ULRIKE JEHLE / SCHULTE STRATHAUS

BASLER ALLTAG — SECHS KINOS - EIN ARCHITEKT

ESSAY

Die Massstäbe sind amerikanisch. In zwölf Jahren - zwischen 1947 und 1959 - hat der Architekt sechs Kinos gebaut. Drei davon waren Umbauten. Doch die amerikanischen Verhältnisse treffen auf Basel zu, fallen in die wirtschaftlich prosperierenden fünfziger Jahre. Es ist die Rede von Marcus Diener.

Das Odeon, der Umbau des Kinos vis-à-vis der Rheinbrücke, war der Anfang: 1947. Dann, 1948-1950, kam das Hollywood als Neubau. Das Palace von 1951 (jetzt «abc») war wieder ein Umbau. Das Central (1953) in der Passage zwischen Gerbergasse und Rümmelinsplatz war das erste Kellerkino Basels. Der Umbau des Palermo geschah 1958 (die tollste Fassade am Theaterplatz!). Das Plaza wurde 1959 gebaut.

Vom Städtebaulichen her ist zu sagen, dass drei dieser Kinos am «Mississippi» stehen, der zum Parkplatz verwandelten Decke über dem Birsig. Diese Parkierzone, gerahmt von den Rückseiten verschiedener Appartements- und Geschäftshäuser, die teilweise auch von Diener stammen, bildet eine der wenigen grossstädtischen Ansichten des Basler Stadtkerns. Wenn auch heute, im Bewusstsein der Umweltgefährdung, Parkierungsmöglichkeiten für Autos von vorneherein zu verurteilen zu sein scheinen. In den Fünfzigern hat man das anders gesehen. Die grossflächigen Kino- und Häuserrückseiten am Mississippi gehören zu einer futuristischen Stadtvision, die heute aus der Geraniums-Perspektive einer zeitgenössischen Stadtkonzeption kaum mehr verstanden wird.

Also, die Kinos von Diener gehören - wie auch die anderen in der City, zu einer urbanen Vorstellung, die dem Zentrum neben vielem anderem auch Vergnügen und Unterhaltung beschert.

Ich möchte auf zwei der Kinos eingehen, nicht weil sie von herausragender architektonischer Qualität wären, sondern weil sie typisch sind für die Zeit und für die Mittel, mit denen in jener Zeit für den Film gebaut worden ist. Ich glaube auch, dass wir das sogenannte «ordinary» - um mit Venturis Learning from Las Vegas zu sprechen - ernst nehmen sollten. Ich meine das Palace, heute «abc», und das Hollywood.

Beim Palace traf Diener auf einen Vorgängerbau, dessen Bedeutung heute wohl erst recht eingeschätzt werden kann. Es war ein Kino, das der heute verehrte und damals umstrittene Architekt und Städteplaner Hans Bernoulli 1927 in eine ehemalige Fabrik (Stückfarberei) gebaut hatte. Bernoulli hatte vieles verändert, neue Wände und eine neue stützenfreie Dachkonstruktion innerhalb des Fabrikbaus projektiert. In den zwei Stufen vom Februar und vom Juni des Jahres 1927 sieht man, dass Bernoulli vor allem an der Fassade, die uns hier am meisten interessiert, moderiert hat. Im Erdgeschoss waren Läden vorgeschlagen, die in der späteren Ansicht verschwunden sind. Da gibt es nur noch die Dreiteilung des Erdgeschosses durch zwei sich nach oben erweiternde Stützen mit Kapitellen im «Zick-Zack-Stil» der Jahre um 1930, dann darüber die glatte Mauer, mit Gesims unterteilt, und die grosse Neonschrift «Palace». Siehe Titelbild. Im Zustand, den Diener 1951 antraf, waren das Gesims, die Kapitelle der aus Quader bestehenden Eckpilaster und die Fenstergewände abgeschlagen und die verputzte Mauerfläche mit einer Neonlichtlinie eingefasst.

Als 1951 umgebaut werden soll, bleibt Diener in den Mitteln sparsam. Er stockt das Gebäude auf - weil der Bodenpreis steigt und steigt - und bringt Wohnungen unter im Haus. Das Kino selbst wird erkenntlich an der Neonreklame, am Schriftzug «Palace». Ansonsten lässt sich von aussen der Kinocharakter kaum ablesen, es sei denn an den Vitrinen mit den Standfotos. Heute, nach knapp dreissig Jahren, ist das Erdgeschoss wieder umgebaut und enthält einen Laden; das «abc» ist Studio-Kino und nicht mehr Revolver-Küche.

Beim Kino Hollywood am Mississippi konnte Diener 1949 neu bauen. Die zulässige Höhe wurde nicht genutzt. Da waren natürlich die verschiedensten bau- und feuerpolizeilichen Bedingungen zu erfüllen. Notausgänge mussten da sein mit Panikverschlüssen, die nach aussen ohne weiteres sich aufstossen Hessen, und dergleichen mehr. Diener entwarf einen Kubus, der in der Horizontalen von einem hervorspringenden Gesims über dem Eingangsgeschoss und von einem entsprechend vorkragenden Dach mit Leuchtröhre an der Unterseite gegliedert ist. Die Plattenverkleidung der Fassaden lässt die Ecke frei, betont also das Aufgesetztsein der Platten. Jeweils ein hochrechteckiges, in kleine schmale Felder unterteiltes Fenster ist in die beiden sichtbaren Mauern des Eckbaus eingeschnitten. Im Bereich hinter der Bühne liegen drei runde mit Sprossen unterteilte Fenster.

Was «Kino» signalisiert, sind die grossen geschlossenen Wandflächen und darauf das Neonlicht. Der Name des Kinos, das Band unter dem Dachvorsprung, das heute nicht mehr leuchtet, die Umrahmung des Anzeigefeldes für den jeweiligen Film: das sind die Kino-Elemente. Im Innern dann kommt die Idee «Lichtspieltheater» der fünfziger Jahre deutlicher zum Ausdruck. Da gibt es ein Foyer, Ort der Begegnung, der Öffentlichkeit, Ort auch, wo man im Theater die Pause verbringt. In diesem runden Eingangsraum mit den scheinbar kannelierten runden Stützen, den zentrischen Mustern des Bodenbelags und der indirekten Beleuchtung - heute alles verändert - ist das Repertoire der Kinoarchitektur zur Zeit der zweiten Hochblüte des amerikanischen Films zu erkennen.

Und woher hat nun ein Architekt wie Marcus Diener dieses Repertoire? Er sei gerne ins Kino gegangen, früher. Er sei, als der erste Auftrag für das Odeon in Basel kam, nach Amerika gereist, und hätte vor allem die kleinen Vorführkinos an der Westküste angeschaut. Las Vegas, aber auch der Broadway, das alles spukte in seinem Kopf, als er die Basler Kinos veränderte und kreierte. Warum er für so viele Kinos verantwortlich sei? Ganz einfach, weil er Beziehungen hatte zum Schweizerischen Lichtspieltheaterverband und weil er, nach dem zweiten Bau bereits, als Fachmann galt. Das Grossstädtische, Amerika überhaupt, sei für ihn immer faszinierend gewesen. Er hatte während sechs Jahren ein Büro in Kanada.

Der Versuch, hier die Herkunft des Kinos vom Variété weitgehend zu verschleiern und mit Vorhang, Pausen, Foyer und anderen Einrichtungen sich den «seriösen» Schein des Theaters anzueignen, belustigt Marcus Diener im Nachhinein. Das mag mit der Herkunft der ersten Generation von Kinobesitzern zu tun haben, meint er. Die seien vieles gewesen, Lastwagenchauffeure oder Coiffeure etwa. So kommen in einer Stadt wie Basel sechs Kinos zustande.

P. S.: Ich danke Marcus und Roger Diener für ihre bereitwillige Auskunft und das Bildmaterial.

Ulrike Jehle
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
Schulte Strathaus
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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