BERNHARD GIGER

FILMPODIUM DER STADT ZÜRICH

CH-FENSTER

Spricht man mit Bernhard Uhlmann, dem für die Programmation des Filmpodiums Verantwortlichen, über Perlen der Filmgeschichte, über jene Filme also, die man auf die «kleine Insel» mitnehmen möchte, so bemerkt er immer wieder: ja, das haben wir auch einmal gezeigt. Wer nicht in Zürich wohnt, wem der regelmässige Besuch der Vorführungen des Filmpodiums nicht möglich ist, der kann, wenn er das Programm seit den Anfängen 1968 durchgeht, schon neidisch werden. Das Zürcher Filmpodium bot in den bald zehn Jahren seines Bestehens eine in der Schweiz einmalige Dokumentation der Filmgeschichte.

Die Bedeutung des Filmpodiums fällt eigentlich erst im Vergleich mit dem üblichen Angebot des Kinos richtig auf. Reprisen alter Filme — nicht solcher, die vor ein paar Jahren entstanden sind, sondern solcher, die zwanzig, dreissig oder noch mehr Jahre alt sind — werden im Kino selten gezeigt. 1977 waren zwar während den Sommermonaten einige bemerkenswerte Reprisen zu sehen, teilweise sogar kleine Retrospektiven, ganz befriedigen kann aber diese Wiederentdeckung alter Filme durch Verleih und Kino nicht. Denn einerseits werden dadurch einzelne Werke aus ihrer Umgebung herausgerissen, der Zuschauer wird sie darum nicht mit anderen Filmen aus der gleichen Zeit vergleichen, nicht vergleichen können, er wird nicht die vielleicht noch beschränkten filmtechnischen Möglichkeiten berücksichtigen und die damals gängige Filmsprache, usw. — er wird, was ihm niemand übelnehmen kann, die Reprise mit den Erstaufführungen vergleichen, die er das Jahr hindurchgesehen hat. Andererseits bieten die kleinen Retrospektiven eine meistens nicht sehr vorteilhafte Einführung in das Werk eines einzelnen Regisseurs oder eines Genres. Zu oft scheint es, als hätten die Verleiher jene Filme in ihr Programm aufgenommen, die gerade leicht greifbar waren. So erfreulich es ist, dass Verleih und Kino wieder vermehrt alte Filme herausbringen, zu einer ernsthaften Auseinandersetzung können sie dennoch kaum anregen. Das System des kommerziellen Kinos ist nicht geschaffen für kinematografischen Geschichtsunterricht.

Das Filmpodium hingegen ist es. Seine Retrospektiven streben Vollständigkeit an, das heisst, nicht nur einzelne bedeutende Werke werden programmiert, sondern auch weniger bedeutende, in denen die Vorarbeit zum späteren, in die Filmgeschichte eingegangenen Werk, ersichtlich wird. Das Programm ist also nicht bloss eine Perlenkette, sondern es zeigt auch die Arbeit an dieser Kette. Sicher, die Retrospektiven des Filmpodiums sind nicht immer vollständig. Das hat zwei Gründe: erstens kann selbst der interessierte Zuschauer nicht überfordert werden, man kann von ihm nicht verlangen, dass er dreimal in der Woche eine Vorführung besucht. Und zweitens ist die Arbeit der Filmbeschaffung und der Abklärung der Rechte eine mühsame und mit für den Aussenstehenden kaum vorstellbaren Schwierigkeiten verbundene. Die alten Filme liegen ja nicht auf der Strasse herum. Sie müssen manchmal in der ganzen Welt zusammengesucht werden. Kommt dazu, dass eine Kopie, wird sie dann in einer Cinémathèque gefunden, vielleicht gar nicht mehr spielbar ist. Wenn dann sowohl dem Filmpodium als auch der Cinémathèque das nötige Geld fehlt — und das fehlt meistens — um eine neue Kopie ziehen zu lassen, so muss auf eine Vorführung verzichtet werden. Umso erstaunlicher ist es, dass dennoch Retrospektiven zusammenkommen, die sich sehen lassen. Als Beispiele seien erwähnt: Erich von Stroheim, als Regisseur und als Schauspieler, 15 Filme (1973)/David Wark Griffith, 13 Filme (1973)/Mae West, 9 Filme (1974)/Douglas Sirk, 16 Filme (1974)/Josef von Sternberg, 14 Filme (1974)/Retrospektiven mit russischen Stummfilmen (nicht zum Xten Mal Panzerkreuzer Potemkin) und mit Werken der Hollywood Professionals/Orson Welles, als Regisseur und Schauspieler, 13 Filme (1976)/Brecht und Film, 13 Filme (1977)/Pietro Germi, 12 Filme (1977). Dazu, in Zusammenarbeit mit dem Kunstgewerbemuseum oder dem Kunsthaus, Retrospektiven im Rahmen von Ausstellungen, so etwa zur Ausstellung «Die zwanziger Jahre — Kontraste eines Jahrzehnts» 1973 im Kunstgewerbemuseum Stummfilme aus Deutschland und Amerika, und zur Ausstellung «Deutschland 1930 - 1939, Verbot — Anpassung — Exil» 45 deutsche Filme aus den dreissiger Jahren.

Die filmgeschichtlichen Retrospektiven bilden nur einen Teil des Filmpodium-Programms - den, weil auf diesem Gebiet in der Schweiz keine andere Spielstelle Gleiches leistet, wohl wichtigeren. Ein anderer Teil des Programms ist der gegenwärtigen Avantgarde gewidmet. Hier leistet das Filmpodium ähnliche Arbeit wie das Kellerkino in Bern. (Mit dem Kellerkino arbeitet das Filmpodium oft sehr eng zusammen. Das Kellerkino übernimmt auch filmgeschichtliche Retrospektiven vom Filmpodium, wobei es diese, weil es ohne Subvention arbeitet, kürzen, verkleinern muss.) Das Filmpodium hat aber dem Kellerkino gegenüber den Vorteil, dass es sich nicht so intensiv um die Avantgarde kümmern muss, da es in Zürich mit dem Commercio, und neuerdings mit den Movie 1 + 2, Studiokinos gibt, die ihm, sofern die Filme überhaupt von einem Verleiher in sein Programm aufgenommen werden, einen nicht kleinen Teil der Arbeit abnehmen. In Bern gibt es keine solchen Kinos, das Kellerkino ist darum Filmpodium und Studiokino zugleich.

Das Filmpodium ist eine nicht-kommerzielle, städtische Spielstelle, sein Leiter, Bernhard Uhlmann, ist städtischer Beamter. (Er arbeitet in der Präsidialabteilung der Stadt Zürich und hat neben dem Film noch andere kulturelle Gebiete zu betreuen, so etwa Ausstellungen und das Jazzfestival. Für den Film hat er aber dennoch mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit zur Verfügung.) Das Filmpodium ist das, was man in Deutschland Kommunales Kino nennt. Gerade im Vergleich mit diesen deutschen Spielstellen aber stehen ihm bescheidene finanzielle Mittel zur Verfügung, seit 1970 jährlich durchschnittlich 60 000 Franken. Das Filmpodium ist Mitglied von Cinélibre. Es besitzt ein ausserordentliches Kontingent, das 1977 50 Einheiten betrug. Bernhard Uhlmann nennt dieses Kontingent eine der wesentlichsten Voraussetzungen der Tätigkeit des Filmpodiums. Eine andere ist sicher jene 1972 mit FIAPF getroffene Ausnahmeregelung, die es erlaubte, in Zürich eine «Ablage» der Cinémathèque einzurichten, was ein regelmässiges Programm von Filmen aus den Beständen der Cinémathèque Suisse in Lausanne ermöglichte. Gespielt wurde früher einmal wöchentlich in einem Zürcher Kino, später zwei- oder dreimal in verschiedenen Kinos. Ab 1973 wurden dann einzelne Retrospektiven im Hauptprogramm des Kino Commercio gezeigt. Seit Ende 1977 nun spielt das Filmpodium ausschliesslich in einem der neueröffneten Movie-Kinos, abgesehen von den Programmen zu Ausstellungen, die weiterhin in jenem Museum laufen sollen, in dem auch die Ausstellung stattfindet. Ein Vorteil des Movie ist es, dass alte Filme in der richtigen Geschwindigkeit und im richtigen Format projiziert werden können.

Bernhard Giger
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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