokumentar- oder Experimentalfilme machten und heute Spielfilme. Die meisten dieser Spielfilme laufen nun im sogenannten grossen Kino und ich finde, dass sie dort auch richtig platziert sind. Es gibt aber Ausnahmen, Fredi M. Murer zum Beispiel zeigte seinen ersten grossen Spielfilm, Grauzone, auch bei uns - was heisst, dass fast alle seiner Filme im Kellerkino gelaufen sind.

Es ist schwer, ein Publikum für Schweizer Filme zu finden. Wenn die Filmemacher noch nicht bekannt sind, braucht es zuerst zwei, drei Werke, bis sie auch bei uns ihr Publikum haben. Es gibt natürlich Filme mit brisanten Themen, die laufen dann fast von sich aus. Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S. gehört zu ihnen. Wir haben es aber immer als eine unserer Aufgaben erachtet, von einem Filmemacher nicht nur einzelne Werke zu zeigen. Darum lief bei uns nicht nur der Erschiessungsfilm, der ein Erfolg war, sondern auch die andern Filme Dindos, die zum Teil weniger erfolgreich waren.

Als wir 1970 angefangen haben, gab es noch fast keine neuen Schweizer Spielfilme im Kino. Das hat sich im Laufe der siebziger Jahre massiv geändert, und wir hatten dann die Befürchtung, dass unsere Funktion als Abspielstelle von Schweizer Filmen hinfällig werden würde. Aber dem war überhaupt nicht so. Es gibt zwar heute eine ganze Reihe von Filmen, die im grossen Kino laufen, aber es gibt eben auch immer noch, oder immer wieder, die kleinen Filme, Filme von solchen, die in den letzten Jahren angefangen haben zu drehen, und Filme von solchen, die mit ihren Werken gar nicht ins grosse Kino wollen oder können. Diese Filme zu zeigen ist heute genau so schwierig wie vor zehn oder acht Jahren.

Ich denke hier etwa an Nino Jacusso, der mit Emigrazione und Ritorno a casa zwei sehr schöne Dokumentarfilme geschaffen hat. Wir haben diese beiden Filme im Kellerkino gezeigt. Trotz dem für unsere Verhältnisse grossen Aufwand, den wir betrieben haben, um sie bekannt zu machen - Werbung bei Gruppen, die die Filme ganz direkt angehen, Gespräche mit anderen Interessierten - haben sie nur ein kleines Publikum gefunden. Wir haben also heute noch immer die gleiche Situation wie früher: Wer anfängt, hat es nicht leichter als früher Filmemacher wie Gloor, Murer oder von Gunten. Manchmal scheint es mir, dass es heute sogar noch schwerer ist, mit kleinen Filmen ein Publikum zu finden. Heute ist die Konkurrenz viel härter als früher. Die Filme, die es geschafft haben, ins grosse Kino zu kommen, haben Massstäbe gesetzt, die zu erreichen nicht jedem möglich ist -die ja vielleicht auch nicht jeder erreichen möchte. Darum ist es für uns nach wie vor sehr wichtig, Schweizer Filme zu zeigen. Auch dann, wenn sie nur ein kleines Publikum finden.

Theres Scherer
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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