VERENA ZIMMERMANN

BILDER, DIE ATMEN

ESSAY

Vieles könnte man an der Gossliwiler Trilogie - auch schon in der vorliegenden fragmentarischen Form, die durch bereits gedrehtes Material und durch neues erst die Trilogie werden soll -herausheben. Einzugehen wäre auf das vielschichtige Gesamtkonzept, das anhand des solothurnischen Dorfes Gossliwil drei Grundtypen schweizerischer mittelländischer Landwirtschaft vorstellen und dabei nicht nur Produktionsformen beschreiben, sondern über die Beschäftigung mit den drei im Mittelpunkt stehenden Familien hinaus den Blick auf die Dorfgemeinschaft ausweiten und schliesslich Historisches und Politisches miteinbeziehen will.

Ich möchte aber hier besonders die überzeugend artikulierte Präsenz derer, die den Film gemacht haben, herausheben. Diese permanente Anwesenheit der Autorinnen und Autoren ist mehr als blosses Sich-Vor- oder -Darstellen. Wenn ich den Prolog anhöre, in dem Beatrice Leuthold von der ersten Ankunft der Filmemacher im Dorf berichtet, oder später die Fragen der Filmemacher und auch ihre persönlichen, vielleicht sehr spontanen Äusserungen verfolge, merke ich, dass sich hier auch die Autoren zur Diskussion stellen wollen. Sie setzen sich ähnlich aus, wie sie ihre Gesprächspartner aussetzen, wenn sie sie beobachten und ihre Äusserungen aufzeichnen. Mit der Art ihrer Fragen und deren Einbezug in den Film machen sie deutlich, dass sie bis zum Schluss die Fragenden geblieben sind, und lassen erkennen, dass sie zwar im Lauf der in Gossliwil verbrachten Zeit mit vielem vertraut geworden sind, dass sie aber dennoch «die von draussen» geblieben sind, die Fremden gewissermassen.

Noch viel fremder ist der Zuschauer vor der Leinwand. Weil sie ihm keine vollkommene Vertrautheit vorgaukeln und auf einen verbalen Kommentar aus der Position der Allwissenheit verzichten, verleiten ihn die Filmemacher nicht zu dem trügerischen Gefühl, etwas lückenlos erfahren zu haben, kurz: zu wissen.

Man muss auch das Beziehungsgeflecht herausheben, das sich aus dem direkten Originalton und den Off-Gesprächen ergibt, welchen Kontakt diese Off-Gespräche mit den Bildern aufnehmen, und welche Beziehungen die Erzählungen, Berichte und Überlegungen der Autoren herstellen; von den Geräuschen schliesslich, die besonders sorgfältig aufgenommen wurden, und die die Bilder ganz wesentlich mit Leben und Atem füllen. (Auf dem Hof der Mollets etwa, wenn die Pferde angeschirrt, wenn die Wagen eingefahren oder die Milchkannen geladen werden. Oder in den ebenso einfachen wie komplexen Hantierungen im Kuhstall, mit ihrem Hand-in-Hand-Arbeiten und der offenbar ganz selbstverständlichen Rollenverteilung.)

Stark und schnell wirkende Sensationen hat die Kamera in Gossliwil nicht einfangen können. Es gibt keine dramatischen Szenen, wie sie die Arbeit etwa von Bergbauern an steilen, gefährlichen Abhängen bietet. Aber es gibt durchaus Sensationen, weil hier manches, was man von rasch gemachten Film- und Fernsehaufnahmen herzu kennen glaubt, anders gesehen, anders aufgenommen wurde; mit grossen langsamen Kamerabewegungen zum Beispiel beim Beobachten der Feldarbeit. Eine Egge wird da zur Sensation, weil ich spüre, wie sich der, der sie aufnimmt, mit ihr auseinandersetzt, wie er sich mit seinem Blick auf das Werkzeug und auf den Vorgang einlässt. Diese Bilder sind wichtig, weil sie Vorgänge nicht zerhacken, und weil sie über die Konzentration auf die Dinge hinaus etwas Zusätzliches spürbar machen: Wir alle sehen, aber in der Art des Sehens drückt sich unsere Subjektivität aus. Wer nicht nur mitteilt, was er gesehen hat, sondern auch, wie er es gesehen hat, nimmt - wie jeder Bildermacher - Stellung, macht dies aber jenem, der ihm zuschaut, auch durchsichtig.

Gossliwiler Trilogie: P: Filmkollektiv Zürich; Autoren und Technik: Beatrice Leuthold, Andre Pinkus, Helen Stehli, Silvia de Stoutz, Hans Stürm. 16 mm, Farbe, 103 Minuten.

Verena Zimmermann
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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