MARTIN WALDER

SCHWEIZER MACHEN, SCHWEIZER WERDEN — ROLF LYSSYS NEUER SPIELFILM

CH-FENSTER

Anspruch, Schweizer zu werden, hat niemand. Und: Ob einer Schweizer werden soll, ist eine Ermessensfrage. Der, der nach solchen Grundsätzen denkt und handelt, ist einer von denen, die berufeshalber zu ermessen haben: Max Bodmer (Walo Lüönd) von der Zürcher Kantonspolizei ermittelt bei Schweizerpass-Aspiranten die Tauglichkeit zuhanden der Einbürgerungskommission. Von ihm und seinem Weltbild, das auf den drei wie auch immer verstandenen «Säulen» Ehe, Familie und demokratische Ordnung unerschütterlich ruht («Wir sind so, wie wir sind!»), handelt Rolf Lyssys Spielfilmkomödie Die Schweizermacher zum einen. Auf der andern Seite diejenigen, die so werden sollen, «wie wir sind»: das habliche deutsche Psychiaterehepaar Starke (Wolfgang Stendar, Hilde Ziegler), anpassungswillig von der Fahne neben dem Einfamilienhäuschen bis zum schweizerdeutschen «ch», das partout nicht im Rachen kratzen will, dann die Italienerfamilie Grimolli mit ihrer Liebe zum Teil und ihrer Ängstlichkeit in punkto mustergültiges Verhalten (Claudio Caramaschi, Silvia Jost), schliesslich die alleinstehende Ballettänzerin Milena Vakulic (Beatrice Kessler), Jugoslawin, aber in der Schweiz aufgewachsen, als Künstlerin (für Max Bodmer) ein problematischer Fall.

An diese drei «Fälle» setzt der Beamte die Richtschnur seiner senkrechten Ideologie, die uns wohlvertraut ist — aus dem Tram, aus der Wirtshausecke, wo der muntere, stolze Werbeslogan «Unsere Schweiz — unser Bier» plötzlich eine sehr ungemütliche Sinnwendung nimmt, aus uns selber, denn wer wäre schon gänzlich unbeschadet von unguten Identitätsklischees wenn er für sich persönlich einmal die «Ermessensfrage» stellt... Was sie in den wirklich Betroffenen, den Anwärtern für die schweizerische Staatsbürgerschaft, an Ängsten, Hoffnungen auslöst, an traurig komischen Wohlverhaltensmanövern, Feigheit, äusserlichen Überkompensationen usw., versucht der Film in einschlägigen Situationen widerzuspiegeln. Max Bodmers junger Adlatus Moritz Fischer (Emil Steinberger) ist es, der das Ritual der «Ermessensfrage» treuherzig, aber gründlich in Frage stellt: Nicht nur findet er einen direkten menschlichen Zugang zu den Aspiranten, zu allem Beamtenunglück verliebt er sich noch in die schöne Jugoslawin Milena, die nach allem Erlebten am Ende gar nicht mehr Schweizerin werden will — so wenig wie der brave Polizist ein Schweizermacher. Moritz Fischer wird seinen Dienst quittieren.

Rolf Lyssy nennt seinen Film eine «ironische Komödie». Komik sollte dabei aus der Doppelbödigkeit fliessen, die sich an der Wirklichkeit nährt: «Leute verhalten sich glaubwürdig, und je glaubwürdiger, desto komischer die Situation.» Um ehrlich zu sein: Auch das letzte Drehbuch zu den Schweizermachern mochte Zweifel in dieser Richtung eher schaffen als zum Verschwinden bringen. Ein auch mit Holzschnitt-Gags nicht sparender Szenenbogen von Anpassungswillen und Anpassungsangst, von helvetischem Beamtenseelentum und Beamtenseelentümlichkeit, die so «typisch» ist, dass sie schon niemandem mehr so recht weh tun mag; ihr entgegen der «menschliche» Polizeiaspirant, schauspielerisch besetzt ausgerechnet mit Emil und seiner ganzen lieben, tumben Art von Komik als Verkörperung des «Guten»: Konnte das nicht daneben gehen, an Ort treten, statt in Unruhe zu versetzen, wie es die Meinung doch gewesen wäre?

Lyssy hat die Zweifel in sehr drastischer Weise zu spüren bekommen: Nach zwei abgelehnten Drehbüchern hat er auch mit den Schweizermachern beim Bund kein Glück gehabt: das EDI hat der 750 000.— Franken-Produktion einen Herstellungsbeitrag wiederholt verweigert. Anderseits ist das Fernsehen DRS als Koproduzent eingestiegen und hat so dem von Lyssy zusammen mit Christa Maerker, Georg Janett, Pierre Lachat und Martin Schmassmann verfassten Projekt mit zur Realisierung ausserhalb der Filmförderung des Bundes verholfen. Dennoch: Vor dem Hintergrund der prekären Finanzsituation, der sich ein Schweizer Filmemacher ausgesetzt sieht und der Tatsache, dass ein Nein des Bundes offenbar einen Rattenschwanz an Schwierigkeiten mit andern Finanzierungsquellen zur Folge hat, haben die Zweifel ihr drückendes Gewicht, wenn sie einem Projekt — das aufgrund eines Drehbuches eingeschätzt und beurteilt werden muss — vom Resultat her gesehen dann doch nur teilweise gerecht geworden sind.

Denn: Die Schweizermacher ist eine flüssige, unterhaltsame Dialektkomödie geworden (was an sich schon ein kleines Kunststück ist): Witzig und einfallsreich — damit Schwachstellen verkraftend — provoziert Max Bodmers feldstecher- und rauhbautzigkeitsbewehrte Art des «Einbürgerns» vorerst einmal das direkte satirische Gelächter und lässt gleichwohl die hinter der plakativen Zurichtung verborgene Fragen nicht ausser acht, was denn das eigentlich bedeutet: Assimilation — Gleichwerden, Ähnlichwerden. Welche Normen denn dahinterstehen, was ein Schweizer sei und was nicht, und ob an diesen Normen nicht mit zweierlei Mass gemessen wird. Was es mit Einbürgern zu tun haben muss, dass jemand in seiner eigenen Wohnung den Beamten schüchtern zu fragen anfängt, ob er rauchen dürfe. So spielt der Film über verschiedene komische Reflexionsebenen, vom durchaus platten Gag mit dem riesigen Schweizerkreuzbuffet und den Heimatliedern bis zu stachligen Alltagsdetails, hinter denen eher bittere Fragen lauern. Die Authentizität der Schweizermacher liegt in dem ganzen Klima, das der Film aufrollt, aus dem Lyssy die Komik teilweise pointiert schlägt, teilweise sich von selber in Szene setzen lässt.

Die Frage, ob es denn wirklich so sei, stellt sich freilich in einzelnen Momenten gleichwohl. Dass der Film, obgleich eine erfundene Geschichte, darüber nicht offen Auskunft geben will, sondern den Zuschauer (gerade jenen, der Einbürgerung ja gar nie zu erleben braucht!) mit ungestillter Neugier zurücklässt, empfinde ich als Schwäche. Es geht dabei nicht darum, dass die Schweizermacher kein recherchierter Report, sondern eine Komödie sein will. Wo ein so konkreter Realitätsbezug angepeilt ist, blieben die Ebenen der inneren und der äusseren Wirklichkeitsdarstellung besonders klar auseinanderzuhalten (vgl. etwa Alexander Kluges Ferdinand der Starke).

Wenn in einem Spielfilm Emil als Schauspieler Emil Steinberger eine der Hauptrollen spielt, so wird darauf einzugehen sein. Auch hier waren Bedenken leicht bei der Hand, ob ein Film mit Emil nicht automatisch zu einem Emil-Film werden würde. Er ist es nicht geworden; Emil Steinberger vermag sich gegen sein Image durchzusetzen, lässt Emil wohl nicht vergessen (was auch gar nicht nötig ist), gibt aber der Figur Moritz Fischer einen Charakter, der sich in die Geschichte rund einfügt und sie nicht okkupiert. Etwas Ähnliches ist an einer anderen Figur im Film, gespielt von Valerie Steinmann, zu beobachten: um ein «Wöschwyyb» darzustellen, brauchte es ein paar Griffe in die Klischeekiste, diese Frau in ihrem dummen Hächeleifer aber klingt vertraut, unappetitlich vertraut. Schade, dass den Autoren demgegenüber die Figur des Max Bodmer nicht differenzierter geraten ist: Walo Lüönd spielt einen zu verbiesterten Typ, zu einschichtig. Sympathie ihm gegenüber wäre nicht gefragt, wohl aber die Einsicht, dass er letztlich auch nur ein armseliges Opfer seiner Ideologie ist.

Die Schweizermacher. P:T&C Film AG, Zürich; in Co-Produktion mit Rolf Lyssy, Zürich; Willora AG, Birr; Ecco AG; Walter Schoch, Zürich; Fernsehen DRS, Zürich; Rex Film AG, Zürich. B: Rolf Lyssy, Christa Maerker unter Mitarbeit von Georg Janett, Martin Sohmassmann und Pierre Lachet. K: Fritz E. Maeder. Montage: Georg Janett. Musik: Jonas C. Haefeli. D: Walo Lüönd, Emil Steinberger, Beatrice Kessler, Wolfgang Stendar, Hilde Ziegler, Claudio Caramaschi, Silvia Jost u.v.a.m. — 35 mm, Farbe, 107 Minuten. Uraufführung: Oktober 1978.

Martin Walder
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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