FRED ZAUGG

KELLERKINO UND FILM AM MONTAG IN BERN

CH-FENSTER

Bern hat nicht bloss sechs Kilometer «Loube», zu Deutsch Arkaden, sondern auch entsprechend viele Keller unter diesem Fussgängerbereich. Die Mehrzahl dieser stattlichen Gewölbe diente ursprünglich zur Lagerung und in vielen Fällen auch zum Ausschank von Wein. Die Erfahrungen mit den guten Tropfen und mit allerlei Gärungsprozessen unter dem Pflaster scheinen sich in den letzten Jahrzehnten auf das kulturelle Leben der Stadt übertragen zu haben: Neben den verbliebenen Kellerbeizlein sind in Berns Unterwelt Theater, Galerien, Boutiques und Diskussionslokale verschiedensten Kalibers zu finden.

In diese Kellerkultur gehört auch das Kellerkino, Kramgasse 26. Seit dem 4. November 1970, als dieses 50plätzige Kino von Heinrich und Theres Scherer und Susanna Walker mit Jürg Hasslers Krawall eröffnet worden ist, spielt sich hier ein wesentlicher Teil dessen ab, was Film über die kommerzialisierte Unterhaltung hinaus an Informationen zu geben, an Diskussionen auszulösen und an Bewegungen zu bewirken vermag. Die Gärungsprozesse im ehemaligen Weinkeller sind vielgestaltig und erfassen die verschiedensten Bevölkerungsgruppen, denn das Kellerkino wurde als Stätte von Öffentlichkeitsarbeit und nicht als elitärer Cineastenzirkel geschaffen.

Ursprünglich spielte der in den sechziger Jahren in neuer Form und mit neuer Zielsetzung wiedererstandene Schweizerfilm eine entscheidende Rolle, da er mit Dokumentar- und Experimentalwerken einerseits brennende Themen zur Darstellung brachte und andrerseits für ein modifiziertes, engagiertes Medienverständnis eintrat. Diese Filme öffentlich zu spielen, sie der Diskussion auszusetzen, wurde das Kellerkino als unabhängige Spielstelle ins Leben gerufen. Obschon die Arbeit für den Schweizerfilm nach wie vor ein zentrales Anliegen ist, hat sich die Zielsetzung schon bald in internationale Bereiche ausgeweitet, wobei auch über die Grenzen hinaus jene Filme anvisiert werden, die — meist aus kommerziellen Gründen — in der Schweiz sonst nicht zu sehen wären: Neben Dokumentar- und Experimentalfilmen haben damit auch Spielfilme und politisch-soziologische Werke ihren festen Platz im Programm.

Die eigentliche Programmationsarbeit richtet sich jedoch niemals nach geschäftlichen Spekulationen, nach einer möglichen Rendite, sondern strebt eine Sichtbarmachung von Zusammenhängen an, ein Aufzeigen von Problemen in Zyklen oder eine Darstellung von Entwicklungen in Retrospektiven — vor kurzen wurde etwa das vollständige Schaffen von Wim Wenders gezeigt — und in filmhistorischen Beiträgen — vier englische Hitchcock Filme. Die vielbeachteten Zyklen von Psychiatrie-Filmen und das zwölfteilige Werk Yü Gung versetzt Berge von Joris Ivens und Marceline Loridan über das Leben in China dürfen als Beispiele dafür genannt werden, wie weit gespannt der Informationsauftrag, den sich das Kellerkino gegeben hat, verstanden wird.

Darin wird letztlich als Filmsprache zusammengefasst, was bei einem Blick auf die kurze Geschichte dieser unabhängigen Spielstelle als bunte Mischung von Namen missverstanden werden könnte, denn neben Peter von Gunten, Kurt Gloor, Fredi M. Murer oder Georg Radanowicz sind hier auch Roberto Rossellini, John Huston, Andy Warhol, Jean-Luc Godard, Jacques Rivette oder Robert Bresson zu finden. Nicht was so übrig blieb oder letztlich noch angeboten wurde, steht hinter diesen Namen; vielmehr müssen sie als Zeugen für eine bewusste, vor allem auch verantwortungsbewusste Programmation verstanden werden. Unabhängigkeit ist im Falle des Kellerkinos gleichzusetzen mit persönlicher Auseinandersetzung, unbeirrtem Einsatz und — manchmal äusserst mühsamer — Arbeit und Kleinarbeit.

Dabei gilt es über die Projektion hinaus auch jene Aktivitäten zu nennen, die dem Besucher des Kellerkinos verborgen bleiben: die Zusammenarbeit mit den anderen unabhängigen Spielstellen der Schweiz und der Nachbarländer, die aktive Mitgliedschaft in ihrer schweizerischen Dachorganisation Cin6-libre. Theres Scherer hat zudem einen Sitz im Filmrat der Stiftung Schweizerisches Filmzentrum und in der Kommission für die Sektion Tribüne Libre des Internationalen Filmfestivals von Locarno inne.

In letzter Zeit hat sich als weiterer Zweig der hier angestrebten Medienarbeit die intensive Beschäftigung mit Gruppen verstärkt, gelte nun deren Einsatz den Indianern, der Frauenpolitik, den Soldaten, den Palästinensern oder den seelisch Kranken.

Weit über den lokalen Einzugsbereich hinaus wirkt die publizistische Tätigkeit des Kellerkinos. Die meisten Programme werden von Dokumentationen begleitet, die zum Selbstkostenpreis abgegeben werden. In regelmässigen Abständen erscheinen aber auch umfangreiche Materialienbände, zuletzt «Hollywood» und «Dokumentarfilme aus der Schweiz von Nice Time bis Früchte der Arbeit».

Seit vier Jahren spielt «Film am Montag» jährlich dreissigmal im Kellerkino. Die Programmation liegt in den Händen der städtischen Filmkommission und hat neben sehr ähnlichen Grundsätzen, wie sie das Kellerkino kennt, die Aufarbeitung der Filmgeschichte und der Filmpädagogik zum Ziel. Die zwei Montagsaufführungen stellen demnach einen bescheidenen Anfang eines Gemeindekinos dar, wie es sich etwa in Deutschland als kommunales Kino bereits bewährt hat. Für das Kellerkino jedoch bedeutet «Film am Montag» eine indirekte Subvention von 20 00 Franken durch die Gemeinde Bern. Im Durchschnitt sind die Vorstellungen zu 50 bis 60 Prozent verkauft. Mit der Zeit hat sich ein Stammpublikum von Cinéphilen gebildet. Eine Öffnung wäre auch hier erwünscht.

Keller sind geschützte Räume, Keller sind unauffällige Bauteile, Keller sind meist nur über Treppen, steile Stufen zu erreichen. Es gilt diese Hindernisse zu überwinden, um zur Leinwand des Kellerkinos zu kommen, es gilt aber noch viel mehr Barrikaden zu überklettern, um zu einem vom Geschäftsdenken unabhängigen Film zu kommen. In dieser Beziehung könnten Kellertreppen Gleichnischarakter haben: Hier sind zwar auch Eintrittsgelder von 7 Franken zu entrichten, aber das reicht nur für den Lohn des Operateurs und die Kosten der Filme. Alles andere lässt sich mit den Worten aus den «Materialien 1974» des Kellerkinos begleichen: «Wir zelebrieren Film nicht. Wir haben Lust auf ihn und brauchen ihn zum Leben. Film ist ein Element unseres Daseins».

Fred Zaugg
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]