MARTIN SCHAUB

ZEIT FÜR EIN ZEICHEN

ESSAY

Mehr als üblich ist in den letzten Monaten in den Medien vom Schweizer Film die Rede gewesen: Nicht so sehr von den neuen Filmen als von denen, die nicht entstehen können. Seit Juni liegt die Bundesfllmförderung darnieder; die Summe der im Vorjahr eingegangenen Verpflichtungen hatte den für 1979 bereitgestellten Kredit schon so belastet, dass an eine vernünftige Förderung nicht mehr gedacht werden konnte. Lediglich ein grösseres und drei kleine Projekte konnten im ersten Quartal noch unterstützt werden: Le chemin perdu von Patricia Moraz (200000 Franken), Reisender Krieger von Christian Schocker, Ritorno a casa (die Fortsetzung von Emigrazione) von Nino Jacusso und ein Konzeptfilm von HHK Schönherr (je 60000). Dazu kamen noch ein paar Prämien für Filme, die zum Teil schon im Vorjahr fertig geworden waren. Die Förderungsbeiträge auf den Gebieten Marketing, Distribution und Archivierung mussten eingefroren werden, selbst wenn die Gesuchsteller grössere Bedürfnisse überzeugend ausweisen konnten.

Als man wusste, dass die Kasse leer war, gingen plötzlich keine Gesuche mehr ein in Bern. Nur ein grosses Lamento, beispielsweise um die Kündigung des Adjunkten in der Sektion Film, Urs Mühlemann. Eine falsche Politik der Filmemacher! Wie soll man denn beweisen, dass der Filmkredit zu klein ist, wenn keine Gesuche mehr eingehen? Wie soll man beispielsweise ein Nachtragskreditbegehren ausweisen und beziffern?

Offenbar war die Angst der Filmemacher, ihre Projekte würden von den Experten mit qualitativen Begründungen zu Fall gebracht, obwohl es doch nur finanzielle gab, zu gross für ein politisch kohärentes Handeln. Als der Filmgestalterverband seine Mitglieder aufforderte, die Projekte einzureichen, lagen plötzlich über ein Dutzend auf dem Tisch der Sektion Film. Plus die Einschreibungen für die Prämien, mehr als zwei Dutzend.

Jetzt erst stimmte das Bild. Jetzt erst können jene, die für eine Erhöhung des Kredites kämpfen wollen, argumentieren. Vor einem Jahr - anlässlich der Pressekonferenz zum sogenannten Unterschriftenstopp - hatten die Filmemacher geklagt: Bundesrat Hürlimann meint, man könne den Schweizer Film an- und abstellen wie eine Maschine. Dieses Jahr haben sie selbst beinahe den Beweis erbracht, dass man das tatsächlich kann.

Bundesrat Hürlimann hat Mitte 1979 versprochen, alles zu unternehmen, um wenigstens die Prämien noch dieses Jahr irgendwie bezahlen zu können. Aber wie steht es mit der Krediterhöhung für 1980? Da sind ihm die Hände gebunden durch einen Bundesratsbeschluss, das Staatsdefizit nicht über 1,5 Milliarden Franken wachsen zu lassen. Im Moment wird in Bern gestrichen und gestrichen. Kein Departementsvorsteher darf mehr wollen als im Vorjahr; er kann höchstens gewisse Positionen halten, aber im Rahmen einer «Opfersymmetrie», wie das jetzt genannt wird.

Eine gefährliche Phase, nicht nur für die Filmkultur. Die Plafonierung verhindert jede Dynamik, verhindert nennenswerte Umlagerungen. Es ist eine elende, geistlose Markterei. Zurzeit gibt es nur eine einzige Möglichkeit, die Kulturkredite zu erhöhen: Parlamentarier, die eine ideelle Aushöhlung und Verarmung erkennen, könnten die galoppierende Verkrämerisierung anprangern und ihre Kollegen überzeugen, dass sich gerade jetzt der Staat seinen Geist und seine Kultur etwas kosten lassen muss. Optimisten glauben, dass das Parlament zu Beginn einer neuen Legislaturperiode für eine solche Zeichensetzung am besten zu haben wäre. Es bleiben uns noch zwei Monate, um sie vorzubereiten.

Martin Schaub
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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