MARKUS SIEBER

SUPER-8: EINE SZENE?

ESSAY

Folgende Super-8-Filme waren an den 15. Solothurner Filmtagen zu sehen: The Weekend Drive von Ueli Meier (15), Weil ich Gemeinschaft leben will von der Filmgruppe Lehrerseminar Solothurn (40), mir bsetze von Urs Berger, Ich haue ab von einer Maitligruppe (30), Dr Tschamiblues von Bruno Nick (45), necropolis von Enzo Schricker (16), Porporino von Robert Bouvier (80), Verbotene Räume von Cyril Thurston (8), Innenleben von Ralph Schmid (26), Nachtlicht von Patrick Lindenmaier, Mathias Aebli, Cyril Thurston. Weitere 14 S-8-Produktionen mit einer Gesamtlänge von etwa neun Stunden wurden im «AUA» genannten «Salon des refusés»gezeigt.

Lange Filme, kurze Filme. Dokumentarfilme, Spielfilme. Autorenfilme, Kollektivfilme. Private Filme, politische Filme.

Trotz der Vielfalt: Mancher hat vor den Filmtagen mehr frischen Wind erwartet, als dann wirklich kam. Auch hat man lesen können, vieles sei gar nicht «wirklich» S-8 gewesen, hätte auch auf 16 mm gedreht werden können. (Und umgekehrt.) Von S-8 wird immer wieder - vor allem auch innerhalb der Szene -ein Grad der Abgrenzung gegenüber den breiteren Formaten erwartet, die er gar nicht leisten kann. Dies mag den in fast jeder Berichterstattung zu Solothurn praktizierten Widerspruch erklären, das Format als Kriterium beizubehalten, während es doch an den Filmtagen selbst verdienstlicherweise fallengelassen worden ist. Vielleicht Zeit, wieder einmal über Medienspezifik zu sprechen.

«Einfach so» unterscheidet sich S-8 als Medium inhaltlich/ strukturell in keiner Weise von 16 mm. Neben der Handlichkeit und einfachen Bedienung ist sein entscheidendes Merkmal vielmehr die Billigkeit von Filmmaterialien und Geräten. Nun sind aber Löhne und Gagen in jedem (kompletten) Filmbudget der eindeutig grösste Posten. Eine Ersparnis von 20 000 Fr. an Filmmaterialien, Laborkosten und Gerätemieten in einem Budget von 200 000 Fr. dürfte da wohl niemanden motivieren, seinen Film auf S-8 statt 16 mm zu drehen, handelt man sich doch damit eine Reihe von technischen Nachteilen ein. Daraus folgt: S-8 ist das Medium der Gratisarbeiter.1

Gratisarbeiter: Das sind vor allem Ferien- und Familienfilmer, Leute, die hobbymässig und plauscheshalber filmen, vielleicht mit Freunden, aber kaum je mit Öffentlichkeitsanspruch, deshalb auch nicht der eigentlichen Szene zugehörig. Eine zweite Gruppe besteht aus den Neuen, aus Leuten, die ihren ersten, zweiten oder dritten (Spiel- oder Dokumentar-) Film realisieren, billig Erfahrungen sammelnd. Solche Filmer haben Ambitionen, wollen Publikum, blasen ihre Produktionen oft auf, benutzen S-8 als Visitenkarte, als Sprungbrett ins 16-mm-Format. Die Engagierten, sei’s politisch oder filmisch, bilden die dritte und weitaus kleinste Gruppe. Das sind jene Filmer und Filmgruppen, die aufgrund ihres Schaffens keine Chancen für Beiträge seitens staatlicher oder sonstiger Institutionen haben, oder die ihrer Unabhängigkeit zuliebe darauf verzichten. Hier entstehen neue Gestaltungs- und Einsatzformen, das Zielpublikum ist meist definiert («Betroffene») und vermag mit wenigen Ausnahmen höchstens die Material- und Laborkosten des Films zu tragen.2

Das S-8-Filmschaffen ist offenbar strukturell nicht homogener als dasjenige mit 16 mm, sein gemeinsamer Nenner ist dafür zu abstrakt. Jetzt erklärt sich, warum das Hochgefühl von Solidarität und gemeinsamem Aufbruch der letzten Jahre über Nahziele hinaus nie die eigentlich zu erwartenden praktischen Konsequenzen hatte, warum die S-8-«Szene» den Namen nicht einmal regional verdient.3 Es erstaunt beispielsweise nicht, dass die S-8-Filmgruppe Zürich (Busipo-Film Preis der Angst) letztes Jahr ins Haus des Filmkollektivs gezogen ist, mit dem sie sich politisch verbunden weiss; ebenso wenig erstaunt, dass innerhalb der Vereinigung unabhängiger Film (VuF) mit ihrem nationalen Anspruch gegenwärtig die Auflösung diskutiert wird.

Eine grosse Ernüchterung scheint sich abzuzeichnen, was aber kein Grund ist zu Trauer oder Resignation. S-8 wird als Teil der Filmszene immer wichtiger und sehenswerter werden, im Hobby-Sektor und als Startchance genauso wie im experimentellen und politischen Schaffen. Die Öffnung der Solothurner Filmtage wird dabei helfen.

Wenn S-8 Geld einbringt, dann - mit raren Ausnahmen - nur via Dienstleistungen. Aus dieser Erkenntnis haben in letzter Zeit einige Filmer/Filmgruppen bereits praktische Konsequenzen gezogen.

Mit etwas Willkür könnte man die in Solothurn gezeigten S-8-Produktionen folgendermassen auf die drei genannten Kategorien aufteilen (mit Misch formen):

Anders Video: Da existiert reger Austausch und Zusammenarbeit sogar über die Landesgrenzen hinaus.

Markus Sieber
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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